: Die Kunst, im Exil zu leben
■ Der in Buenos Aires geborene Ariel Dorfman zog 1954, als Zwölfjähriger, nach Chile. 1973 ging er ins Exil. Marc Cooper von 'Interview‘ besuchte den Schriftsteller 1988 in Santiago, einige Tage nach der Wahl.
Marc Cooper: Ich will mit einer aktuellen Frage anfangen. Wie die Wahlen ja zeigen, hat General Pinochet seine Gunst in Chile verspielt. Was wird das für die Zukunft Ihres Landes bedeuten?
Ariel Dorfman: Das Wichtigste daran ist, daß Pinochet von dem Volk zu Fall gebracht wurde, das er fünfzehn Jahre lang gefangenhielt. Allein diese Erfahrung ist schon großartig; die Chilenen bilden endlich wieder eine Gemeinschaft. Pinochet versuchte die ganze Zeit über, uns voneinander zu isolieren, aber trotz Einschüchterung und Unterdrückung, trotz all der Lügen und Gehirnwäsche, haben es die Leute still und behutsam geschafft, sich einen Rest geistiger Freiheit zu bewahren.
Pinochet berief sich immer auf Chiles demokratische Vergangenheit und behauptete, die Mehrheit zu vertreten, aber jetzt ist deutlich geworden, daß er und seine Anhänger in der Minderheit sind. Ständig betonte er, von Gott auserwählt zu sein. So etwas ist überaus schwierig zu beurteilen; ich überlasse das lieber den Astrologen. Zu seinem Leidwesen zählen in diesem Land allein die Wahlen, und Gott wählt ja bekanntlich nicht.
Noch gibt es Verhaftungen und Folter in Chile, aber wir sind auf dem Weg zur Demokratie und nichts und niemand kann uns mehr davon abbringen.
Wie konnten sich die Chilenen General Pinochet entziehen?
Es war Pinochet nicht möglich, den Menschen ihre Erinnerungen zu nehmen. Er verzerrte die Vergangenheit, verleugnete die Zukunft und überschattete die Gegenwart aber all das gelang ihm eben nicht vollständig. Schon die bloße Tatsache, daß wir uns hier unterhalten und daß sich das Volk nach all dem gegen ihn entscheiden konnte, zeigt das.Jetzt eine vielleicht unfaire Frage: Wenn es keinen Pinochet gegeben hätte und Sie niemals emigriert wären, über was hätten Sie denn dann geschrieben? Möglicherweise ist es ja so, daß Pinochet Ihnen zu einer Karriere verholfen hat.
Die Frage ist nicht unfair, sie ist einfach nicht zu beantworten. Ich kann mir mein Leben ohne Pinochet und das Exil nicht vorstellen. Da könnten Sie genausogut fragen, was aus einem Faulkner in den Nordstaaten der USA geworden wäre.
Bestimmte Fragen, die mir besonders am Herzen liegen, hätte ich wohl in jedem Fall literarisch behandelt. Der Widerstand beispielsweise hat mich immer außerordentlich interessiert, wie man angesichts der Unterdrückung noch menschlich bleiben kann. Und Unterdrückung gibt es nicht erst seit Pinochet. Die existiert, besonders in Lateinamerika, schon seit Menschengedenken. Ich bin besessen von geschichtlichen Themen, auch von dem Phänomen des machismo, von dem problematischen Verhältnis zwischen Mann und Frau. Ich hätte also in jedem Fall darüber geschrieben, auch wenn Pinochet nicht Chiles supermacho geworden wäre und wenn man das Land nicht so vergewaltigt hätte wie eine hilflose Frau.
(Man hört einen Hubschrauber über dem Haus). Jetzt ist er da oben.
Bringt es für Schriftsteller irgendwelche Vorteile, im Exil zu leben? Denken Sie an all die - freiwillig oder unfreiwillig - Exilierten, die in der Literatur eine große Rolle spielen: Joyce, Hemingway, Beckett, Kundera... diese Reihe läßt sich ja beliebig fortsetzen
Tja, darüber habe ich ausgiebig nachgedacht. Zunächst muß man bedenken, daß wir vor allem die Geschichte derjenigen kennen, die in ihrem Exil erfolgreich sind. Die Öffentlichkeit hört auf jene, die alles herausschreien. Die Mehrheit der Exilierten kann nicht auf sich aufmerksam machen. Es gibt Menschen, die bringen sich um, die sterben vor Heimweh, andere wieder lernen niemals die Sprache des Landes, in dem sie leben müssen, oder sie nehmen sich und ihre Bedürfnisse soweit zurück, daß sie nur noch so dahinvegetieren. Und dann gibt es auch noch die Nostalgiker, die ihr Leben lang die Erinnerung an ihre Heimat pflegen und zu nichts anderem mehr kommen. Aber - niemand spricht von diesen Leuten. Ich bin nicht so, ich habe diese Zwangslage für mich verwendet. Ich bin erfolgreich; ich habe von meinem Land profitiert, niemals wäre das in einem solchen Maße der Fall gewesen, wenn ich all die Jahre dort verbracht hätte. Aber dennoch, ich will das nicht noch einmal durchleben, nicht für die schönsten Bücher der Welt, die ich deshalb vielleicht schreiben könnte. Es ist eine entsetzliche Erfahrung, ausgesetzt zu sein.
Glauben Sie, daß man einen Diktator literarisch bekämpfen kann?
Es ist gefährlich, Literatur als einen Ziegelstein zu benutzen, mit dem man den Diktator bewirft, in der Hoffnung, all die Worte würden ihn erschlagen. Das Verhältnis von Literatur und Gesellschaft ist in Wirklichkeit viel komplexer, dessen war ich mir immer bewußt. Wir brauchen auch nicht nur schriftlich fixierte Denunziationen, sondern eine Literatur, die die schrecklichen Geschehnisse in Chile hinterfragt und ergründet.
Von Ariel Dorfman ist momentan auf deutsch lieferbar: „Der einsame Reiter und Babar, König der Elefanten“, Rowohlt Verlag. „Der Tyrann geht vorüber“ wird im Februar 1989 im Lamuv Verlag erscheinen.
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