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■ Die Kosovo-Erfahrungen dürften im Westen die Bereitschaft gesenkt haben, auch künftig zu militärischen Mitteln zu greifenDer Sieg hat viele Väter

Die jugoslawische Bevölkerung hat großes Glück gehabt. Die ganze jugoslawische Bevölkerung: Serben, Albaner und alle anderen Gruppen des zerrissenen Landes. Dieser Satz bedeutet keine Mißachtung des Elends, das über sie hereingebrochen ist. Aber es hätte noch viel schlimmer kommen können. Ein jahrelanger Stellungskrieg am Boden hätte die Zukunft von Generationen zu zerstören gedroht, im Kosovo und anderswo. Seine Folgen wären unabsehbar gewesen. Wir Europäer haben alle Glück gehabt.

Es mußten sehr viele günstige Umstände gleichzeitig zusammentreffen, damit der Weg zum Frieden geebnet werden konnte. Rußland hatte seit Beginn der Nato-Bombardierungen am 24. März erkennen lassen, daß es eine Internationalisierung des Konflikts zu vermeiden wünschte. Die Überheblichkeit, mit der Unterhändler aus Moskau von siegesgewissen Westeuropäern zunächst behandelt worden waren, wich schließlich einer aufrichtigen Dankbarkeit für deren Willen zur Kooperation. Ohne Rußland war der Frieden nicht zu gewinnen: Das ist eine der wichtigsten Lehren aus dem Ablauf der vergangenen Wochen.

Aber Rußland alleine hätte eine weitere Eskalation des Krieges nicht verhindern können. Wesentlichen Anteil daran hatte auch der Kongreß der Vereinigten Staaten. Selbst mächtige Befürworter (und Befürworterinnen) eines Bodenkrieges in den Reihen der US-Regierung kamen an der Erkenntnis nicht mehr vorbei, daß dort eine Mehrheit für ein solches Vorhaben nicht zu erringen war. Als weiterhin nützlich hat sich der zufällig am kommenden Wochenende bevorstehende Termin der Europawahlen erwiesen.

Wie groß die Friedenssehnsucht einzelner westlicher Politiker nach Wochen des erfolglosen Luftkrieges auch gewesen sein mag: Sie wurde gewiß von der Tatsache beflügelt, daß die Bevölkerung in den meisten Staaten der Europäischen Union den immer neuen Rekordbombardements zunehmend kritisch gegenüberstand. Mancherorts wuchs die Zahl der Kriegsgegner, in anderen Ländern der Wunsch nach einer Beendigung der Krise durch Bodentruppen. Ein schlichtes „Weiter so!“ aber fand immer weniger Anhänger. Die Teilnehmer des Kölner EU-Gipfels standen somit unter einem gemeinsamen Erfolgszwang. Sie alle wollen am Sonntag schließlich bei den Wahlen möglichst gut abschneiden.

Der Sieg hat viele Väter, die Niederlage ist Vollwaise: Wieder einmal erweist sich der alte Spott als wahr. Daß Belgrad die Unterzeichnung des Abkommens als Sieg der friedliebenden Politik von Präsident Slobodan Miloevic bezeichnet, läßt sich noch unter der Rubrik „Skurriles“ ablegen. Hilflos wirkt aber auch der Versuch der Nato-Staaten, das jetzt vorliegende Ergebnis als eigenen Erfolg auf der ganzen Linie darzustellen. Allzu deutlich hörbar war der kollektive Stoßseufzer der Erleichterung, als sich endlich ein Ausweg aus der Krise bot – und allzu vielen bitteren Einsichten haben die Vertreter der Militärallianz Rechnung tragen müssen.

Es hat sich gezeigt, daß die UNO zwar reformbedürftig sein mag, aber bei der Suche nach langfristigen Lösungen noch immer nicht einfach übergangen werden kann. Keine Nato-Truppen, sondern internationale Einheiten mit einem Mandat der Vereinten Nationen rücken in das Kosovo ein. Die Frage drängt sich auf, ob ein entsprechendes Mandat des Weltsicherheitsrates nicht schon vor Beginn des Luftkrieges erreichbar gewesen wäre, hätte sich der Westen damals mit gleicher Intensität darum bemüht wie in den vergangenen Wochen. Die Historiker werden das entscheiden.

Bestätigt hat sich außerdem die Erkenntnis, daß sich ein Diktator nicht einfach aus dem Amt bomben läßt. Das hat sich bereits am Beispiel von Iraks Präsident Saddam Hussein und jetzt erneut an Slobodan Miloevic gezeigt. Noch immer ist er Präsident von Jugoslawien, und allen vollmundigen Absichtserklärungen zum Trotz war er bis zum Schluß der Verhandlungspartner des Westens bei der Suche nach einer Lösung. Aber Miloevic wird inzwischen als Kriegsverbrecher gesucht, und die nicht zu beschönigende Niederlage im Kosovo hat seine Machtbasis auch im eigenen Land geschwächt.

Warum also hat er nachgegeben? Die Wucht der Bomben alleine reicht als Grund nicht aus. Der einstmals starke Mann hat nicht mehr viel zu verlieren, für ihn geht es inzwischen ums physische Überleben. Es muß ihm persönlich ein Ausweg angeboten worden sein. Vermutlich werden schon die nächsten Tage zeigen, worin der besteht – vielleicht im russischen Exil. Ohne Hilfe von Moskau hätte die Nato das Problem des Diktators jedenfalls nicht lösen können. Die Rollen des Angreifers und des Retters sind miteinander unvereinbar.

Ein wichtiges Ziel des Westens ist immerhin erreicht worden. Die Befriedung des Kosovo und eine Rückkehr der Flüchtlinge ist in greifbare Nähe gerückt, auch wenn noch immer hohe Hürden aus dem Weg zu räumen sind. Für die Zukunft des Balkan wird vieles davon abhängen, ob mit der Entwaffnung der albanischen UÇK tatsächlich ernst gemacht wird und ob die internationalen Truppen imstande sein werden, jetzt auch die nichtalbanischen Bewohner des Kosovo vor Racheakten zu schützen, ihren Exodus zu verhindern und so einer faktischen Teilung der Region entgegenzuwirken. Wenn der Westen bereit ist, für den Frieden ebenso wie vorher für den Krieg zu zahlen, dann gibt es jetzt zumindest die Chance für einen Wiederaufbau und für Stabilität. Das ist viel.

Aber der Preis dafür war hoch. Die Nato-Staaten, die Menschenrechte höher eingestuft haben als das Verbot eines Angriffskrieges, haben selbst Unrecht begangen. Die Bombardierung ziviler Ziele, die Zerstörung der Infrastuktur in ganz Jugoslawien und die Bereitschaft, schuldlose Opfer in den Reihen der serbischen Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen, hat die Glaubwürdigkeit der Hüter universaler Werte beschädigt. Je länger der Krieg gedauert hätte, desto mehr drohte der Westen an Ansehen im Rest der Welt zu verlieren.

Auch die führenden Politiker der Nato-Länder haben Glück gehabt, daß ihnen eine weitere Eskalation des Konflikts erspart geblieben ist. Viele von ihnen wissen das, mögen sie jetzt das Ende dieses Krieges nach außen hin auch noch so trotzig als Bestätigung des eigenen Kurses darstellen. Die Erfahrungen der letzten Wochen dürften die Bereitschaft des Westens eher verringert als gestärkt haben, im Falle von Konflikten zu militärischen Mitteln zu greifen. Das jedenfalls ist zu hoffen. Glück ist unbeständig und das Vertrauen darauf ein schlechter Ratgeber. Bettina Gaus

Ein Ziel ist erreicht – die in greifbare Nähe gerückte Befriedung des Kosovo

Wurde dem Diktator Milosevic ein Exil in Rußland als Ausweg angeboten?

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