■ Bündnisgrüne: Das Wahlprogramm bietet zu viele Wege und Irrwege: Die Grünen im Wunderland
„Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll“, so fragt Alice im Wunderland, so fragen die Grünen, Lewis Carroll zitierend, in der Präambel ihres Programmentwurfs. „Das hängt sehr davon ab, wo du hinwillst“, antwortet die Katze, die sich anscheinend im Wunderland besser auskennt als die Grünen in Deutschland.
Denn deren Programmentwurf läßt nur zum Teil erkennen, wohin die Grünen wollen. Er beschreitet die breite Allee einer ökologischen sozialen Umgestaltung der Gesellschaft wie die ausgetrampelten Pfade des Antikapitalismus, orientiert sich an weglosen Zielen wie der Nato-Auflösung oder der Nachhaltigkeit und verliert sich in den Irrwegen einer staatlich organisierten Beschäftigungspolitik. Das ist für eine Partei, die 1998 in Deutschland mitregieren will, zuviel und zuwenig: zuviel Diffusität und zuwenig Klarheit.
Und da die Grünen bekanntlich ein Haufen versierter Pfadfinder sind, nimmt es nicht wunder, daß sie sich wieder im Richtungsstreit befinden, seit der Bundesvorstand vor drei Wochen den Entwurf vorlegte.
Einen Entwurf, dem die Globalisierung lediglich die perfide Fortsetzung des Kapitalismus mit anderen Mitteln ist; der Europa nicht als Antwort auf eben jene Globalisierung durchdekliniert, sondern zum Nationalstaat addiert. Ein Entwurf, der den Staat in Stellung bringt, wo er längst auf verlorenem Posten steht. Ein Entwurf schließlich, der häufig genug sprachlichen Nebel ausbreitet, wo der Hinweis auf die im Wege liegenden Steine weit dienlicher wäre.
Alice nannte ihr Ziel eigentlich gleich, solange sie nur irgendwo hinkomme. Die Grünen wollen bekanntlich nicht irgendwohin, sie wollen auf die Regierungsbank. Und das möglichst im nächsten Herbst. Der Weg dahin ist schwierig genug.
Wenn ihnen möglichst viele dabei folgen sollen, sollten sie wenige und klare Orientierungen geben, statt strahlende und weitergehende Ziele zu benennen. Man kann natürlich auch zu diesen hinkommen. „Wenn du nur lange genug läufst“, sagte die Katze. Alice lief los.
Doch bei den Grünen sind die Zeiten der Bewegungspartei vorbei. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen