■ Die „Hürriyet“ zum Bunkermord-Prozess: Von Folter und Verfolgung kein Wort
Beobachter des Mordprozesses an dem kurdischen Paar Ayse Dizim und Serif Alpsozman müssen viel Zeit mitbringen. Die Angeklagten aus den türkischen Kurdengebieten sprechen überwiegend kurdisch. Von ihren Übersetzern hängt ihre Glaubwürdigkeit ab. Schließlich: Was werden deutsche Richter denken, wenn der als Anstifter angeklagte Mehmet E. seinem reichlich konfusen Übersetzer zufolge angibt, die Gehbehinderung habe ihm türkische Militärpolizei zugefügt, als sie das Haus stürmte und er „versuchte zu fliehen“? „Mit drei Monaten?“ schlagen sich im Gerichtssaal anwesende Polizisten auf die Schenkel. Zu Recht.
Türkischsprachige Journalisten haben diese Probleme nicht – sofern der Angeklagte türkisch spricht, wie der 27-jährige Ahmet T. Über eine Stunde lang berichtete der Mordverdächtige von einer Kindheit in größter Armut und politischer Unterdrückung. Als er die Folter schildert, die er in türkischer Untersuchungshaft erlitt und wegen der er bis heute in Therapie ist, zucken deutsche Polzisten sichtlich zusammen. Zuvor haben auch zwei angeklagte jesidische Kurden von der Verfolgung ihrer Glaubensgemeinschaft berichtet. Doch LeserInnen des türkischen Massenblatts „Hürriyet“ bekommen auf diese Umstände, die den Prozess im Landgericht am Mittwoch prägten, keinen Hinweis – wie die taz nachfolgend dokumentiert:
(...) Am fünften Verhandlungstag wurden die Lebensläufe der Angeklagten gehört. Iskender T. gab an, 1985 über Ostberlin nach Deutschland gekommen und Asyl beantragt zu haben und erklärte, er sei Scheik (religiöses Oberhaupt) der Jeziden. Er erklärte weiterhin, in Bremen zeitweilig ein Lokal betrieben zu haben, er lebe von Sozialhilfe und den Geldgaben seiner Glaubensgemeinschaft. Die Sitzung wurde unterbrochen, als der zuckerkranke Sheymus M. sich unwohl fühlte. Sein Verwandter sagte, dass er ebenso wie Iskender T. der Pries-terkaste der Jeziden angehöre. „Ich bin 1985 nach Deutschland gekommen und habe Asyl beantragt. Mein Asylantrag wurde anerkannt. Ich lebe vom Sozialamt.“
Der Angeklagte Ahmet T. sagte: „Während meiner Zeit auf dem Gymnasium habe ich mich an den Schulboykotten beteiligt. Mein älterer Bruder ging zur PKK. Ich habe mich an der medizinischen Fakultät in Antalya immatrikuliert. Zu der Zeit starb ein Polizist an den Folgen einer Schussverletzung bei einem Gefecht mit der PKK. Deswegen kam ich in Untersuchungshaft. Später wurde ich freigelassen. Ich sah nur die einzige Möglichkeit, nach Deutschland zu fliehen und dort beantragte ich Asyl. Mein Asylantrag wurde abgelehnt“, sagte er. Der angeklagte Mehmet E. sprach der Familie der Getöteten, Ayse Dizim und Serif Alpsozman, sein Beileid aus. Er behauptete, mit den Morden nichts zu tun zu haben. Der Vater von vier Kindern sagte: „Ich verurteile die Menschen, die den Befehl für diesen Mord gegeben haben und die, die ihn ausgeführt haben.“ ede
Übersetzung: Ercan Arslan
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