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Die Krise nährt schon die nächste Krise

■ Nachdem Rußland letzte Woche den Rubel abgewertet und seine Schuldenzahlungen ausgesetzt hat, suchen Anleger nach einem sicheren Hafen für ihr Geld. Aber der Sturm hat außer Asien und Rußland auch Südamerika erfaßt. Die Menschen in Rußland spüren die Krise im Geldbeutel.

Wenn früher in Venezuela ein Ölfaß umfiel, interessierte das Anleger auf den internationalen Finanzmärkten überhaupt nicht. Heute reicht schon das Kippeln, und die Händler von Aktien und Bonds, Futures und anderen Derivaten geraten in Panik. Die Krise nährt die Krise. Nachdem letzte Woche Rußland de facto den Rubel abgewertet und seine Schuldenzahlungen ausgesetzt hat, setzte eine Jagd über den Globus ein. Anleger zogen ihr Geld von der Börse Frankfurt zurück, da sie um ihre Gewinne aus Papieren deutscher Banken fürchteten. Die haben 54 Milliarden Mark in Rußland verliehen. Fondsverwalter und Broker legten das Geld daraufhin in Brasilien und Argentinien an, was ihnen dann auch nicht mehr sicher erschien, um schließlich in US-amerikanische Staatsanleihen zu investieren.

Dieselbe globale Umschichtung erreichte die Devisenmärkte: Die Fluchtbewegungen erfaßten nach dem Rubel den polnischen Zloty und landete schließlich beim brasilianischen Real und dem venezolanischen Bolivar. Die Börse in Venezuelas Hauptstadt Caracas brach am Donnerstag und Freitag um 9,5 und 8,4 Prozent ein. Präsident Caldera überlegte daraufhin, sein Land mit Sondergesetzen vor den Auswirkungen der Rußland- Krise zu schützen. Dabei hat das südamerikanische Land auf den ersten Blick kaum Verbindungen zu dem russischen Riesenreich. Doch hängt Venezuela ebenso wie Rußland an Energieexporten, genauer gesagt lebt das Land vom Erdöl. 75 Prozent seiner Devisen nimmt Venezuela jährlich durch den Verkauf von Erdöl ein. Doch aufgrund der Krise in Asien ist der Preis eingebrochen. Denn wer weniger produziert, braucht auch weniger Energie. Außerdem benötigen die asiatischen Industrienationen jeden Dollar, um ihre eigene Währung zu halten.

Finanzjongleure auf der ganzen Welt sahen nun in der vergangenen Woche die Parallelen zwischen den beiden so weit auseinanderliegenden Ländern. Wenn Rußland 1997 nur zu schätzungsweise 48 Prozent an den Öl- und Gasexporten hing und diese in diesem Jahr nur noch zu 38 Prozent zu den Staatseinnahmen beitragen, was wird dann erst in Venezuela passieren? Zumal die venezolanische Regierung sich ebenfalls nicht um schnelle Reformen bemüht. Außerdem gilt der venezolanische Bolivar zu 40 Prozent als überbewertet. Da die Währung dieses Jahr schon 14 Prozent an Wert verloren hat und dann Gerüchte kursierten, der Bolivar werde abgewertet, zogen Spekulanten ihr Geld aus Caracas zurück. Damit nicht genug: Wenn erst der Bolivar abgewertet würde, dann würden auch sowohl die argentinische wie auch die brasilianische Währung unter Druck geraten und dann wäre ganz Südamerika verloren. Mexico erging es nicht besser. Zwar hat das Land nach der Tequila-Krise Anfang 1995 alle Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) brav umgesetzt und gilt nun als dessen Lieblingskind. Doch ist der Staatshaushalt auch dort durch den Ölpreisverfall belastet. Außerdem plant die mexikanische Regierung, Schulden von Banken und Unternehmen aus der damaligen Krise zu übernehmen. 65 Milliarden Dollar würde sich Mexiko damit aufladen. Dabei hat der mexikanische Peso bereits seit Januar 17 Prozent verloren. Das motivierte die auf Gewinnmaximierung ausgerichteten internationalen Anleger ebenfalls nicht. Sie verließen den Finanzplatz Mexico-City, und der Peso verlor am Freitag noch einmal 4,6 Prozent im Verhältnis zum US- Dollar.

Mit Rußland selbst hat das nichts zu tun. Die Handelsbeziehungen zwischen Mexiko und Rußland belaufen sich auf einen Austausch von Waren, die nicht einmal 200.000 US-Dollar wert sind. Und auch wenn dem einen oder anderen Russen ein Glas Tequila abgehen würde, könnten beide Länder gut ohne einander leben. Aber das sind Überlegungen, die nervöse Spekulanten in der Krise nicht anstellen. Für sie gilt, ihre gehetzten und scheinbar weltweit von Verlusten bedrohten Gelder in sichere Häfen zu bringen.

Aber was ist heute noch sicher? Die Spekulationen um spekulative Abwertungen in Lateinamerika zogen auch die Börsenkurse in Madrid nach unten. Denn Spanien hat traditionell beste Verbindungen nach Südamerika. Spanische Unternehmen gehören zu den größten Investoren in den Ländern auf der anderen Seite des Atlantiks. Doch die goldenen Dächer, die schon Columbus vor 500 Jahren auf dem Kontinent entdeckt haben wollte, sahen spanische Anleger mit Grünspan überzogen. Sie verkauften eilig Anteile an den größten Investoren in Lateinamerika – der spanischen Telefonica und den Banken Bilbao Vizcaya und Santander –, die ihren Börsenwert in der vergangenen Woche um zwei Billionen Peseten schwinden sahen. Ulrike Fokken

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