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Die KritikBitte keine Rache?

WAS SAGT UNS DAS? Eine Homoaktivistengruppe sucht im Internet nach Hassposts wider LGBTI*-Menschen. Und alle fragen: Darf sie das?

Die Berliner Gruppe „Enough is Enough“ (EiE) ist eine schwuler Männer und versteht sich auf die Kunst der Aufmerksamkeitsorganisation. Kurz vor den Olympischen Spielen im russischen Sotschi etwa organisierte sie vor der Botschaft Russlands am Brandenburger Tor Proteste. Die nicht auf Diplomatie geeichte Act-Up-Formation will anprangern – und nicht nur Schwule, Lesben, Trans*- und Intermenschen erreichen, sondern alle: Homophobie, so die Überzeugung, ist keine moralische Del­­le, keine ethische Bagatelle, sondern muss auch Heterosexuelle interessieren.

Nun hat EiE nach homophobem Hass im Netz fahnden lassen. Sie wurden an vielen Stellen fündig, aber zwei Fälle und ihre Aufbereitung fanden nun das Missfallen der queeren Community: EiE erkannte in dem Wunsch einer Posterin, Schwule am liebsten alle töten zu wollen, keine Form jugendlichen Irre­seins. Vielmehr machten sie den Arbeitgeber der jungen Frau ausfindig, erkundigten sich danach, ob in diesem Heim auch schwule Patienten seien, und als dies bejaht wurde, meldeten sie, dass diese Mitarbeiterin befürworte, Homosexuelle am liebsten umbringen zu wollen.

Publizisten wie der frühere Männer-Chefredakteur David Berger – aber auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs – kritisierten diese Aktion nun scharf. Man dürfe weder die Namen der inkriminierten Personen veröffentlichen noch diese an deren Arbeitgeber melden. (Der von EiE gemeldeten Person wurde tatsächlich als Auszubildende gekündigt.) Berger, ein sonst keineswegs zimperlicher Bürgerrechtskämpfer in queerer Hinsicht, moniert, die junge Frau hätte bekehrt werden können, ja, der „Online-Pranger“ sei der falsche Platz, um sie zu – ja: was eigentlich? Zu ermahnen? War sie nur ein Frechdachs, eine, deren Schaden im Weltbild sich noch auswachsen werde?

Ist es nicht vielmehr so, dass EiE endlich auch im schwulen Öffentlichkeitsbereich sich an die Arbeit der Unfriedfertigkeit macht? Denn: Hätte man einer jugendlichen Person mit Hass- und Tötungsfantasien wider Juden oder Muslime diese als pubertierende Grille ausgelegt?

Wer das Netz einmal – Heteros, traut euch! – nach nicht nur mehlig-unbestimmtem Hass gegen (vor allem) Schwule durchpflügt hat (im Sinne von: „Schwuppen? Ganz doof!“), sondern nach Üblichkeiten der „Schwule – ein Dreck!“ fahndet, weiß, dass da keine Irren am Posten sind, sondern Überzeugungstäter*innen. Und die gehören tatsächlich an den Pranger – wohin denn sonst? Irgendwann ist es auch gut mit Pädagogischem, mit gutem Zureden und freundlich gesinnten Bildungsangeboten. Irgendwann, also jetzt, darf es auch ein „Wir zeigen dich öffentlich“ sein. Wer Schaden stiftet, darf Beschädigung in eigener Sache nicht fürchten, nicht wahr? JAF

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