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Die Höhle von LascauxDie neue Kathedrale der Steinzeit

Mit Techniken des 21. Jahrhunderts wurde die Bilderhöhle im alten Glanz reproduziert. Das inspiriert auch den Bestsellerautor Martin Walker.

Ein Nachbildung der Höhlenbemalung von Lascaux in Frankreich Foto: imago/belga

Angela Merkel, die weiße Henne, die im Hühnerschlag von Martin Walker sonst immer viel mehr Eier legt als Carla Bruni oder Margaret Thatcher, ist noch immer im Legestreik. „Dabei gebe ich ihr jetzt guten Mais zu picken“, erklärt der gebürtige Schotte Martin Walker. Mit seinem Nachbarn Raymond, der früher Bodyguard von Jacques Chirac und dann beim französischen Geheimdienst war, dem dicken „Mustage“ und seinem blinden Hund Benson hat Walker gerade zum Herrenabend in seinem alten Bauernhaus in Le Bugue eine weitere Flasche süffigen Pomerol geöffnet, den ein befreundeter Winzer wegen der strengen Produktionsquote unter der Hand für nur einen Euro verkauft.

Die vier haben einiges zu besprechen, nicht nur über Angela Merkel. Walker hat vorhin beobachtet, wie François Hollande, der leuchtend bunte Fasan, den sie nach einem geschmacklosen Milchpudding eigentlich nur „Flamby“ nennen, neuerdings Hahn Sarkozy die Schau stiehlt und sogar freilebende Fasanenhennen an sein Käfiggitter lockt.

Sie fragen sich, was diese Nachrichten aus dem Hühnerstall eines Krimiautors mit der Frühgeschichte der Menschheit zu tun haben? „Im Périgord hat alles mit allem zu tun“, sagt der gebürtige Schotte. Die wirtschaftlich unterentwickelte Region ist für ihn ein Hort der schönen Dinge – Stopfleber, Trüffel, Wein und frische Eier gehören dazu – und eben auch die Höhlenkunst.

Der literarische Experte

Irgendwie seien wir ja schließlich alle – Raymond, der dicke „Mustage“ und auch Flamby und Merkel – Nachfahren jener Leute, die im Périgord mit der Kunst zum modernen Menschen wurden. Walker war früher Auslandskorrespondent des britischen Guardian, erst in Moskau, dann in Washington, schließlich Consultant für einem Thinktank. Fotos auf dem Kaminsims zeigen ihn mit Raissa Gorbatschow und bei der Weihnachtsfeier der Clintons im Weißen Haus. Im Ruhestand wurde er Hühnerhalter und mit seinen „Bruno“-Krimis Bestsellerautor und touristischer Botschafter seiner französischen Wahlheimat.

Er ist es gewohnt, Beziehungen herzustellen und Bezüge zu sehen. Und mit seiner Beobachtung liegt er durchaus richtig: An den grünen Ufern der Dordogne und der Vézère in Frankreichs Südwesten haben die Menschen seit 22.000 Jahren alle Wendungen der Geschichte hautnah miterlebt, von der Menschwerdung über das Römische Reich, den Hundertjährigen Krieg bis hin zum Widerstand gegen Hitler.

Und im Städtchen Montignac sind sie jetzt im 3. Jahrtausend angekommen: Mitte Dezember 2016 hat Staatspräsident François Hollande, der echte Flamby, die erste fast vollständige Kopie der berühmten Bilderhöhle eröffnet, die unsere Vorstellung von der Frühgeschichte der Menschheit für immer verändert hat. Martin Walker ist am Nachmittag zur exklusiven Besichtigung dort gewesen. Schließlich ist er literarischer Experte. In seinem ersten Roman, „Schatten an der Wand“ (Diogenes Verlag), hat der Journalist die Geschichte der Höhlenmaler mit der Geschichte der Résistance im Zweiten Weltkrieg und einem aktuellen Kunstkrimi verwoben. „Diese Bilder haben mich einfach nicht mehr losgelassen“, sagt er.

60 Millionen Euro hat die neue Reproduktion gekostet. Sie wird in Frankreich als nationale Auf­gabe verstanden

Mit Glück durfte Walker vor Jahren einmal die Originalhöhle besuchen, die nur 22 Jahre nach ihrer Entdeckung im Jahr 1940 aus konservatorischen Gründen für immer geschlossen wurde. „Durch Restaurierungen und Erschließung hatte sie sich schon stark verändert“, erinnert er sich.

Umso erstaunter ist er durch einen nüchternen, dunklen Betontunnel in die neue Höhle eingetreten. „Lascaux IV“, wie sie in Frankreich heißt, zeigt 90 Prozent der wohl bekanntesten Bilderhöhle der Welt – und zwar so, wie sie bei ihrer Entdeckung ausgesehen haben dürfte. 60 Millionen Euro hat die neue Reproduktion gekostet. Sie wird in Frankreich als nationale Aufgabe verstanden.

Lebensgroße Auerochsen

Fast wäre das originalgroße Kunstharzmodell in einem hochmodernen Glas- und Betonbau unter einem künstlichen Hügel trotzdem ein Opfer der Finanzkrise geworden. Nun aber sehen Besucher im originalgetreu auf 13 Grad temperierten Inneren den verschütteten Eingang, der in der echten Höhle öden Betonschleusen weichen musste. Dann kommt der Saal mit den lebensgroßen Auerochsen und den mehrfarbig bemalten Wildpferden.

Im axialen Seitengang tummeln sich Hirsche und Steinböcke, im „Schiff“ schwimmende Hirsche und Wisente. Dazu geben seltsame Punkte und Symbole allen Prähistorikern bis heute Rätsel auf. Schon nach wenigen Minuten hat der Besucher bei diesem Überschwang im Dämmerlicht komplett vergessen, dass ihn Baukunst des 21. Jahrhunderts und komplexe Technik umgibt.

Reisetipps

Anreise: per Flugzeug nach Bergerac, Périgueux oder Brive und weiter mit einem Leihwagen nach Montignac

Adresse: Lascaux IV, 01 Rue de Lascaux, 24290 Montignac

Eintritt: Erwachsene: 16 Euro, Familienkarte: 44,90 Euro

Für Guillaume Colombo ist die Höhlenkunst von Lascaux kein Zufall. „Das flache Tal war damals eine struppige Tundra, in der große Rentierherden grasten, mit Fischen im Sommer und Brennholz für den Winter“, erklärt der Direktor des neuen Höhlenzentrums Ciap (Centre International de l’Art Pariétal).

Die Cromagnonmenschen, die ersten Vertreter unserer Gattung Homo sapiens sapiens, hätten ein gutes Leben geführt, findet Colombo. Vor allem hatten sie Zeit. „Zwei Männer konnten mit zwei Stunden Jagd eine Sippe von vierzig Leuten satt kriegen“, glaubt er. Anders als die Neandertaler, die zeitgleich im Tal lebten, nutzten unsere Vorfahren ihre Freiräume und wurden in den Höhlen der Region, in denen sie übrigens zu keiner Zeit lebten, künstlerisch tätig. Warum sie das taten, was sie sagen oder ausdrücken wollten, ist unter Wissenschaftlern hoch umstritten.

Früher glaubte man an Jagdzauber, aber in Lascaux beispielsweise ist die Hauptbeute, das Rentier, gar nicht abgebildet. Mit ihren Tierporträts, die erst in mehreren Farbtönen fast dreidimensional gemalt und anschließend in den Fels geritzt wurden, erreichten die Steinzeitmenschen jedenfalls ein Niveau, das erst Jahrzehntausende später wieder zu sehen war.

Silicon Valley der Steinzeit

In den Multimediakinos und Schauräumen neben der Höhle können heutige Besucher den teils verwitterten Bildern mit Hilfe modernster Technik auf die Schliche kommen. Vorgefertigte Antworten gibt es nicht. „Wir wollen die Besucher zum selbst Denken anregen. Das ist schließlich das Wesen unserer Art“, sagt Museumschef Colombo. Mit 400.000 Gästen im Jahr rechnet er.

Die erste Kopie „Lascaux II“ etwas weiter oben am Hang hatte bislang rund 270.000 Besucher. Als erste Höhlenkopie der Welt soll sie demnächst unter Denkmalschutz gestellt werden. Doch wenn Lascaux die Kathedrale der Steinzeit war, so muss das Vézère-Tal das Silicon Valley der Steinzeit gewesen sein – dicht besiedelt, gut vernetzt und voller Rohstoffe. Im zentralen Museum in Les Eyzies sind über 6 Millionen Artefakte aus der Vorgeschichte versammelt. Und in Dutzenden Höhlen an den durchlöcherten Talwänden öffneten die Cromagnonmenschen mit ihren Bildern ein Fenster in die Steinzeit.

Viele haben ihre Kunst nur durch Verwitterung längst wieder eingebüßt. Eine der wenigen noch zugänglichen Bilderhöhlen im Vézère-Tal ist die Höhle von Font-de-Gaume. Der Eingang liegt hoch oben in einer Kalksteinwand unter einem Überhang bei Les Eyzies. Maximal 72 Besucher am Tag dürfen in den 125 Meter langen, finsteren Gang, damit das ausgeatmete Kohlendioxid die empfindlichen Farben nicht weiter zerstört.

An diesem Tag im Dezember ist niemand sonst gekommen. Still liegt das Tal im Wald wie vor 17.000 Jahren, als hier die ersten Bilder entstanden. Drinnen zeigt Gästeführerin Stéphanie mit ihrer Taschenlampe Bilder von Wisenten, Mammuts und Rentieren – sogar beim Zungenkuss. „Das war das Kino der Vorzeit, im Talglicht fast in Bewegung gesetzt“, glaubt Stéphanie und lässt auch hier viel Raum für eigene Gedanken. Für Hühner und Fasane und für die alltägliche Politik hatten die Höhlenmaler von Lascaux und Font-de-Gaume wohl keine Zeit.

„Aber wer weiß“, sagt Martin Walker, der Schriftsteller, abends beim Herrenabend mit Raymond, dem dicken „Mustage“ und dem blinden Benson. Mit Sicherheit seien im Périgord noch nicht alle Bilderhöhlen wiedergefunden worden. In seinem Roman spinnt er diese Idee genussvoll weiter.

Beim letzten Glas Pomerol ist sich Walker jedenfalls sicher: Unsere Vorfahren sind noch für einige Überraschungen gut – und Angela Merkel für das eine oder andere Omelette mit schwarzen Trüffeln.

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