Die Hamburger Linke nach der Spaltung: Auf Scheidung folgt Wahlkampf
Linkspartei und BSW stehen nun in Konkurrenz: Wie sind sie mit Blick auf die Hamburger Bürgerschaftswahl in sechs Monaten aufgestellt?
Und auch der bundesweit wohl prominenteste Hamburger Ex-Linke, Fabio de Masi, trat bei der Europawahl als Spitzenkandidat für das BSW an, nachdem er seinem Hamburger Landesverband schon 2022 den Austritt erklärt hatte.
Diese Woche sorgte es zwar für Euphorie, dass sich mit Jan van Aken und Ines Schwerdtner zwei (ehemalige) Hamburger dazu bereit erklärten, den Bundesverband der Partei als zukünftige Vorsitzende retten zu wollen. In Hamburg selbst sieht die Lage dennoch weiter kritisch aus – zumindest auf den ersten Blick.
„Die Arbeit der Bürgerschaftsfraktion wurde durch den Verlust der drei Abgeordneten nicht erschwert“, versichert Heike Sudmann aus dem Fraktionsvorstand. Zwar würden nun offensichtlich mehr Aufgaben auf den einzelnen Mitgliedern der Fraktion lasten. Für die Zusammenarbeit sind die Abgänge jedoch eher eine Erleichterung, so scheint es durch.
Krieg und Frieden
Mit den Abgeordneten hatte es vorher jeweils kleinere und größere Konflikte gegeben. Sie stehen stellvertretend dafür, woran und in welchen Wellen die Linkspartei sich in den letzten Jahren entzweite: Ein Vorbote war dabei die Coronapandemie, bei der der Abgeordnete Mehmed Yildiz verschwörungstheoretische und impfgegnerische Positionen einnahm. Endgültig spalteten sich jedoch alle drei Abgeordneten im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine von ihrer Partei ab.
Im Gespräch mit der taz betonen alle drei, dass die Partei sich aus ihrer Sicht nicht ausreichend für Frieden und Verhandlungen mit Russland einsetzen würde. Zudem sei die Linke keine sozialistische Partei mehr. Diese inhaltlichen Gründe mögen richtig sein, sind aber wohl nur ein Teil der Wahrheit. Wie Yildiz verließen auch Metin Kaya und Martin Dolzer die Partei erst dann, als es ein politisches Alternativangebot gab: Kaya schon im letzten November, kurz nachdem sich das BSW – damals noch als Verein – offiziell vorgestellt hatte.
Yildiz und Dolzer verkündeten ihren Austritt schließlich mit einer gemeinsamen Mitteilung an genau dem Tag der finalen Parteigründung des BSW im Januar. Yildiz behauptet im Gespräch mit der taz, das Datum sei „Zufall“ gewesen. Sein Co-Unterzeichner Dolzer wiederum sagt: „Es war ein politisch bewusst gewählter Tag, um das Versagen der Linkspartei zu verdeutlichen.“
Bisher ist erst Metin Kaya Mitglied im BSW. Aber auch Mehmed Yildiz und Martin Dolzer schließen eine perspektivische Zusammenarbeit oder Mitgliedschaft nicht aus. Dies ist laut Dolzer „von Dynamiken und Gesprächen abhängig“.
Basis und Überbau
Bereits jetzt arbeiten die drei Abgeordneten zusammen und veröffentlichten gemeinsame Erklärungen. Und inzwischen steht auch fest: Wenn sie wollen, ist es ihnen rechtlich möglich, eine offizielle Abgeordneten-Gruppe in der Bürgerschaft zu gründen. Dadurch hätten sie im Parlament mehr Rechte als einzelne fraktionslose Abgeordnete. Über die Ausgestaltung dieser potenziellen Gruppe besteht allerdings noch Uneinigkeit: Während Kaya als BSW-Mitglied auch eine BSW-Gruppe gründen will, scheinen Dolzer und Yildiz aktuell eher einen parteiunabhängigen Zusammenschluss anzustreben – jedenfalls, so lange sie selbst noch nicht Mitglieder des BSW sind.
Final wird sich die Gruppenfrage voraussichtlich nach der parlamentarischen Sommerpause klären, sagen alle drei der taz. Es könnte entscheidend dafür sein, ob und in welcher Aufstellung das BSW bei den Wahlen für die Hamburgische Bürgerschaft im kommenden Frühjahr antritt.
Die Linkspartei sieht ihrer potenziell größten Konkurrentin gelassen entgegen. „Es gibt gerade ja noch gar nichts, wogegen wir uns abgrenzen müssten – meines Wissens nach nicht einmal einen Landesverband“, sagt der Co-Landessprecher Thomas Iwan im Gespräch mit der taz. „Deshalb fokussieren wir uns nicht auf das BSW, sondern auf unsere eigenen Inhalte und die Arbeit in den Stadtteilen. Das hat auch bei den Bezirkswahlen funktioniert, bei denen der Hamburger Landesverband im bundesweiten Vergleich gut abgeschnitten hat.“
Auch Heike Sudmann sagt: „Die große Stärke unserer Fraktion ist, dass die Abgeordneten enorm vernetzt in ihren Bezirken sind und über das Parlament hinaus wirken. Das BSW ist dem überhaupt nicht gewachsen.“
Warten auf die Ost-Wahlen
Für den Aufbau eines BSW-Landesverbandes in Hamburg ist derweil offiziell Zaklin Nastic zuständig, die auch im Bundesvorstand der Partei sitzt. Einer ihrer engsten Verbündeten dabei dürfte eigentlich Metin Kaya sein, der jedoch offenbar nicht viel Entscheidungsmacht hat: Im Gespräch mit der taz verweist er immer wieder auf den Bundesvorstand der Partei und Zaklin Nastic. Die ist jedoch für ein Gespräch mit der taz über Wochen hinweg nicht zu erreichen.
Die Parteigründung könnte sich in Hamburg aus zwei Gründen verzögern: Zum einen, das sagt auch Kaya, will sich das BSW aktuell ganz auf die Landtagswahlen im Osten fokussieren. Es könnte sein, dass bundesweit keine weiteren Landesverbände gegründet werden, bis diese rum sind. Zum anderen geht das Gerücht um, dass es schon vor der Gründung gekracht hat im Hamburger BSW: In der zweiten Reihe sollen unter anderem der ehemalige Linken-Schatzmeister Christian Kruse und Torsten Teichert für den Parteiaufbau zuständig gewesen sein.
Teichert war einst persönlicher Referent des Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi, der ebenfalls vor einigen Wochen groß ankündigte, das BSW unterstützen zu wollen. Er gilt als Organisationstalent, eigentlich ein Geschenk für die Partei. Jetzt soll er jedoch im Streit hingeschmissen haben, noch bevor es richtig losging. Für ein Gespräch mit der taz ist Teichert nicht zu erreichen.
Wie viele Personen in Hamburg bereits Mitglied im BSW sind, lässt sich nicht in Erfahrung bringen. Bundesweit hatte die Partei im Juni nur etwa 650 Mitglieder – dafür aber 8.000 Mitgliedsanträge und 17.000 registrierte Unterstützer. Das BSW setzt auf einen Parteiaufbau von oben und will nur handverlesene Mitglieder in die Partei lassen, um zu verhindern, dass die von der Spitze vorgegebenen Inhalte basisdemokratisch verändert werden. Daher ist auch das Mitgliederpotenzial in Hamburg schwer einschätzbar.
Jung gegen Alt
So oder so muss man feststellen: Die Austritte infolge der Gründung des BSW haben der Linkspartei in Hamburg unterm Strich nicht geschadet. Im ersten Halbjahr 2024 sind 80 Mitglieder ausgetreten – und mit 170 Menschen mehr als doppelt so viele neu dazugekommen. Aktuell zählt der Landesverband mehr als 1.700 Mitglieder.
Einer, der kürzlich erst dazugekommen ist, ist der 26-jährige Nico Paustian. „Die Partei von Sahra Wagenknecht mit ihren migrationsfeindlichen Positionen ist für mich Teil eines gesellschaftlichen Rechtsrucks“, sagt er im Gespräch mit der taz. „Dagegen wollte ich etwas tun.“ Da die Linksjugend Solid in Hamburg schon seit Langem zerstritten und in der Öffentlichkeit so gut wie unsichtbar ist, wollte Paustian ein alternatives Angebot für junge Menschen schaffen: Zusammen mit drei weiteren gründete er im vergangenen Jahr in seinem Bezirk Altona die „Junge Linke“. Eine Gruppe unter demselben Namen hatte sich vorher schon im Bezirk Eimsbüttel gegründet.
Als Paustian das Projekt startete, war er noch nicht einmal Mitglied in der Linkspartei. Im Dezember trat er dann doch bei. „Wir wollen als junge Menschen ja auch echten Einfluss auf die Partei ausüben können“, begründet er diesen Schritt.
Obwohl die Junge Linke Altona noch nicht einmal ein Jahr besteht, ist sie bereits sehr aktiv und organisiert monatlich mehrere Veranstaltungen. Damit erreicht sie auch junge Menschen, die noch nicht Parteimitglied bei den Linken sind. Ende Juli fuhr eine Gruppe aus sieben Personen von ihnen nach Leipzip, um den Landtagswahlkampf der Linken in Sachsen praktisch zu unterstützen.
Die Linke hat damit etwas, was sich in Bezug auf das BSW in Hamburg nicht erkennen lässt: Junge Menschen, die noch keine gescheiterten Parteikarrieren hinter sich haben und die motiviert sind, der Partei von unten in rosigere Zeiten zu verhelfen. Auch wenn das BSW bereits jetzt namhafte Stadtbürger zu seinen Unterstützern zählen kann, ist ein Klaus von Dohnanyi eben auch schon 96 Jahre alt.
Das kann in den beiden Wahlkämpfen im nächsten Jahr entscheidend werden, denn große Namen allein werden da nicht reichen – dafür ist Hamburg als Stadtstaat dann doch zu klein und persönlich. Und so haben beide Parteien bei all ihren Unterschieden dann doch eine Gemeinsamkeit: Sie stehen vor einem ganzen Batzen Arbeit.
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