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Die Heldin mit den mächtigen Muskeln

Beim Berliner Istaf knacken vier Leichtathleten den Jackpot, eine davon ist die mexikanische 400-Meter-Läuferin Ana Guevara, deren plötzliche Erfolge in ihrer Heimat für gehörigen Wirbel sorgen. Ein Thema wird in all der Verehrung freilich ausgespart – der Griff zu unerlaubten Mitteln

von MARKUS VÖLKER

Die Stirn von Ana Gabriela Guevara, 25, liegt in Falten. Ihre Augenbrauen arbeiten wie tektonische Platten. Schieben den Unmut in kleinen Wülsten auf die Stirn. Erst als die Leitung des mexikanischen Fernsehsenders Televisa steht, glätten sich die Gesichtszüge. Guevara lächelt sogar, flüchtig. Zwanzig Minuten wird la chica superpoderosa, das übermächtige Mädchen mit der tiefen Männerstimme und den verdächtig strammen Waden, interviewt und zu allen Einzelheiten ihres 400-Meter-Laufs im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark befragt.

Wie es gegangen sei? Gut, sagt sie, einen Goldbarren aus Schokolade umklammernd. Wie sie sich fühle? Gut. Ist das alles? „Na ja, es ist schon ein wunderbarer Moment, in einem Atemzug mit Marion Jones und Hicham El Guerrouj genannt zu werden.“ Guevara hat den Jackpot der Golden League geknackt, gemeinsam mit der US-Sprinterin Jones, dem marokkanischen Mittelstreckler Guerrouj und Felix Sanchez, 400-Meter-Hürdenläufer aus der Dominikanischen Republik. Am Freitagabend gewann sie das letzte Rennen der Serie in 49,91 Sekunden. Die vier teilen sich den Erlös im Wert von 50 Kilogramm Gold (510.000 Euro).

Televisa übertrug das Golden-League-Finale direkt nach Mexiko. 50 Millionen an den Bildschirmen. Rekordquote für ein Sportereignis jenseits des Fußballs. „Sie hat eine unglaubliche Hysterie entfacht“, erläutert Televisa-Reporter Gerardo Liceaga, „wir haben nicht so viele Helden in Mexiko, das Land hat regelrecht auf Ana gewartet.“ Guevara versucht, den Trubel zu mildern, in ihrer beherrschten Art. „Ich bin nicht übermächtig; wenn die Leute denken, ich sei die beste Athletin, die Mexiko je hatte, sollen sie nur, es lenkt mich von meinen Zielen nicht ab.“

Wie resistent sie gegenüber Verehrung ist, zeigt sich, als vorm Stadion drei mexikanische Schlachtenbummler rappen: „Chiquiti bum a la bim bom ba, Ana, Anita, rarara.“ Guevara schaut nur kurz zu ihren Fans und wendet sich ab – kein Grund für Jesus Armenta, nicht in den höchsten Tönen von der „Goldfrau“ respektive der „schnellsten Maus von Mexiko“ zu schwärmen. „Wir sind so stolz auf sie“, sagt der Mechaniker aus der Grenzstadt Mexicali, der extra nach Berlin kam, um la chica superpoderosa zu sehen. „Bisher war Fußball vorn, jetzt ist sie die Größte“, sagt Armenta und wedelt mit der Nationalflagge. Von Dopinggerüchten um die neue Nationalheldin will er noch nichts gehört haben.

Guevara hat die Saison dominiert. Sie ist fünfmal unter 50 Sekunden geblieben und hält mit 49,16 die Weltbestzeit. So schnell war seit sechs Jahren keine Läuferin mehr. „Sie ist ein 24-karätiger Diamant“, hat Marion Jones unlängst gesagt.

Bis 1996 allerdings rammte die Mexikanerin noch keine Spikes in den Tartanbelag, sondern spielte Basketball in Nogales, einer Kleinstadt im Norden Mexikos, gelegen an der Grenze zum US-Bundesstaat Arizona. Ihr Basketballtrainer überredete sie zur Leichtathletik und nach nur drei Jahren pendelte die erste Goldmedaille vor der Brust: Schnellste über 400 Meter der Panamerikanischen Spiele in Winnipeg.

Die mexikanische Leichtathletik beherrschten stets die Geher und Marathonläufer. Bis Guevara kam und den Sprint populär machte. Zwischen Acapulco und Tijuana stiegen die Erwartungen. Doch bei Olympia in Sydney wurde sie nur Fünfte, weil sie das Rennen zu schnell angegangen war. 2001 in Edmonton verbesserte sie sich um zwei Plätze und holte als erste Mexikanerin eine WM-Medaille in der Leichtathletik.

Demnächst soll eine Stadionrunde dazukommen. Sie möchte nach den Olympischen Spielen in Athen über 800 Meter starten. „Das ist meine angeborene Disziplin“, erklärt sie in Berlin. „Mit den 400 habe ich mir die nötige Geschwindigkeit geholt, um über 800 vielleicht den Weltrekord zu brechen.“ Der stammt aus der Hoch-Zeit des Anabolikamissbrauchs (1983). Die Tschechin Jarmila Kratochvilova hält ihn noch immer mit 1:53,28 Minuten. Sie war eine Frau, die wie ein Mann aussah, und auch Guevara mutiert mit ihren Bizepsbergen ganz leicht von der la chica zur el chica. Zum Rekordlauf führt aber angeblich nur ein simpler „Achtjahresplan“. Von unerlaubten Hilsmitteln ist offiziell natürlich keine Rede, auch wenn die deutlichen Leistungssprünge Skepsis in der Branche erzeugen, zumal Mexiko nicht als ein Land verschrien ist, das den Antidopingkampf an vorderster Front führt.

„Ich bin jetzt im fünften Jahr meines Plans, bis jetzt liegt alles im Soll“, sagt Guevara. „Ich wollte erfolgreich sein und bin es geworden.“ Mexiko erstickt derweil in Zuneigung. Guevaras Bruder Alvaro hat den Rummel um seine Schwester in ein Lied gefasst. „Du bist ein Beispiel für unsere Jugend, die nach Orientierung sucht“, hat er gedichtet, „du bist der Stolz unseres Volkes.“ Wenn er sich da mal nicht irrt.

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