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Die Kinder wünschen sich ein Schweineohr

■ Die rumänische Familie Izsák muß im Monat mit 80 Mark auskommen. Deshalb erzeugt sie viele Lebensmittel selbst. Teil II der taz-Serie über Konsum-Wünsche und Wirklichkeiten

Csaracsó (taz) – Für Familie Izsák ist der Winter eine anstrengende Jahreszeit. Manchmal liegt morgens der Schnee einen halben Meter hoch. Dann spannt Béla das Pferd vor den Wagen und zieht mit einem selbstgebauten Schneeschieber eine Furche, so daß seine Frau ins nächstgrößere Dorf einkaufen gehen kann und der kleine Junge Béluka den Weg zu Schule schafft. In diesem Jahr aber ist das Wetter gnädig. Noch war es nicht so schneidend kalt wie gewöhnlich. Und geschneit hat es nur wenig.

Der Winter ist aber auch eine üppige Zeit – vergleichsweise. Vor Weihnachten wird, wie es in Rumänien Brauch ist, ein Schwein geschlachtet. Die Kinder streiten dann um die begehrten Ohren und das Schwänzchen. Übers Jahr muß sich die Familie Izsák meistens mit Brot, Zwiebeln, Kartoffeln, Maisbrei, Bohnensuppe und Speck begnügen. Und zur Jahreswende ist auch noch etwas von dem Pflaumenschnaps übrig, den Béla im Spätherbst in einem Kupferkessel gebrannt hat.

Das Dorf Csaracsó, in dem Familie Izsák lebt, liegt im Szeklerland in den rumänischen Ostkarpaten. Es ist einer jener 8.000 rumänischen Orte, die vor zehn Jahren auf Ceaușescus Systematisierungsliste standen. An ihrer Stelle wollte der größenwahnsinnige Diktator 500 agro-industrielle Zentren errichten. Dank seines Sturzes hat das Dorf überlebt. Die LPG wurde nach 1989 aufgelöst. Nun arbeitet jeder für sich.

Das Dorf ist auch im Sommer am besten mit dem Pferdewagen, mit einem Jeep oder zu Fuß erreichbar. Nur eine kaum befestigte Sand- und Schotterstraße führt dorthin. Die Behausungen sind im traditionellen Stil der Region erbaut: aus Holzbalken, die mit Lehm verputzt werden. Auf den Dächern liegen hölzerne Schindeln. In viele Höfe tritt der Besucher durch ein kunstvoll geschnitztes Tor ein. Die Bauern arbeiten vorwiegend mit den Händen. Nur die Satellitenschüsseln auf einigen Dächern wirken wie aus ferner Zukunft.

Die scheinbare Idylle täuscht über das beschwerliche Leben im Dorf hinweg. Familie Izsák – zwei Erwachsene, drei Kinder und ein Pflegesohn – lebt in einem Haus mit zwei Zimmern. Béla arbeitet beim Asphalt- und Straßenreinigungswerk und verdient dafür umgerechnet rund 80 Mark im Monat. In Rumänien könnte davon heute auch eine einzige Person, selbst die allersparsamste, nicht leben. Familie Izsák kauft nur die Lebensmittel ein, die sie nicht selbst erzeugt: Brot, Öl, Zucker, Salz, manchmal Kaffee. Ansonsten versorgen sich Béla, seine Frau Ilonka und die drei Kinder selbst. Sie halten zwei Kühe, Schweine, Schafe, Gänse und Hühner, bauen auf einem Stück Land Kartoffeln und Gemüse an und haben viele Obstbäume. Vom Gemeinderat pachten sie jedes Jahr mehrere Wiesen und machen im Frühjahr und Herbst Heu. Fast jedes Jahr gibt es Streit um die besten Wiesen, denn Heu ist wertvoll und teuer. Mehrmals im Jahr fährt Béla mit dem Pferdewagen in ein 20 Kilometer entferntes Dorf und kauft von einer Alkoholfabrik Abfallmaische – ein gutes Schweinefutter. Ein-, zweimal im Monat fährt die Familie in den Wald, um Reisig, Pilze, Kräuter und Beeren zu sammeln.

Mehr als die Hälfte der Menschen in Rumänien lebt auf dem Land. Aber nicht nur sie, sondern auch viele Stadtbewohner betreiben nebenher Landwirtschaft, um sich teilweise selbst zu versorgen. Der Durchschnittsverdienst liegt zwischen 80 und 150 Mark. Die größenwahnsinnige Politik des Diktators Ceaușescu hat eine Ökonomie hinterlassen, für die Subsistenzwirtschaft und unproduktive, energiefressende Schwerindustrie charakteristisch sind. Weil das reformfeindliche Regime des exkommunistischen Staatspräsidenten Ion Iliescu in den letzten Jahren nur wenige Wirtschaftsreformen durchführte, mußten die seit Herbst amtierenden demokratischen Machthaber ein schmerzhaftes Sanierungsprogramm beginnen, das Preisfreigaben, Subventionsstreichungen, Betriebsschließungen und Sparmaßnahmen im Staatshaushalt umfaßt.

Ferien hat es für Béla und Ilonka weder früher noch heute gegeben. Seine Urlaubstage nimmt Béla zur Heuernte. Ein paar Tage im Jahr verdingt sich Ilonka bei reicheren Bauern auf dem Feld und bekommt dafür Kartoffeln, Mais und ein wenig Geld. Deshalb reicht es manchmal auch für neue Kleider, Schuhe und ein paar Süßigkeiten für die Kinder.

Doch die Aussichten für die Familie Izsák auf ein besseres Leben sind schlecht: Das Bruttoinlandsprodukt Rumäniens sank in diesem Jahr um zwei bis vier Prozent, während die Inflation 100 Prozent überschritten hat. Keno Verseck

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