piwik no script img

■ Die Grünen waren einmal die Partei der Jugend. Heute verlieren sie gerade bei den Jungwählern. Schuld daran sind die ewigen 68erMy Generation

Bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft hat die GAL bei den Jungwählern einige Federn gelassen. Bei den 18- bis 25jährigen verlor sie gegenüber 1993 4,1 Prozent Stimmenanteil, ein Rückgang von weit über 20 Prozent in dieser Gruppe. Auch bei den 25- bis 35jährigen gab es noch ein Minus von 2,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Hamburger Wahlleiter kommentierte dies mit dem Satz, die Grünen seien eben eine Generationenpartei. Kann es wirklich sein, daß die Bündnisgrünen gerade jetzt, wo die Machtteilhabe in Bonn zum ersten Mal in greifbarer Nähe scheint, die Jungen, die natural born voters der Partei, nicht mehr mitnehmen?

Eine Partei, die den Anspruch erhebt, der Motor für Erneuerung und Reform zu sein, kann sich nicht erlauben, die Zustimmung und Mitarbeit der Twentysomethings zu verlieren. Nadja von Scheidt, Sprecherin des Grün-Alternativen Jugendbündnisses, kritisierte zu Recht, daß die Jugend und ihre Kultur im Entwurf des Wahlkampfprogramms der Partei erst gar nicht vorkommen. Nach der verlorenen Wahl 1990 ging es um den Wiedereinstieg der Gesamtpartei in den Bundestag. Diesmal geht es sogar um mehr. Den Regierungswechsel in Bonn. Ohne die Jungen wird dieses Klassenziel nicht zu erreichen sein.

Jeder weiß: Die Bündnisgrünen sind die Partei der 68er und ihrer Schattengewächse. Die Gründung der Partei war das entscheidende Instrument, die Erlebnisgeneration der gesellschaftlichen Revolte wieder in die parlamentarische Demokratie zu resozialisieren. Immer noch hat sie bei denen, die ewig auf dem Nostalgietrip sind, eine Basis. Und bei den 35- bis 45jährigen, die auch gern so schön revoltiert hätten.

Doch die jungen WählerInnen wenden sich langsam ab. Zu groß scheint die Kluft zwischen der Partei und ihrer eigenen Lebenswelt und -erfahrung. Sie sind die erste selbstverständlich demokratische Generation der Bundesrepublik. Bei ihnen saß die NS-Vergangenheit nicht täglich am Frühstückstisch. Auch die Revolutionsromantik und der Kaderkater sind ihnen so fern wie das Mittelalter. Selbst die Friedens- und Anti- Atom-Bewegungen, in denen viele – gerade auch von uns jungen Grünen – ihre politische Taufe erlebt haben, oder auch die Kämpfe an den Zäunen der Startbahn West und in Wackersdorf sind keine sicheren Fixsterne mehr. Ihre politische Grundhaltung ist desillusioniert, aber sie sind deswegen noch lange nicht ohne Ideale. Für sie ist Politik keine Inszenierung der Wahrheit in der Geschichte und ihrer ständigen Wiederholungen. Sie haben praktische Probleme, die besonders auf ihre Generation zukommen und die von den bestehenden politischen Strukturen nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit angegangen werden.

Für die Mehrheit der jungen Menschen ist die Vielzahl der Lebensentwürfe nicht mehr utopisches Programm, sondern längst gelebte Normalität. Das ist der Erfolg der tiefgreifenden Demokratisierung, die der Kampf der 68er in unserer Gesellschaft bewirkte.

Aber wir haben auch unsere eigenen Vorstellungen. Wir wollen nicht mehr, daß der Staat unser Glück verwirklicht. Wir vertrauen, wenn die staatlichen Rahmenbedingungen es zulassen, auf unsere eigenen kreativen und materiellen Ressourcen. Wir haben die Logik der Popkultur verinnerlicht: Der Ernst der Welt hört dort auf, wo die Welt im Ganzen erklärt oder verändert werden soll. Das und nichts anderes bedeutet unsere angeblich so unpolitische Natur.

Was uns anödet, sind moralisierende Missionare und politische „Knackpunkte“, mit der Hand auf der Brust zelebriert. An den 68ern hat uns immer die Maßlosigkeit gestört. In ihren Händen sind alle politischen Instrumente, auch gerade der außerparlamentarischen Politik, durch ständiges Moralisieren und Aktionismus abgestumpft.

Solidarität, der gelebte Ausgleich zwischen Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, ist kein Monopol der 68er. Wir leben sie – und nicht nur privat. Die Ratschläge einer Generation, die in die Vollbeschäftigung – und übrigens auch in eine Reformära – hineinrevoltierte, sind gelinde gesagt nervend. Soziale Gerechtigkeit, Partizipation, humane Asyl- und Flüchtlingspolitik, ein modernes Staatsbürgerrecht und Demokratisierung – sie sind und bleiben für uns politische Essentials. Es gibt also genug zu tun.

Mit einer Tradition sollten die Bündnisgrünen allerdings brechen, wenn die jungen WählerInnen sie wieder als „ihre“ Partei akzeptieren sollen: Bei der Bestimmung der eigenen Identität brauchen sie keine Partei als Avantgarde und Fokus eines kollektiven Wissens und Gewissens. Die eigene vielschichtige Identität, auch gerade das Wechselspiel der eigenen Identitäten, führt zur Wahl einer bestimmten Partei. Letztlich kann dies auch zur Wahl verschiedener Parteien zu verschiedenen Zeiten führen. Die Milieuparteien kommen an ihr historisches Ende. Genau das macht die Situation für die Grünen heute so riskant.

Aber darin liegt auch ihre Chance. Das zu akzeptieren macht die eigentliche, die mögliche neue Affinität der Jüngeren zu den Grünen aus. Wer nicht gerade mit dem Silberlöffelchen in der Hand geboren wurde, weiß, daß seine oder ihre Biographie keine gerade Linie mehr zeichnen wird. Zwischen Studium und Lohnjob, selbstverantworteter und abhängiger Arbeit, Ausbildung und Arbeitslosigkeit, Familien und Singleleben wird es immer wieder Zwischen- und Wechselzeiten geben, in denen jeder auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sein wird.

Auch deswegen ist übrigens die FDP auf dem Holzweg, wenn sie auf entsolidarisierte Winner-Biographien setzt und glaubt, sich damit ein jugendliches Image zu verschaffen. Junge Menschen haben ein ausgeprägtes soziales und ökologisches Gewissen. Und sie wissen, geübte Solidarität ist kein politisches Almosen, sondern der Kitt, mit dem allein die moderne Gesellschaft zusammengehalten werden kann. Solidarität ist immer auch Solidarität mit uns selbst.

Die Grünen sind die einzige Partei, in der die Generationenpolitik den Stellenwert haben kann, den sie verdient. Dabei ist Politik auch Kultur. Und grüne Politik als Generationenpolitik muß auch junge Kultur ausdrücken. Die Partei ist ein Kind einer gesellschaftlichen Revolte.

Gerade deswegen hat sie die Chance, die veränderten gesellschaftlichen Realitäten, die von der jungen Generation selbstverständlich schon gelebt werden, auch in die Institutionen der Politik zu tragen. Aber die Grünen müssen auch wissen: Ein Selbstläufer ist das nicht. Felix Ensslin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen