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Die Kunst zu sehenNach dem Ende der Provokation

In der Kieler Kunsthalle sind die überaus präzisen und entschieden altmeisterlich gemalten Bilder der Künstlerin Anita Albus zu sehen.

Ein Ausschnitt des „Waldrappen in Weltlandschaft“ von Anita Albus aus dem Jahr 1999 Foto: Kunsthalle Kiel

HAMBURG taz | Anita Albus hat an ihrem Bild „Eisvogel-Paar in einer Landschaft“ 1.327 Stunden lang gemalt. Das Bild zeigt zwei Eisvögel in einer Flusslandschaft, es ist nur 23,5 mal 16 Zentimeter groß und man verliert sich beim Betrachten sofort in die detaillierten Ausschmückungen von Bäumen und Himmel. Man staunt über die fast schon überpräzise Wiedergabe von Gefieder und Ufersaum und kann sich schnell vorstellen, mit welcher malerischen Intensität die Künstlerin hier während umgerechnet mehr als 34 Arbeitswochen sich der Darstellung des zwar in seiner Existenz nicht bedrohten, aber doch bedrängten Vogels gewidmet hat.

1.327 Stunden – diese Angabe findet sich auf dem erklärenden Schildchen zum Bild, und Anita Albus stellt mit dieser Angabe der Dauer des Malprozesses auch die Frage, wie viel Zeit in die Herstellung des Kunstwerkes eingeflossen ist und wie sich das rechnet; sozusagen so: Nähme man einen durchschnittlichen Handwerkerlohn von 40 Euro, käme man auf die Summe von 53.080 Euro. Beim gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro ergibt sich immer noch der Betrag von 11.730,68 Euro.

Doch angesichts des Kontextes des Bildes, dass zur Serie „Von seltenen Vögeln“ gehört und das in einer Weise gemalt und mehr noch verfasst ist, die man ungestraft altmeisterlich nennen darf, ist es eher unwahrscheinlich, dass Albus nun eine Debatte über die angemessene Entlohnung von Künstlern initiieren möchte. Die Botschaft lautet daher eher: Wahre Kunst ist nicht mit Geld zu bezahlen, sie gehört einer gänzlich anderen Sphäre an.

Entstanden ist das Eisvogelpaar-Bild im Zeitraum von 1979 auf 1980 und es wurde dieser Tage von der Karl-Walter Breitling und Charlotte Breitling-Stiftung zusammen mit 62 weiteren Bildern von Anita Albusgekauft und der Kunsthalle in Kiel als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt.

Kaum präsent auf dem Markt

Damit verfügt die Kieler Kunsthalle über den größten Bestand an Werken von Anita Albus, was insofern eine Besonderheit ist, als die Künstlerin auf dem Kunstmarkt so gut wie nicht präsent ist: Sie wird von keiner Galerie vertreten, sie war entsprechend auf keiner Kunstmesse zu sehen. Die letzte große Ausstellung mit Anita Albus Werken fand 1990 zeitgleich im Schloss Neuhaus in Salzburg und dem Muzejski Prostor in Zagreb statt, nachdem zehn Jahre zuvor Bilder von ihr im Museum Villa Stuck in München zu sehen waren. Danach folgten drei eher kleinere Schauen, sie war in all den Jahrzehnten ihres Schaffens an lediglich zwei Gruppenausstellungen beteiligt.

Nun aber gibt es in Kiel einen nahezu werkumfassenden Blick auf ihr Schaffen, ihr Titel: „Die Kunst zu sehen“. Regina Göckede, die neue Leiterin der Gemälde und Skulpturensammlung des Hauses, die zusammen mit Kunsthallenleiterin Anette Hüsch die Ausstellung kuratiert und eingerichtet hat, sagt: „Wir sind hier im Hause alle Albus-Fans geworden.“ Und Ausdruck dieser Zuwendung und fast Verehrung ist denn auch, dass man im modernen Untergeschoss der Kunsthalle die Decken niedrig gehängt sowie Zugänge zum weiteren Haus geschlossen und so die eigentlich luftig und offen angelegte Ausstellungshalle in eine Art intimes Kabinett verwandelt hat.

Anita Albus wurde 1942 geboren und wuchs als Einzelkind in Oberbayern, dem Teuteborger Wald und dann dem Sauerland auf. Sie studierte ab 1960 an der Essener Folkwangschule Grafik. Es muss ein enttäuschendes Studium gewesen sein, denn sie sagte erstmal der Kunst Ade und arbeitete stattdessen in einem antiautoritär ausgerichteten Kinderladen.

Hier fand sie nach einiger Zeit jedoch wieder Zugang zur Kunst. Sie setzte sich intensiv mit klassischen Wiegenliedern auseinander und dechiffrierte deren angeblich tröstende Absichten als eine tatsächliche Abgrenzung vom Kinde: Es möge still sein und schlafen, vielleicht sogar für immer. Dazu entwickelte sie Illustrationen, in denen sich ihr Hang zu einer Malerei mit Rückgriffen auf Altmeister des 15. wie des 16.Jahrhunderts bereits mehr als andeutet. Sie widmete sich danach surreal anmutenden Landschaftsbildern, in denen die Grundpfeiler der Zivilisation wie Häuser, Eisenbahnen oder Schiffe in absurde Szenerien gesetzt werden, bis ihre Bilder schließlich gänzlich menschenleer wurden und es bis heute bleiben. Zugleich etablierte sie sich als Schriftstellerin: Sie schrieb einen Briefroman, der von der Kritik teils sehr gelobt, teils als biedermeierlich verrissen wurde. Sie setzte sich intensiv mit Marcel Proust und Tanja Blixen auseinander und schrieb Aufsätze zur Kunstgeschichte.

Heute lebt Albus während des Winters in München und den Sommer über im französischen Burgund, wo sie ein Schloss und einen Schlossgarten hat. Dort findet sie die Blumen und Pflanzen und damit das Material für ihren Porträtband „Das botanische Schauspiel“, in dem Wesen wie das Schönhäutchen oder die Mandelraute antreten als seien sie wichtige Personen der Zeitgeschichte.

Kunstwerke mit Aura?

Mittlerweile hat sie eigene Techniken zur Herstellung besonderer Pigmente entwickelt, es gibt Bilder von ihr, die man weniger als gemalte Werke denn als Schichtungen von Pigmenten verstehen könnte und die in ihrer handwerklichen Kunstfertigkeit erst verblüffen und dann beeindrucken. Regina Göckede sagt entsprechend auch: „Es sind für mich keine Kunstwerke im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit.“ Und wie überzeugend ihre Abbildungen – etwa von Tieren in der Serie „Die eifersüchtige Töpferin“ zum gleichnamigen Werk von Claude Leví-Strauss – daher sind, kann Göckede anhand einer kleinen Anekdote erzählen: Sie sei mit einem Zoologen der benachbarten Kieler Universität durch die Ausstellung gegangen, und der habe bei jedem Bild nur anerkennend genickt und erklärt, die Künstlerin müsse diese Tiere wirklich gesehen haben.

Von daher ist es wenig überraschend, dass Anita Albus die gegenwärtige Kunst mit ihren Bewegungen und Gegenbewegungen nicht die Bohne interessiert. Sehr schön wird das deutlich in den drei Feuilleton-Filmen, die am Ende der Ausstellung auf die Besucher warten. „Es hat sich ausprovoziert!“, ruft sie etwa kampfeslustig in die Kamera, spottet über Kollegen wie Dieter Roth und Anselm Kiefer und reduziert damit die vergangenen Kunstjahrzehnte allein auf die angebliche Grundidee der Provokation: „Die Liebhaber der Regelbrüche machen im Regellosen eine traurige Figur.“ Und so lernen wir zum Schluss die Künstlerin als eine Vertreterin eines Rigorismus und einer Selbstbezogenheit kennen, von der man lange nicht weiß, ob dieser einen beeindruckt oder abschreckt – oder ob eines ohne das andere nicht zu haben ist.

Bis 27. August

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