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Die Kette sprengen

KOMMENTA

Die Kette sprengen

Wenn heute auf dem Rathausmarkt hoffentlich viele Tausende „Gegenwehr“ demonstrieren, darf es nicht nur um den Vertragsbruch der Arbeitgeber gehen. Das, was scheußlich verharmlosend als „Sozialabbau“ und „Angriff auf tarifliche Errungenschaften“ bezeichnet wird, ist eine lange Kette, die in die Zeit der Prinzipale des vergangenen Jahrhunderts zurück führt. Wer sagt da lächerlich?

In den 70er Jahren überschritt die Zahl der Arbeitslosen erstmals die Millionengrenze. Da war die Rede von einer „industriellen Reserve-Armee“, aus der sich die Arbeitgeber nach Herzenslust bedienen könnten. Tatsächlich gab es bald so viele Arbeitslose, daß viele KollegInnen bereit waren, „unter Tarif“ zu arbeiten. Dennoch brachen die Politiker Kampagnen gegen die „Faulenzer“ und den „Leistungsmißbrauch“ vom Zaun. Konsequenterweise wurden Leistungen gekürzt und die Meldepflicht verschärft. Natürlich dürfen Arbeitgeber streikende KollegInnen auch aussperren. Sogar die Forderung der Arbeitgeber, die Arbeitszeit wieder zu verlängern, ist alt. Und hat die Diskussion um die Karenztage etwa nichts mit diesem Thema zu tun? Lächerlich?

Es liegt an der inzwischen unverständlichen moderaten Tarifpolitik der Gewerkschaften, daß wir in Deutschland keine Streikkultur haben. Eigene Egoismen rangieren vor der Solidarität. Es ist ein Unding, daß dem streikenden Busfahrer von der Verkäuferin vorgehalten wird, sie müsse schließlich zur Arbeit. Und wenn die Verkäuferin streikt, schimpft der Busfahrer, er müsse schließlich einkaufen.

Es muß sich noch viel in den Köpfen bewegen. Die Gewerkschaften müssen noch viel politische Aufklärung leisten. Auch gegen die Bonner Gesetzgeber muß „Gegenwehr“ geleistet werden — bis hin zum längst überfälligen politischen Streik. Denn wie gesagt, es geht heute nicht nur um einen gekündigten Tarifvertrag. Norbert Müller

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