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Die Küche als Weltsystem

■ Schauspielhauskantine: Premiere von Tim Krohns Der Schwan in Stücken

Die Bühne ist eine Baustelle. Plastikplanen hängen vor der Rückwand, ein Gerüst steht davor. Hier inszeniert Regisseurin Gabriele Jakobi den absurden Text Der Schwan in Stücken des jungen Schweizer Autors Tim Krohn. Es ist die Geschichte von Andris, dem Koch, in dessen Umfeld vor Jahren ein Mord geschah. Der Kommissar, der mit dem Fall betraut war, hat nie etwas klären können.

Längst ist die Suche nach der Wahrheit zum Perpetuum im Leben der beiden geworden, die noch Jahre nach dem Geschehen wie ineinander verbissen sind. Der Kommissar, längst pensioniert, kann von dem Koch nicht lassen. „Der Koch“, sagt Jakobi, „ist eine Figur, die sämtliche Inhalte und Regeln verloren hat. In seinem Null-Zustand versucht er ständig, sich die Welt durch Kochrezepte zu erklären, und durch Bücher: Nietzsche und Plinius.“ Auch der Kommissar hält sich an Systemen fest, die nichts mit ihm zu tun haben, steht im Raum wie freischwebend.

„Der Text ist nicht als Komödie geschrieben,“ urteilt die Regisseurin. „Er zeigt eher eine absurde Situation, in der beide versuchen, über Regelsysteme die Welt zu erklären. Die Komik, die komischen Momente, entstehen aus dem Absurden. Es gibt eine Stelle, die für mich den ganzen Text gut zusammenfaßt: ,Diese Haut ist dünn, in dieser Stadt, in meiner Küche in einer Zeit, in der alles in Teile zerbricht' heißt es da.“

Im Umgang mit dem Text, dessen hohe Qualität und Assoziationsdichte sie lobt, hat die Regisseurin sich Freiheiten erlaubt: „Ich habe aus dem Monolog einen Dialog gemacht, weil das dramatisch spannender ist. Der Text hat bei mir deutlicher eine real-psychologische Ebene. Es ist eben so, daß man am Theater, sobald man Menschen erzählen will, die Psychologie braucht. Sonst kann man keine menschlichen Figuren erzählen. Selbst die Marx Brothers haben ja einen sehr psychologischen Anteil!“

Dem Autor soll's recht sein: er, der gern eine besondere Vielzahl von Brüchen für sich in Anspruch nimmt, und kürzlich schrieb: „Ich mag es, wenn eine Inszenierung jede Eindimensionalität und Geschlossenheit des Textes aufbricht, ihn öffnet, Widersprüche einbaut...“ ist hier beim Wort genommen worden. Thomas Plaichinger

Heute, morgen und Sonntag, 21 Uhr, Schauspielhaus

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