Die Kunst der Woche: Verbindendes und Trennendes

Bei Tanja Wagner erzählt Pınar Öğrenci Geschichten der Gastarbeit. In der Gruppenausstellung „Hyphen“ bei Heit werden Suffixe zum Leitmotiv.

Schwarz-Weißer Filmstill, der zwei Menschen auf einer Brücke zeigt. Sie lehnen am Geländer und schauen in Richtung zweier Farbrikschlote am Horizont, aus denen Rauschschwaden aufsteigen

Szene aus Pınar Öğrencis Filmarbeit „Glück auf in Deutschland“, 2024 Foto: Courtesy the artist and Galerie Tanja Wagner, Berlin

Weiße Wäsche weht vor Kohlehaufen im Wind. Eine Gruppe Frauen, die sich über Flick- und Näharbeiten beugen, stützen sich auf das Gebäude einer Zeche, als handle es sich dabei um einen Küchentisch. Jugendliche Turner klettern an Schornsteinen hoch oder scheinen vom Himmel mitten auf Industriegelände zu stürzen. In Foto-Collagen versucht Pınar Öğrenci dem Leben von Gastarbeiterfamilien im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit nachzuspüren, den physischen Strapazen, der Härte des Alltags jedweder Art. „Glück auf in Deutschland“ heißt die Ausstellung, die noch bis zum 8. Juni bei Tanja Wagner zu sehen ist.

„Glück auf“, wie der Gruß der Bergleute – vor allem aber spielt der Titel auf die Hoffnungen der ersten Gastarbeitergeneration auf ein besseres, glücklicheres Leben in Deutschland an, Hoffnungen, die kaum erfüllt wurden. Auch in der zentralen Videoarbeit arbeitet die kurdische, in der Türkei geborene Künstlerin und Filmemacherin mit schwarz-weißen Fotografien aus der Industriegeschichte des Ruhrgebiets und solchen aus den Lebenswelten der Gastarbeiter*innen.

Sie montiert sie zusammen, unterlegt die Bilder mit Kommentaren und Auszügen aus Interviews mit Expert*innen, For­sche­r*in­nen und Menschen, die dabei gewesen sind. Kaleidoskopartig zeichnet sie eine unterbelichtete Geschichte Deutschlands nach, eine deutsch-türkische vor allem, wie sie aktuell auch Ersan Mondtag im deutschen Pavillon in Venedig aufarbeitet.

Pınar Öğrenci: Glück auf in Deutschland. Galerie Tanja Wagner, bis 8. Juni, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Pohlstr. 64

Hyphen. Gruppenausstellung. Heit, bis 22. Juni, Mi.–Fr. 15.30–18.30 Uhr, Sa. 12–18 Uhr und nach Vereinbarung, Eichendorffstr. 5 Str. 14

Öğrenci bildet die vom Kohlenstaub geschwärzten Häuser ab, erzählt von geplatzten Träumen, lachende Kinder mit Zahnlücken, Kinder, die für ihre Eltern auf Ämtern zu Dol­met­sche­r*in­nen wurden – und dabei all die Sätze wegließen, die ihre Familien abwerteten. Sie zeigt rare Momente des Widerstands gegen Arbeitsbedingungen und Zwangsarbeiterlager, die nach dem Krieg zu Gastarbeiterlagern wurden. Thematisiert wird darin auch die unsichtbare (Haus-)Arbeit der Frauen der Bergleute, eine Studie wird zitiert, die den Kalorienbedarf der Minenarbeiter wie der Hausfrauen berechnete: Er war gleich hoch.

In Sprache verflochten

Etwas mehr Zeit noch kann man sich für die aktuelle Ausstellung bei Heit lassen. Heit lautet der Name des Projektraums der Künst­le­r*in­nen Carolin und Gernot Seeliger. Über eben den hat die Kuratorin Gabriela Anco, die dort gerade die Gruppenausstellung „Hyphen“ ausrichtet, nachgedacht. Was man darin lesen kann, ist ein deutsches Suffix, finale Silbe etwa der Wörter Schönheit, Klugheit, Klarheit, Dummheit.

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Das englische Wort Basement, Keller also, – in einem solchen befindet sich der Raum – umfasst mit „-ment“ ein vergleichbares sprachliches Element. „-heit“ stammt etymologisch von dem germanischen Wort „haidu“ ab, das so viel wie Art und Weise oder Erscheinung bedeutet, während „-ment“ wiederum auf die lateinische Endung „-mentum“ zurückzuführen ist. „-heit wird in der Regel an ein Adjektiv angehängt und abstrahiert dieses, „-ment“ eher an ein Verb. Das Nomen, das dabei entsteht, beschreibt das Ergebnis einer Aktion.

Ihr Konzept zu „Hyphen“ – dem englischen Wort für Bindestrich – leitete Anco aus derlei Überlegungen zur Grammatik indogermanischer Sprachen ab. Eingeladen hat sie dazu die Künstlerinnen Mara Fortunatović, Zarah Lanes und Daniela Macé-Rossiter sowie das Duo hormoneS, dessen Musik man mit sehr vielen Bindestrichwörtern beschreiben könnte. HormoneS kombinieren barockes Cembalo mit zeitgenössischer Elektronik, am vergangenen Freitag spielten sie das live in der Ausstellung, bildeten quasi zusätzliche Bindestrichen zwischen deren Exponaten.

Als da wären fotografische Arbeiten und solche aus Tinte von Zarah Landes, die etwas abbilden, eine Handlung, die schon vorbei ist – Kategorie „-ment“ also – das Einwickeln eines Objekts offenbar. Eines Tripods, wie man ihn in der Fotografie benutzt, so ist es im Text zur Ausstellung nachzulesen.

Viel -heit indes lässt sich in den Kupferrohrgebilden von Mara Fortunatović erkennen: Schönheit in der Einfachheit und der Verbundenheit. Daniela Macé Rossiters Digitaldrucke auf Kunstseide verweisen indes auf eine weitere Bedeutung des Wortes Hyphen: Es bezeichnet auch die fadenförmigen Zellen von Pilzen, die sich als weit verzweigte Geflechte im Boden ausbreiten.

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Redakteurin für Berlin Kultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Für die taz schreibt sie vor allem über zeitgenössische Kunst, Musik und Mode. Für den taz Plan beobachtet sie als Kunstkolumnistin das Geschehen in den Berliner Galerien und Projekträumen.

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