piwik no script img

Die Kunst der WocheIm Rausch der Lektüre

Kameelah Janan Rasheed erklärt die Galerie zum begehbaren Textfeld. Ein lustvoller, bilgewordener Ausdruck der Reflexion, der uns bis ans Meer führt.

Blick in die Ausstellung „that is complete. and knowledge is another“ von Kameelah Janan Rasheed Foto: Marjorie Brunet Plaza; Courtesy the artist and NOME

Die Kunst von Kameelah Janan Rasheed ist ein raumgewordener Traum aus Copy Art. Eine absolute Lust für's Auge, das sich allein beim Blick durch die Glasfenster in der Schriftkunst verliert will, die hier am Werk ist. Für „that is complete. and knowledge is another“, ihre dritte Einzelausstellung in der Galerie NOME, hat Janan Rasheed die Galerie in einen installativen Denk- und Bewegungsort aus Schwarz-Weiß-Abhebungen überführt.

Das räumliche Komponieren beginnt bereits bei der Aufteilung der Wände, Winkel und Nischen, durch die der Ausstellungsraum zu einer feinen Balance aus Cocoons und Freiflächen findet. Und die Idee, die sich im Titel andeutet, Vollständigkeit könne es erstens geben und zweitens sei diese der Schlüssel zum Wissen – sie wird hier weder verworfen noch umklammert. Eher zeigt sich, dass Reflektion unendliche Pfade einschlagen und mögliche Verknüpfungen eingehen kann. Rasheed hat keine Angst vor dieser unendlichen Fülle, sie taucht in sie ein.

Hinter Plexiglas und auf Papier kopierte und in Pigmentdrucke und Wandbilder übersetzte Archivmaterialien ergänzen sich mit per Hand hinzugefügten Notizen und Zeichnungen. Es sind Hervorhebungen, die Fragen von Zugehörigkeit und Erkennbarkeit stellen, und nach einem Recht auf Undurchsichtigkeit fragen, das Politiken des Zeigens in Zweifel zieht.

Die Ausstellung

Kameelah Janan Rasheed: that is complete. and knowledge is another. NOME, bis 27. Juli, Di.–Sa. 13–18 Uhr, Potsdamer Str. 72

Dabei untersucht die Künstlerin auch die Sprache selbst immer wieder in ihrer Handlungsmacht: „Can A Sentence Have Desires?“, fragt sie. Auf einem Siebdruck hat Janan Rasheed die subtilen Parameter einer Art Labyrinth festgehalten („Supple Perimeters II“, 2023
). Vielleicht bewegt sie sich am liebsten im Sinne der „Apophenia“, wie sie in der Arbeit „Call and Response I“, ebenfalls von 2023, als Notiz auftaucht, jener Fähigkeit, in zufälligen Elementen Muster und Beziehungen zu erkennn. Ein Sehen von Verbindungen also, das in der Psychologie als „grundlos“ pathologisiert wird, hier aber im Remix aus mathematischen Formeln, Gebetselementen und kosmologischen Fragen tiefe Zusammenhänge aufdeckt.

Kameelah Janan Rasheed, „Your Analogy is a Sloppy Menace (Annotated)“, 2024 Foto: Marjorie Brunet Plaza; Courtesy the artist and NOME

Selbst zum Orakel geworden, schreibt Janan Rasheed mit ihrem Werk an der Tradition Schwarzer experimenteller Poesie fort, sie dekonstruiert Sprache, pflegt sie und fügt sie neu zusammen. Racheed kombiniert dabei die Elemente so, dass sich die Dimensionen verschieben. Was einmal ein Blatt im DIN A4-Format war, nimmt nun eine ganze Wand ein. Textstellen aus Büchern destillieren sich zu zwei Wörtern, die in Schreibmaschinenschrift auf kleinen Flächen die Kante hoch laufen, an der sich zwei Wände treffen. Von Weitem ein Muster aus schwarzen Rechtecken, lässt das nähere Hinsehen die Zitate und Gedanken auf den minimalen Texträgern erkennen: „Your sentence is sweating“.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

In einer Raumnische, die mit ihrem mattem, dunklen Grund für einen Moment alles in Ruhe versetzt, flackern zwei Videomonitore, dazwischen erscheint auf einem Print ein Gesicht, das sich in Wellenbewegungen verzieht und vervielfacht. In weiteren Collagen und Drucken bilden sich abstrahierte Formationen, die an Felsformationen und Meeresgischt erinnern. So auch in der 34-teiligen Serie „Spirit 1-34“ von 2021, die Außenwand der Nische schon fast schützend zu säumen scheint.

In ihrem Universum aus Lektüre und Notiz, in dem samtige Druckerschwärze auf flüssiges Rauschen trifft, führt Rasheed uns zur Erotik der Reflektion zurück. Die unaufhaltsamen Kräfte, die längst in uns ruhen, hier finden wir wieder zu ihnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!