Die Linke vor der Bundestagswahl: Scharmützel im Saarland
Der Linken-Landesverband ist zerstritten. Parteiikone Lafontaine und Teile der Basis verweigern dem Spitzenkandidaten die Unterstützung.
Im Juni, bei der Entscheidung über den aussichtsreichen Listenplatz eins, hatte sich der Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze gegen den Landtagsfraktionsmitarbeiter Dennis Bard durchgesetzt. Doch trotz der klaren Mehrheit für ihn tobt seitdem ein Flügelkampf. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die einen unterstützen den Kandidaten Lutze, die andern bestreiten dessen rechtmäßige Wahl und erheben Manipulationsvorwürfe. Zwei Genossen haben sogar das Landgericht angerufen. Hätten sie Erfolg gehabt, wäre die im Saarland erfolgsgewohnte Linke vom Wahlzettel verschwunden. Große Teile der Partei verweigern dem Kandidaten Lutze jede Unterstützung.
Die Burbacher GenossInnen wollen sich für ihren Spitzenkandidaten offenbar auch nicht auf die Straße stellen. Der Lutze-Unterstützer Elmar Schwartz, der den Linkenstand auf dem Burbacher Markt organisiert hat, ist aus dem Nachbarort Altenkessel angereist. „Seine Gegner möchten die Linke im Saarland unter fünf Prozent drücken. Dann ist der Lutze weg“, sagt Schwartz und er verrät auch, wer nach seiner Ansicht nach den Plan ausgeheckt hat: „Der Oskar ist der Drahtzieher.“
Dass Oskar Lafontaine nicht allzu viel von Thomas Lutze hält, ist bekannt. Lutze stammt aus Leipzig und fremdelt nicht nur sprachlich. Anders als Lafontaine gehört er zum Reformerflügel der Partei. Lafontaine hatte Lutze schon vor der Bundestagswahl 2013 als Spitzenkandidat verhindern wollen. Statt Lutze wollte er die ehemalige Weltklassetennisspielerin Claudia Kohde-Kilsch auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl sehen. Sie fiel durch, warb dann für die Lafontaine-Vertraute Yvonne Ploetz, die bei einer Stichwahl gegen Lutze zur Siegerin erklärt wurde.
Dann wurden Vorwürfe laut, Stimmzettel seien falsch zugeordnet worden. Lutze erzwang eine notarielle Nachzählung, die ihn mit sieben Stimmen vorne sah. Der Parteitag musste schließlich wegen „Formfehlern“ wiederholt werden. Lutze gewann abermals. Im Wahlkampf verweigerte ihm der geschlagene Lafontaine die Unterstützung.
Lutze muss ohne Unterstützung für sich werben
Bei der Listenaufstellung zur Landtagswahl 2016 gab es wieder Streit. Oskar Lafontaine hatte seine Spitzenkandidatur davon abhängig gemacht, dass sein langjähriger Weggefährte Jochen Flackus auf aussichtsreicher Position platziert würde. Der Parteitag folgte ihm und wählte Flackus auf Platz zwei der Landesliste, die nach der Satzung eigentlich mit einer Frau hätte besetzt werden müssen. Wieder hieß die Verliererin Kohde-Kilsch.
Beim letzten Listenparteitag der saarländischen Linken kandidierte nun Dennis Bard gegen Thomas Lutze. Er bestritt, Lafontaines Kandidat zu sein, räumte aber ein, mit seinem Dienstvorgesetzten über seine Kandidatur gesprochen zu haben. Lutze setzte sich im ersten Wahlgang mit 57 Prozent der Stimmen durch.
Nikolaus Leo Staut, Die Linke
Zu den Querelen schweigt Lafontaine. Am 19. September tritt er in Saarbrücken mit seiner Frau Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, auf. Allerdings wird Lutze, der örtliche Spitzenkandidat, beim Wahlkampffinale nicht auf der Bühne stehen. So war es auch Anfang August bei einer gut besuchten Veranstaltung mit Gregor Gysi. Lutze muss ohne die Unterstützung der Parteiprominenz für sich werben.
Lutze half Mitgliedern finanziell
An diesem Markttag erscheint der saarländische Linken-Spitzenkandidat gegen Mittag am Wahlkampfstand seiner Partei. Er holt erst einmal Kaffee für die GenossInnen und verteilt ein paar Handzettel. Mit Markthändler Buttar Toqee kommt Lutze ins Gespräch. Der Mann, der auf dem Markt Textilien verkauft, plädiert für höhere Renten für Frauen, die Kinder großgezogen haben. Da ist man sich schnell einig. „Straßenwahlkampf ist nicht gerade meine Stärke“, bekennt Lutze dennoch. „Ich bin zwar der größte Abgeordnete im Deutschen Bundestag, aber wenn ich die Leute anspreche, mit meinen 2,04 Metern, dann bekommen sie Angst.“
Dass ihm parteiinterne GegnerInnen vorwerfen, beim Listenparteitag mit Geld Stimmen gekauft zu haben, findet er absurd. „Nicht einer hat sich gemeldet und gesagt, der Lutze hat mich bezahlt“, sagt er und versichert: „Ich habe jetzt nur Wahlkampf im Kopf und versuche das zu trennen.“ Die heftigen Attacken einzelner GenossInnen kommentiert er gelassen: „Wir leben in einem freien Land.“ Im Gespräch räumt Lutze allerdings ein, dass er Mitgliedern mit Geld ausgeholfen hat, um deren fällige Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. „Bevor jemand aus der Partei wegen Geldmangels rausgeschmissen wird, hilft man schon mal, das hat die Landesvorsitzende auch schon mal getan“, sagt Lutze.
„Ein Geschmäckle“
Die Landesvorsitzende, die Landtagsabgeordnete Astrid Schramm, empfängt die taz in einem Besprechungsraum im Landtagsgebäude. „Ja“, sagt sie, „ich habe auch schon mal einem Mitglied geholfen, das seine Beiträge nicht bezahlen konnte, aber nicht unmittelbar vor einem Wahlparteitag, auf dem es um Stimmen ging.“ Wenn ein Schatzmeister, das ist Thomas Lutze im Saarland, selbst in die von ihm verwaltete Kasse Beiträge für Dritte einzahle, „hat das nicht zumindest ein Geschmäckle?“, fragt Schramm. Im parteiinternen Schiedsverfahren über den Wahlparteitag und später bei der Verhandlung vor dem Landgericht sei es ihr nur um Aufklärung gegangen. „Wir hatten die Vorwürfe wegen angeblichem Stimmenkaufs 2009, 2013 und jetzt wieder. Solche Vorwürfe müssen doch restlos aufgeklärt werden!“, sagt sie.
Ihr Landesgeschäftsführer Andreas Neumann sieht das anders. Die Vorsitzende habe sich vor Gericht und Schiedskommission nicht überzeugend für den Bestand der Liste eingesetzt, sie habe im Saarland sogar den Ausschluss von der Bundestagswahl riskiert, wirft er ihr vor. Im Gegenzug erklärt die Landesvorsitzende der taz, sie habe kein Vertrauen mehr zu ihrem Landesgeschäftsführer. Bei den Sitzungen der Wahlkampfkommission treffen sie sich regelmäßig und müssen dennoch zusammenarbeiten.
Gezielte Sabotage?
Doch es geht noch härter. Andrea Neumann und Thomas Lutze haben inzwischen formal den Parteiausschluss von Adolf Loch, dem Schriftführer des Landesvorstands, beantragt. Loch hatte zusammen mit einem Mitstreiter das Ergebnis des Listenparteitags angefochten, zunächst vor der Landesschiedskommission, dann vor Gericht. Das Saarbrücker Landgericht wies seine Klage aber aus formalen Gründen zurück.
An der Person Loch scheiden sich die Geister. Den einen gilt er als aufrechter Kämpfer für Redlichkeit, die anderen werfen ihm parteischädigendes Verhalten vor. Lutze selbst sprach sogar von „gezielter Sabotage“. Die Vorwürfe sorgten für Negativschlagzeilen. Laut Loch habe Lutze Mitgliedern für die Fahrt zum Parteitag Geld bezahlt, bei der entscheidenden Abstimmung hätten Lutzes Unterstützer Wahlzettel kontrolliert, ob das Kreuz an der „richtigen“ Stelle war.
„Wir haben zu viele Clowns“
Die qua Amt zur Neutralität verpflichtete Landeswahlleiterin des Saarlands, Monika Zöllner, ließ die Liste der Linken zwar am Ende zu, äußerte gleichzeitig aber „sehr große Zweifel“ daran, dass beim fraglichen Wahlparteitag alles mit rechten Dingen abgelaufen sei. Das „Herbeischaffen von Unterstützern und die Beratung von Neumitgliedern“ sei zwar zulässig, so die Landeswahlleiterin, das „Maß des zulässigen politischen Werbens“ sei bei der Linkenversammlung jedoch „deutlich überschritten“ worden. Das war allenfalls ein Freispruch dritter Klasse. „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen“, kommentierte denn auch die Linken-Landesvorsitzende Schramm die knappe Entscheidung und versprach weitere Aufklärung.
Über die Ausschlussanträge gegen Loch und einen seiner Mitstreiter muss jetzt die Landesschiedskommission entscheiden. Deren Vorsitzender, Nikolaus Leo Staut, sagte der taz: „Ich muss dafür sorgen, dass Ruhe reinkommt in den Stall.“ Er fügte hinzu: „Jeder Zirkus hat einen Clown, wir haben zu viele davon.“
Der taz liegt eine E-Mail vor, die Staut an Vertraute geschickt hat. In diesem Text ergreift der Kommissionsvorsitzende Partei. Staut spricht da von „Schädigern“, nennt dabei namentlich die Landesvorsitzende und zwei ehemalige Landtagsabgeordnete. Entschlossen warnt er Lutzes GegnerInnen: „Anschnallen, der Krieg ist eröffnet.“ Nachfragen zur Vereinbarkeit eines derartigen Texts mit der Neutralitätspflicht der Schiedskommission blieben unbeantwortet.
Sie beschimpfen sich gegenseitig
Am Wahlkampfstand auf dem Burbacher Markt fragt die taz Spitzenkandidat Lutze nach der E-Mail. Schließlich ist Staut auf seiner Seite. „Da sind ihm wohl die Nerven durchgegangen“, sagt Lutze, schließlich habe der Schiedskommissionsvorsitzende unter erheblichem Druck gestanden. Staut versichert, er wolle über die Ausschlussanträge noch vor der Bundestagswahl entscheiden. Nach dieser Vorgeschichte dürfte der Streit mit Sicherheit bei der nächsten Instanz, der Bundesschiedskommission, landen.
Unterdessen posten die Kampfparteien gegenseitige Vorwürfe und Beschimpfungen im Netz. Die Landesvorsitzende Schramm und ihre Mitstreiterinnen werden als die „Hofdamen von Klein-Napoleon“ geschmäht. Vom Landesgeschäftsführer Neumann werden Fotos verschickt, die ihn im Wichs der nichtschlagenden Studentenverbindung „Carolus Magnus“ zeigen, mit Traditionsfahne und Degen. Damit soll er offenbar diskreditiert werden.
Es bleibt nicht mehr viel Zeit
Der Vorsitzende der Schiedskommission Staut habe Probleme mit der Justiz, wird verbreitet. Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken einen Strafbefehl über 50 Tagessätze zu je 30 Euro gegen Staut beantragt. Er habe zugunsten seines früheren Lebenspartners falsche Aussagen bei der Ausländerbehörde gemacht, so der Vorwurf, der demnächst vor dem Amtsgericht Lebach verhandelt werden soll.
Mit dem Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine holten die Linken an der Saar bei der Bundestagswahl 2009 mehr als 20 Prozent. 2013 waren es mit Thomas Lutze an der Spitze nur noch 10 Prozent. Mindestens 6,5 Prozent der Zweitstimmen benötigt der Kandidat diesmal, sonst verliert er sein Bundestagsmandat. Er persönlich habe für einen solchen Wahlausgang keinen Plan B, „sonst könnte ich keinen Wahlkampf machen“, versichert Lutze.
Seine MitstreiterInnen auf dem Burbacher Markt sprechen unterdessen neue Termine ab. Sie wollen Plakate aufhängen und Infostände organisieren, vor allem dort, wo die GenossInnen die Wahlkampfunterstützung verweigern. Es bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum 24. September.
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