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Die Jodlerin Doreen Kutzke jodelt seit ihrer Kindheit in einem Dorf im Ostharz. Nach der Wende versuchte sie sich als Straßenkünstlerin und Elektro-Jodlerin auf dem Dancefloor. Inzwischen betreibt sie erfolgreich die Jodelschule Kreuzberg. Ein Gespräch über den Spagat zwischen experimenteller Stimmkunst und Unternehmensbespaßung„In Berlin kannst du Jodeln sogar in der Subkultur unterbringen“

Interview Gunnar LeueFotos AmÉlie Losier

taz: Frau Kutzke, kennen Sie einen guten Jodel-Witz?

Doreen Kutzke: Ich kenne eigentlich nur diesen bescheuerten mit den zwei Japanern, die Bergsteigen gehen. Die haben ein Radio dabei, und als es in die Schlucht fällt, sagt der eine zum anderen: Holst du di ladio oder hol i di ladio?

Immerhin mal was anderes als Loriots „Jodeldiplom“, nach dem Sie vermutlich laufend gefragt werden, oder?

Ja, ständig.

Können sie noch darüber lachen?

Och ja, ich lach einfach … Klar ist das für mich wahnsinnig abgedroschen, aber die Leute wollen halt einfach nur mal einen Gag machen. Dass ich das dauernd höre, dafür können die Leute ja nichts.

Die Jodler scheinen so eine Art Ostfriesen der Bühnenunterhaltung zu sein, sie gelten als bisschen deppert.

Da ist was dran. Es gibt sogar eine Doktorarbeit darüber, wie das Jodeln zum Witz verkam. Tatsächlich ist es so, dass zum Beispiel die Leute, die in Amerika das Country Yodeling betreiben, oft einfache Leute vom Lande sind, die nicht immer als die Cleversten gelten. In Deutschland wiederum hat Jodeln diesen volkstümlichen touch, irgendwie cheesy.

Auf YouTube gibt’s ein Video von Florian Silbereisen und Nina Hagen beim Jodeln als Lachnummer.

Sofern nicht in einem bierernsten Volksmusikprogramm gejodelt wird, präsentiert man es hierzulande in der Tat als Verarsche. Dabei sind die meisten Leute extrem fasziniert vom Jodeln, wenn sie es selbst mal probieren oder in unvermittelten Zusammenhängen erleben. Ich kombiniere es ja mit elektronischer Musik oder mit ganz anderen Songs, die keinerlei Bezug zur Volksmusik haben. Dann hören es die Leute plötzlich mit ganz anderen Ohren.

Was ist für Sie das Tolle am Jodeln?

Zum Beispiel die Lautstärke, die auch ein Ausdruck für totales Loslassen und Hemmungslosigkeit ist. Im Alltag, gerade im beruflichen, ist sie ja eher verpönt, weil man sich immer beherrschen soll. Ich singe ja auch gern, aber Jodeln macht noch mehr Spaß. Man hat ein Aha-Erlebnis, weil da etwas her­auskommt, was jenseits vom Singen ist.

Muss man sich also mehr überwinden?

Man darf nicht vordenken. Beim Singen hat man einen Text und die Melodieführung im Kopf und denkt deshalb immer mit. Beim Jodeln schlägt die Stimme hin und her, zwar nicht zufällig, aber es passiert einfach. Man muss es nur zulassen … Wenn jemandem im normalen Leben die Stimme bricht, ist das ja meist unangenehm, weil es eigentlich ein Fehler im System ist. Und Jungs im Stimmbruch klingen komisch, und den Erwachsenen bricht die Stimme, wenn sie aufgeregt sind oder Angst haben – also in Situationen, die man ja eigentlich eher vermeiden möchte.

Sie stammen aus einem Dorf im Ostharz. Wuchs man dort praktisch mit dem Jodeln auf?

Die alten Lieder im Harz handeln alle von Natur, Wäldern und Köhlern, und weil das Jodeln eine Art Sprache in den Bergen ist, wird darin auch viel gejodelt. In einigen Bergdörfchen oder Städten wie Blankenburg oder Wernigerode wurde das Jodeln als Teil der Harzer Volksmusik sehr gepflegt. Als Kind zu jodeln fand ich absolut toll. Ich war nicht nur in der Volksmusikgruppe voll begeistert dabei, sondern auch zu Hause. Für meine Eltern muss es echt nervig gewesen sein, wenn ich stundenlang die Kassetten meines Monorekorders vollgejodelt habe, natürlich total improvisiert.

Und gab es nie Hänseleien von Mitschülern?

Überhaupt nicht, ich war ja nicht die einzige Jodlerin. Außerdem sind wir mit unserer Jodelgruppe viel herumgekommen, durch die Auftritte bei Arbeiterfestspielen, Jugendfestivals und sogar bei der 750-Jahr-Feier in Berlin, übrigens vor den Augen von Margot Honecker.

Ihr erster Berlin-Besuch?

Nein, ich hatte viele Verwandte in Ostberlin. Deshalb wurde die Stadt früh mein Wunschort.

Sie träumten also nicht von einer Jodlerinnenkarriere?

Doreen Kutzke

Die Künstlerin: Doreen Kutzke wurde 1975 in einem Dorf im Ostharz bei Blankenburg geboren, wo sie als Kind Mitglied einer Volksmusikjodelgruppe war und mit dieser Auftritte im DDR-Fernsehen hatte. 1990 zog sie nach Berlin, wo sie eine Gesangsausbildung und 2002 ein Schauspielstudium absolvierte.

Die Jodelschule: Ab 1999 gab Kutzke Jodelworkshops in Berlin sowie in ganz Deutschland, später auch in Europa und New York. Nach einem Auftritt bei einer Record Release Party der Band Britta gründete sie 2000 mit Malcolm Arison das Country-Jodelduo „Kutzkelina“, das zunächst Songs von Hank Williams oder Woody Guthrie coverte und später auch eine CD mit Eigenkompositionen einspielte sowie die Musik zum Kinofilm „Die Könige der Nutzholzgewinnung“ (2005) schrieb. Mit der Band Alpendub hat sie 2006 ein Album eingespielt. Mit ihrem experimentellen Electro Yodeling trat sie auf vielen internationalen Bühnen auf. Von der renommierten Londoner Kunstschule Goldsmith Academy wurde sie zu einer Jodel-Klanginstallation in einer Kirche eingeladen. Parallel gibt Kutzke Seminare unter anderem an der Berliner Schauspielschule in Gesangsimprovisation.

Das Jodeln: Jodeln ist eine jahrhundertealte Art des Singens ohne Text auf Lautsilben bei häufigem schnellen Umschlagen zwischen Brust- und Kopfstimme. Weltweit werden verschiedene Jodeltechniken vor allem in gebirgigen Regionen benutzt, um damit weite Distanzen akustisch zu überbrücken. Auch Hirten nutzen teilweise Jodler als Lockruf für ihr Vieh. Im schweizerischen Appenzell wiederum gehen Jodler zum Jahreswechsel von Haus zu Haus, um das neue Jahr mit einem Jodelruf zu begrüßen. (gl)

Nö. Im Teenageralter wusste ich überhaupt nicht, was ich mal werden will. So ganz große Träume hatte man in der DDR ja nicht, ich jedenfalls nicht, weil die Möglichkeiten viel geringer waren als heute. Aber ich wusste immer, dass ich irgendwas Kreatives machen will. An Berufsjodlerin dachte ich deshalb nicht, weil mir die Auftritte auf den Marktplätzen ungeheuer peinlich waren. Ich mit Dauerwelle und in Tracht, wo doch meine Freunde Punks waren. Einmal bin ich mit unserer Jodelgruppe im DDR-Fernsehen – in Inka Bauses Sendung „Talentebude“ – aufgetreten. Das war vorerst das letzte Mal in der Öffentlichkeit. Als die Wende kam und sich viele neue Möglichkeiten ergaben, bin ich sofort nach Berlin gezogen. Da habe ich in Bars gejobbt und nebenher in einigen Musikprojekten gesungen.

Mit oder ohne Jodeln?

Ohne. Das ging so in Richtung Mädchenelektropop mit deutschen Texten. Allerdings waren da meine Produzenten ambitionierter als ich. Für mich war die Erkenntnis wichtiger, dass ich mich wieder etwas in der Öffentlichkeit traute. Deshalb sagte ich auch zu, als mich Freunde irgendwann zum Jodeln über­redeten. Die sollten bei ihrer Produktdesign-Präsentation an der Universität der Künste typische Landesprodukte Österreichs vorstellen. So stand ich dann da mit einem Riesenballon, auf den österreichisches Design projiziert wurde, und habe frei improvisiert gejodelt. Quasi mein Jodel-Comeback in der Öffentlichkeit.

Sie haben auch kurz Straßenmusik gemacht und dabei ebenfalls gejodelt?

Oh ja, und es war fürchterlich. Ich bin die Kantstraße hoch und runter gezogen, aber weil ich den Leuten nicht auf den Keks gehen wollte, war mir das sehr unangenehm.

Haben Sie es denn aus der Not heraus gemacht?

Ein bisschen. Ich steckte noch in der Ausbildung und hatte ein Kleinkind. Ich war arm …

… aber sexy, sozusagen typisch Berlin, wie es Mitte der Neunziger hieß?

So ungefähr. Jedenfalls habe ich damals meiner Kreativität freien Lauf gelassen und mich auch im MC-Jodeln, also Jodeln am Plattenteller, probiert. Wie jeder damals legte ich natürlich Platten auf, vor allem House. Im Mixen war ich zwar total schlecht, aber ich habe das Jodeln wie ein Instrument eingesetzt, allerdings eher heimlich.

Heimlich?

Ich habe das Mikro angeschlossen und mich unters DJ-Pult gekniet, damit man mich beim Jodeln nicht sieht.

War das Electro Yodeling Ihre Masche, im großen Berliner Unterhaltungsbetrieb aufzufallen?

Von wegen tolles Alleinstellungsmerkmal, wie das heute so schön heißt? Nee, darum ging es mir nie. Jodeln als schräge Nummer, so sehen das natürlich viele andere. Für eine Schweizer Firma habe ich zum Beispiel tatsächlich mal eine Telefonschleife bejodelt. Mich als Unterhaltungskünstlerin interessiert jedoch das Experimentelle. Diese Vermischung verschiedenster musikalischer Elemente haben wir ja auch mit der Band Alpendub versucht, in der sich lauter Musiker trafen, die von diesem Jodel-Klischee befreit sind. In Berlin findest du ja immer irgendwelche Mitstreiter für ungewöhnliche Kollaborationen. Hier kann man auch Jodeln in Subkultur unterbringen.

Sie sind nicht nur Künstlerin, sondern betreiben erfolgreich eine Jodelschule in Kreuzberg. Weil es mit der Jodelkunst allein doch nicht zum Leben reichte?

Ich habe immer tausend andere Sachen gemacht, aber Jodeln blieb stets eine Konstante. Die Idee mit der Jodelschule ergab sich eher zufällig, nachdem sich irgendwann ein Schauspieler von mir das Jodeln beibringen lassen hatte und ich immer mehr Anfragen aus dem Schauspielmilieu bekam. Also bot ich Workshops an. Aber es war nicht so, dass mir die Leute gleich die Bude einrannten.

Und nun haben Sie es mit Ihrer Jodelschule auf eine südkoreanische Briefmarke geschafft. Da stehen Sie briefmarkentechnisch praktisch auf einer Stufe mit Elvis.

„Die Lautstärke beim Jodeln ist ein Ausdruck für totales Loslassen und Hemmungslosigkeit“

Ja, echt irre, wenngleich ich ja nicht selbst auf der Marke abgebildet bin, sondern mein Logo. Das hat ein totaler Jodelfreak aus Korea angeleiert. Der fährt jedes Jahr in seinem Jahresurlaub durch die Welt und besucht Jodler. Als er hier war, hat er auch noch einen Videogruß von mir an die Yodel Community in Korea aufgenommen. Die Leute dort kopieren die Schweizer und österreichischen Jodelstars komplett mit Liedern und Trachten. Es gibt jetzt sogar ein World-Yodel-Day-Festival in Korea. Wäre ich gern hingefahren, muss ich aber aus Kostengründen diesmal passen.

Sie bekommen oft Einladungen aus anderen Ländern?

Stimmt. Zuletzt war ich viel auf Tour mit einer Ex-Schülerin von mir, einer Belgierin. Wir haben eine sehr experimentelle Jodelkomposition geschaffen, die wir häufig in Theatern und bei experimentellen Musikveranstaltungen im Ausland aufführen. Wir waren unter anderem in Stockholm und Prag, aber nie in deutschen Städten, außer einmal in Berlin.

Als Jodellehrerin sind Sie ebenfalls im Ausland gefragt. Wie erklärt sich das?

Die Leute dort sind einfach neugierig und mögen es, dass ich das Jodeln mit anderen Stilen kombiniere. In London gebe ich ein bis zweimal im Jahr einen Jodelworkshop, der ist immer voll besetzt. An der Kunsthochschule Reykjavík ging es in meinem Kurs „Multidimensionale Stimme“ darum, was man alles mit der Stimme machen kann. Beispielsweise eben auch Entfernungen vermessen. Dass ich mal im kunstakademischen Bereich unterwegs bin, hätte ich früher auch nicht gedacht.

Der Name Jodelschule Kreuzberg macht sich PR-technisch besonders gut, oder?

Allein das Berg, das klingt schon schön doppeldeutig.

Was sind das für Leute, die in Ihre Schule kommen – Opfer von Witzigschenkern oder abtrünnige Yoganer, die es mal mit Jodeln probieren wollen, weil es vielleicht auch weniger verletzungsgefährlich ist?

Abgesehen davon, dass man vom Jodeln wirklich höchstens Bauchmuskelkater kriegt – die meisten kommen einfach aus Neugierde. Wobei ich immer das Gleiche bei den Neulingen erlebe: Als Erstes erzählen sie kichernd, ihre Bekannten würden jetzt alle denken, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hätten. Und sie glauben auch selbst, dass sie nun was ganz Kurioses tun würden. Doch dann merken sie schnell, wie viel Freude und Spaß das macht. Okay, manchmal macht man sich auch total zum Horst, weil man ja sehr laut ist.

Gibt es nie Ärger mit dem Nachbarn?

Mein Nachbar ist Noise-Musiker [dabei werden klassische Elemente der Musik wie Ton oder Klang weitgehend bis vollständig durch Geräusche ersetzt – Anm. d. Red.) Eigentlich hat sich noch nie jemand beschwert, auch wenn die Lautstärke sicher hart an der Grenze ist.

Sie machen auch Seminare für Unternehmen. Was soll das?

Kutzke über schräge Jobs: Für eine Schweizer Firma habe ich zum Beispiel tatsächlich mal eine Telefonschleife bejodelt

Da geht es um Teambildung und Stressabbau. Ich trainiere ja nicht nur das Lautsein und wie man seine Scham davor verliert, sondern auch, wie man einen Jodler in der Gruppe mehrstimmig jodeln kann. Die Nachfrage nach dem Angebot ist da, vielleicht weil das Managerding Bogenschießen als Seminar­thema durch ist.

Ist das nicht ein großer Spagat zwischen experimenteller Jodelkunst und Unternehmensbespaßung?

Durchaus, aber ich bin halt auch eine Einzelunternehmerin, die sich ständig was einfallen lassen muss, um unter anderem ihre Projekte verwirklichen zu können. Also jodel ich auch auf Geburtstagsfeiern oder Hochzeiten. Obwohl ich damit kein Problem habe, ist es doch eine gewisse Herausforderung, einerseits als Künstlerin zu bestehen und sich auch anderweitig zu vermarkten.

Haben Sie schon mal Anfragen abgesagt?

Klar, wenn mir mal wieder jemand anbietet, auf einer Firmenfeiern umsonst aufzutreten, weil es für mich ja sooo eine tolle Werbung wäre. Solche Angebote kennen ja viele Musiker. Gerade in der Oktoberfestsaison kriege ich auch viele Anfragen für Oktoberfeste, die inzwischen überall gefeiert werden. Aber von diesen Festen bin ich nun wirklich kein Fan.

In Berlin gibt es mittlerweile einen Jodelchor und einen Jodelstammtisch. Droht da Hype­gefahr?

Das ist mir eigentlich wurscht. Ich finde es super, wenn mehr Leute das Jodeln für sich entdecken, schließlich habe ich darauf kein Exklusivanrecht. Und wenn die Karawane irgendwann weiterzieht, dann ist es mir auch egal.

Nehmen Sie noch an traditionellen Jodelwettbewerben zum Beispiel in Ihrer Heimat teil?

Nein, ich habe das als Kind oft genug getan. Heute trete ich dann doch lieber in Christiane Rösingers Flittchenbar auf. Wobei, neulich hatte ich eine Anfrage aus Quedlinburg, ob ich nicht im Café eines ehemaligen besetzten Hauses auftreten würde. Das hätte ich gern gemacht, leider fehlte mir die Zeit.

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