Die KI-App und das Aussehen: Cool old
Wäre es nicht cool, einfach alt zu werden? Noch immer gelten alte, verkalkte Schönheitsideale.
W ir werden alle sterben, aber vorher werden wir hoffentlich alt. Eigentlich dachte ich immer, dass ich kein großes Problem mit dem Altern habe. Ich liebe die weißen Haare meiner Mutter, und ich bin ständig in ältere Frauen schockverliebt und denke, dass ich später genauso sein will. Ehrlich gesagt, ist das die Haltung einer gesunden 33-Jährigen, die gerade erst die Vergänglichkeit ihres Körpers bemerkt. Und die Haltung einer Gesellschaft, die das Älterwerden nicht so genau betrachten mag.
Es reizt mich nicht, in die Zukunft zu sehen. Meistens denke ich: Es kommt, wie es kommt, und dann geht man damit um. Bloß habe ich nicht mit der KI gerechnet. Es gibt diese App, bei der man sein Gesicht altern lassen kann. Die künstliche „Intelligenz“ ist so erschreckend gut, dass sie eine wirklich glaubwürdige Variante von mir als Seniorin ausspuckt, die nicht sagt, „das könntest du sein“, sondern „genau das wirst du sein“.
Mein Zukunftsgesicht ist breiter, schlaffer, faltiger, und es hat besorgniserregende Rötungen. Haut im Verfall eben. Aber entgegen meiner eingebildeten Alterungsprozesstoleranz konnte ich bei seinem Anblick nur denken: Scheiße, muss das sein? Und als hätten die App-Entwickler*innen solche Effekte vorhergesehen, haben sie einen zweiten Filter eingebaut. „Cool old“ heißt der, und er beruhigt etwas. „Cool old“ – das ist die alte Frau, in die sich eine Anfang Dreißigjährige im Jahr 2063 schockverlieben könnte. Weil sie gut geschminkt ist und etwas ausstrahlt, das keine junge Frau je kopieren könnte.
Wie absurd aber, dass wir die Alten, cool oder nicht, kaum sehen. Als schöne Menschen, die schön sind, weil sie schon ein ganzes verdammtes Leben gelebt haben. Vielleicht beschäftigen wir uns zu ungern mit dem Unausweichlichen, mit dem Tod sowieso, aber auch mit dem Weg dahin. Jugend ist ja eine Währung, besonders bei Frauen. Als Jane Birkin starb, sah ich vor allem die Fotos der jungen Frau mit langen Haaren und Pony, sehr dünn, oft mit Zigarette oder Serge Gainsbourg. Aktuellere Bilder einer Ende 70-Jährigen tauchten seltener auf. Als müsste das Ikonische am Bild einer jungen Frau haften bleiben, nicht an einem alten Körper mit ausgedünntem Haar.
A oder B
Schön oder alt – das ist viel zu oft eine A- oder B-Entscheidung. Als ginge nicht beides. Und während ich merke, dass ich doch nicht so entspannt bin mit den ersten Falten in meinem Gesicht, frage ich mich: Wäre es nicht toll, wenn es reichte, einfach alt zu werden? Ist alt sein wirklich so unansehnlich, dass man „cool“ sein muss, um bewundert zu werden?
So richtig losgekommen von den verkalkten Schönheitsidealen sind wir also längst nicht. Also zupfe mir noch ab und zu weiße Haare aus. Aber ich will mich öfter erinnern, dass auch die müden, erschöpften, humpelnden, kranken Alten Anerkennung und Sichtbarkeit verdienen. Auch, weil wir alle mal sie sein werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers