: Die Jagd nach dem olympischen Gold
■ DREITEILIGE SERIE über die Olympiabewerbungen für 1992 / Teil 1: Sommerspiele / Von Matti Lieske
Berlin (taz) - Acht Jahre lang hielt er an, der Schock von Montreal. Die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1976 hatte ein Defizit von einer Milliarde Dollar gebracht, ein Verlust, von dem sich die Stadt bis heute nicht erholt hat. Für die Spiele 1984 gab es nach dem kanadischen Debakel nur einen einzigen waghalsigen Bewerber: Los Angeles. Die Amerikaner gingen unverzüglich daran, der Welt zu zeigen, daß Töpfe voll Gold heute nicht mehr an den Enden von Regenbögen, sondern in den Sportstadien stehen. Sie erwirtschafteten einen Profit von 215 Millionen Dollar und sorgten dafür, daß sich nunmehr die Metropolen der Welt die Lippen nach Olympia lecken. Barcelona, Paris, Amsterdam, Brisbane, Birmingham und Belgrad wetteifern darum, am 17. Oktober bei der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne den Zuschlag für die Sommerspiele 1992 zu bekommen. Sie alle orientieren sich an dem amerikanischen Modell: weitgehende Nutzung bereits vorhandener Anlagen, Erledigung der meisten Arbeiten durch freiwillige, schlecht– oder gar nicht bezahlte Helfer, massiver Einsatz von Sponsoren und extensive Vermarktung. Allein die Fernsehrechte werden für 1992 auf 800 Millionen Dollar geschätzt, hinzu kommen fette Werbeverträge. Barcelona hat bereits ein Konsortium von 72 örtlichen Unternehmern gefunden, das allein für die Bewerbungskampagne runde 16 Millionen Mark zur Verfügung stellte. Außerdem wurden für den Fall eines Erfolgs der Kandidatur schon 60.000 Jugendliche als freiwillige Helfer geworben. Insgesamt geben die dreizehn Städte 100 Millionen Dollar für ihre Kampagnen aus. Im Kampf um das olympische Gold geht es alles andere als fein zu. Der Cheforganisator von Los Angeles, Peter Ueberroth, berichtet in seinem Buch „Made in America“, daß Südkorea bei der Vergabe der Spiele 1988 den Vorzug vor dem japanischen Nagoya erhalten habe, weil die Organisatoren jedem IOC–Delegierten zwei Flugscheine der ersten Klasse nach Seoul geschickt hatten, die diese bei Nichtbenutzung sogar in Bargeld umtauschen konnten. Begeistert zeigte sich ein Mitglied des IOC vom aktuellen Wettstreit: „Ich bin bewirtet worden wie nie zuvor. Ich bin in alle Städte gereist und habe keinen Pfennig aus meiner Tasche gezahlt. Und ich weiß immer noch nicht, wie ich stimmen werde.“ Ein Amsterdamer Organisator offenbarte, daß erlesene Geschenke, kostenlose Vergnügungen und manchmal sogar Juwelen für die Ehefrauen im Spiel seien. „Es ist einfach“, erklärte der Vorsitzende der Pariser Kampagne, Alain Danet, „du mußt jedes Mitglied des Komitees davon überzeugen, daß deine Stadt die beste ist.“ Aber nicht nur das. Auch Unterstützung von höchster Stelle ist vonnöten. So versuchte Frankreichs Staatspräsident Mitterrand bei seinem Moskau–Besuch im Sommer, Michail Gorbatschow zu beschwatzen, sich für Paris einzusetzen. Auch Barcelona suchte die Unterstützung der mächtigen Sowjetunion und pries, auf das schlechte revolutionäre Gedächtnis des Kreml bauend, die bedeutende Rolle der Stadt im Spanischen Bürgerkrieg. Daß Barcelona die Hochburg der Anarchisten war, wurde wohlweislich nicht erwähnt. Die Punkte, um die sich alles dreht, sind Sicherheit, Verkehr und Boykott. Dort sehen die Außenseiter Belgrad und Brisbane ihre Chance. Belgrad verweist darauf, daß es hier noch nie bei einer Sportveranstaltung einen Terroranschlag gegeben habe, daß die Gefahr eines Boykotts gering sei und daß alle olympischen Stätten in fünfzehn Minuten zu erreichen seien. Ähnlich argumentiert die elanvolle Bürgermeisterin von Brisbane, Sallyanne Atkinson, die nach einer in den Straßen Brisbanes blühenden weißen, duftenden Blume „Eiserne Frangipani“ genannt wird. Die Australier wollen sogar verbilligte Flüge einführen, damit die Reise nach Brisbane nicht teurer wird als die nach Paris oder Amsterdam. Birmingham dürfte nach den sozialen Unruhen im letzten Jahr schlechte Karten haben, auch wenn der Polizeichef beteuert, die besten Sicherheitsvorkehrungen aller Bewerber bieten zu können: je einen Polizisten für sechs Personen, und ein Stadion, das nur 35 Meter hoch ist, damit eine problemlose Radarüberwachung gegen Luftangriffe stattfinden kann. Paris hat ähnliche Probleme, Amsterdam wirbt zwar mit „Tulpen, Käse und Windmühlen“, kann aber seine Anti–Olympiabewegung nicht verleugnen. Saar Boerlage, Professorin für soziale Geographie, meint: „Es wird ein Fiasko geben, wenn die Olympiade in Amsterdam veranstaltet werden sollte.“ Sie kündigt Demonstrationen an und prophezeit, daß Amsterdam und die Niederlande sich für die Zeit der Spiele in einen Polizeistaat verwandeln würden.“ Barcelona, das sich zum fünftenmal bewirbt, hat trotz ungelöster Verkehrsprobleme und dem Vorwurf der mißgünstigen Konkurrenz, die Sicherheit sei nicht gewährleistet, die besten Chancen. „Wenn wir die Spiele bekommen, wird es sein, als hätte Spanien die Fußball–Weltmeisterschaft gewonnen“, sagt ein Organisator und kündigt siegessicher ein „spontanes und wildes Frohlocken“ in den Straßen an. Das einzige, was Barcelona fürchtet, ist der Charme von Brisbanes Bürgermeisterin. Teil 2 (Bewerber für die Winterspiele) folgt Montag, 13.10., Teil 3 (Kandidatur Berchtesgadens) Freitag, 17.10.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen