piwik no script img

Die Kanzlerin auf AbschiedstourMerkels langer Schatten

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Zum letzten Mal gibt die Kanzlerin ihre Sommerpressekonferenz. Der Auftritt illustriert: Ihren Stil wird man vermissen – ihre Politik nicht.

Offenbar zum Scherzen aufgelegt: Merkel am Donnerstag bei ihre letzten Sommerpressekonferenz Foto: Wolfgang Kumm/dpa

A ngela Merkel hat es achselzuckend zugelassen, dass die Ungleichheit in den letzten 16 Jahren gewachsen ist. Das ist mehr als nur ein Gerechtigkeitsproblem. Zu viel Ungleichheit bedroht die Demokratie.

Merkels Bilanz ist nicht so bonbonfarben, wie sie in vielen Würdigungen, die demnächst erscheinen, gemalt wird. Und doch werden wir, wie ihre letzte Sommerpressekonferenz hübsch illustriert, etwas vermissen, wenn sie weg ist. Sie verbindet gelassene Sachkenntnis – egal, ob es um den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei oder um die energetische Gebäudesanierung geht – mit Understatement. Erst das Amt, dann die Frau. Die Macht war in der Bundesrepublik nie prunkvoll, zeremoniell oder darauf aus, Untertanen zu beeindrucken. Doch so zivil und zurückhaltend, ja fast bescheiden wie unter Merkel war die Selbstinszenierung der politischen Macht nie.

Das hat auch damit zu tun, dass sie ihre Rolle mit sehr wenig Ich ausgefüllt hat. Sie schien ihre biografischen Markierungen – eine ostdeutsche Frau – in einem von Westmännern geprägten Arbeitsbereich wirksam zum Verschwinden zu bringen. Und sogar kurz vor dem Abschied fällt ihr zum Osten nur schmallippig ein, dass ihre Herkunft sie geprägt habe. Und dass es ihr nicht vergönnt war, eine westdeutsche Schule zu besuchen.

Der Vorteil des Nullsatzes

Merkel hat die Kunst, Fragen nicht zu beantworten, perfektioniert. Der Vorteil des Nullsatzes ist es, sich unangreifbar zu machen. Das ist eine unauffällige, wirksame Technik des Machterhalts. Bei der Kanzlerin prägt die Rhetorik des Undeutlichen sogar die Art ihres Redens. Ihre Sätze sind oft nicht durch Pausen getrennt, sie fließen in­einander. Schon das macht es schwierig, eindeutige Aussagen zu identifizieren. „Wir schaffen das“ war in jeder Hinsicht eine Ausnahme.

Dieser rund geschliffene Sound ist erträglich, weil hier und da staubtrockener Humor aufblitzt. Nein, Feministin ist sie nicht, aber es gebe „bei Frauen tendenziell eine Sehnsucht nach Effizienz“. Anders als bei Männern, die, kleine Klischeeumkehrung, einfach zu viel reden. Da mag man an Armin Laschet denken, ihren möglichen Nachfolger, der in ihrem langen Schatten sehr, sehr klein wirkt. Merkel erwähnte seinen Namen auffällig wenig.

Ihre Bilanz? Beim Klima habe sie getan, was möglich war, auch wenn man nun schneller werden müsse. Alles getan? Merkel ist in Brüssel als stählerne Lobbyistin der deutschen Autokonzerne aufgetreten und hat höhere CO2-Grenzwerte verhindert, die Profite von Porsche und BMW gesenkt hätten. Ihren Stil – preußisch, sachlich, ironisch – werden wir vermissen. Ihre Politik nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Angela Merkel hat es achselzuckend zugelassen, dass die Ungleichheit in den letzten 16 Jahren gewachsen ist.

    Ich glaube nicht, dass "unsere Kanzlerin" es zugelassen hat, dass Ungleichheit gewachsen ist.Die Ungleichheit in diesem Land wächst seit 1998- ist also schon etwas länger her. Und hätte AM "Ungleichheit" alleine zu verantworten? Sie hat die Politik der Agenda 2010 weitergeführt und nicht korrigiert. Weite Teile von Union und FDP wollten dies so, und das sogar noch verschärft. Ohne Mitwirkung von CDU und FDP lägen die RS von H4 höher als anfängliche 345 Euro. Da haben die sich aber durchgesetzt. Würde mich mal interessieren, wie die Agenda ausgesehen hätte, wenn zu dem ZP Union und FDP regiert hätten..

  • Bei aller berechtigten kritik: Ich fürchte, wir werden ihre politik doch noch vermissen!

  • Es ist extrem schwierig eine Kanzlerschaft zu beurteilen weil man ja keine Vergleiche ziehen kann.



    Wir haben keinen Versuchsaufbau in dem andere unter gleichen Bedingungen es auch mal versucht hätten.



    Jeder Kanzler findet eine ganz spezifische Umgebung vor und niemand kann heute wirklich sagen ob es andere viel besser gemacht hätten, Auf Grundlage der Gegebenheiten, der Informationen und der Randbedingungen die sie vor gefunden hat.



    Wir können aber sagen dass sie es zumindest nicht besonders schlecht gemacht hat , denn Deutschland ist nach wie vor in einer guten Lage verglichen mit dem Durchschnitt der Rest der Welt steht Deutschland wirklich gut da, das kann man objektiv sagen.

    Das Land also nicht in ein großes Desaster geführt zu haben, ist schon mal ein Wert den man nicht verachten sollte

  • So ganz gerecht wird man Merkel so nicht. Sie hat schon deutlich mehr Kernüberzeugungen. Aber leider wird es an dem Punkt auch sofort problematisch. Da ist zum Beispeil vor allem ihr sehr naives Verhältnis zur Marktwirtschaft und deren Fähigkeiten. Man könnte sogar glauben, dass bei aller Illusionslosigkeit wirklich Merkels Kern etwas Naives hat. Allerdings ist da auch Merkels Glaube an die Politik des Möglichen mit dem sie in der Umweltpolitik schrecklich viel liegengelassen und schrecklich viel Zeit verloren hat. Da hätte Merkel längst in den offenen Kampf auch mit ihrer eigenen Partei gehen müssen. Das hat sie wieder besseren Wissens nicht getan, sie mag so einen Merz verhindert haben, vor allem hat sie aber ihre Partei vor Entscheidungen bewahrt. In der Europapolitik ist die Bilanz noch viel schlimmer. Die ist schlichtweg ein Desaster. Merkel kann offensichtlich nicht wirklich europäisch denken, sie glaubt, wie viele Deutsche, sich mit der deutschen Leistungskraft irgendwie auch in Zukunft durchwurschteln zu können und sie glaubt nicht, dass es sinnvoll sein kann Macht abzugeben. Außenpolitik hat Merkel auch nie interessiert. Außenpolitik ist bei ihr Wirtschaftsförderungspolitik, ansonsten nur Lavieren ohne Perspektiven. Ohnehin muss man Merkel generell Ideenlosigkeit und Ambitionslosigkeit vorwerfen, wenn man zum Beispiel die Verkehrspolitik einem Scheuer und die Digitalisierung einer Bär überlässt muss man sich mindestens Mutlosigkeit vorwerfen lassen.



    Trotzdem: Merkel hat Charakter, ihre Fehler sind Irrtümer und nicht Zynismus, Desinteresse und Opportunismus. Sie war zudem auch immer ziemlich ehrlich, oder sie hat geschwiegen. Mit einem Laschet wird jedenfalls nicht besser.

  • Danke.

    “ Ihren Stil – preußisch, sachlich, ironisch – werden wir vermissen. Ihre Politik nicht.“ - anschließe mich - bedingt - weil dieser Westimport dank Vaddern - *Eimsbüttel - Eppendorf => Uckermark - Die nebenberufliche Disco-Bardame war später in einer FDJ-Gruppe. Nach eigenen Angaben war Merkel dort als Kulturreferentin tätig. Zeitzeugen – die der Merkel-Biograf Gerd Langguth befragt hat – sprachen davon, sie sei für „Agitation und Propaganda“ zuständig gewesen. (Ach was!) & Däh! Sie - die eigentlich der SPD betreten wollte: “Aus dieser Zeit ist auch ihre Aussage verbürgt, dass sie mit der CDU nichts zu tun haben wolle.“ - 🤪 -



    Nicht nur Wolfgang Schäuble wird‘s gefreut haben!

    kurz - Dem Wirtschaftsindustriellen BankenKomplex verbunden wie nix Gutes - hat sie das Nichtstun mit 🙌 - zur Blüte 🌸 bis zur Kenntlichkeit zelebriert!



    & das letze Wort hat das @Mondschaf



    “ Second Meal und verzerrte Milchquoten"

    "In diesen Monaten ist eine der wesentlichen Diskussionen in Indien das "second meal": Man isst zweimal am Tage. Wenn das von den über einer Milliarde Indern plötzlich jeder dritte tut, dann sind das also über 300 Millionen Menschen – das entspricht einem großen Teil der Europäischen Union. Wenn die Inder plötzlich doppelt so viele Nahrungsmittel und dann auch noch ganz andere als früher verbrauchen und wenn plötzlich 100 Millionen Chinesen beginnen, Milch zu trinken, dann verzerren sich natürlich unsere gesamten Milchquoten und vieles andere"

    aus einer Rede der zukünftigen Ex-Kanzlerin am 17. April 2008

    www.bundesregierun...gela-merkel-794614 -



    Winterkorn, Zetsche, Reitzle... alle Paten der Automobil-Mafia waren anwesend. Aber die Inder denken nur ans Essen. Und "100 Millionen Chinesen beginnen, Milch zu trinken..." Sowas verleitet natürlich zu Milchmädchen-Rechnungen.

    "Ich möchte mich bei Shell bedanken, aber auch bei den Automobilfirmen, die in die Zukunft blicken, und bei Herrn Reitzle, der durch seine Erfahrung mit technischen Gasen …Rest ff

    • @Lowandorder:

      & der schnöde Rest =>

      ”… Gasen an diesem Standort natürlich auch nicht fehlen darf." usw. usw. Reitzle, Ex-BMW - damals schon bei Linde.







      "dass die Tatsache, dass plötzlich – was eigentlich Folgewirkung einer wunderbaren Entwicklung der Globalisierung ist – Hunderte Millionen von Menschen reicher werden und sich mehr leisten können, worauf wir auch stolz sein können,"







      Ich kann gar nicht soviel kotzen, wie ich zitieren könnte..“

      Ja - da is was dran - aber mit der CDU nix am Hut haben wollen - Wat höbt wi lacht! Nur is uns danach nicht zu Mute •



      Nö. Normal nich - wa! - 🤢🤮🤑 - as usual! That’s fact!

  • Zitat aus dem Kommentar 'Merkels langer Schatten':



    "Merkel ist in Brüssel als stählerne Lobbyistin der deutschen Autokonzerne aufgetreten und hat höhere CO2-Grenzwerte verhindert, die Profite von Porsche und BMW gesenkt



    hätten."



    Sie hat höhere CO2-Genzwerte verhindert? Wenn das so wäre, dann würde ich es gut finden. Leider hat sie niedrigere CO"2-Grenzwerte verhindert.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Ihren Stil wird man vermissen – ihre Politik nicht."



    "– preußisch, sachlich, ironisch –" Ach was!. So liebenswürdige Attribute. Eigentlich müsste ich sie lieben, wäre nicht Ironie bei Mächtigen oft nur Zynismus. Selbstironie wäre ja was gewesen.



    "Angela Merkel hat es achselzuckend zugelassen, dass die Ungleichheit in den letzten 16 Jahren gewachsen ist." Achselzucken? Da haben Sie das Zucken, das sie mehrfach öffentlich überkommen hat, wohl falsch interpretiert. Wegen Ungleichheit hat sie vermutlich nicht gezuckt. Die Ungleichheit gehört zum Programm.



    C hristlich



    D irigierte



    U ngleichheit.