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Die Gewalt der Zuschreibungen

Das Syker Vorwerk zeigt drei Serien der südafrikanischen Fotografin Jodi Bieber – und fragt nach Zusammenhängen von Geschlechterstereotypen und Gewalt

Von Jan-Paul Koopmann

Der zweite Blick lohnt, gerade weil die Frage nach „natürlicher Schönheit“ so durchgenudelt ist. Es klingt ja menschenfreundlich, gar mit einem Hauch von Feminismus. Aber was heißt schön schon? Und was natürlich? Geht es um Menschen, die das Glück hatten, so geboren zu werden, wie andere sich erst hinschminken und aufspritzen müssen? Spätestens dass längst auch die Frauenkörper vermarktende Industrie von Porno bis Kosmetik von natürlichen Schönheiten spricht, muss einem doch zu denken geben.

Für die südafrikanische Fotografin Jodi Bieber beginnt die Intervention dann auch gerade nicht am markttauglich durchoptimierten Fantasiekörper, sondern da, wo angeblich alles besser laufen soll. Beim Kosmetikhersteller Dove nämlich und seiner seit 15 Jahren weltweit abgefeierten „Real Beauty“-Kampagne voller Frauen, die mehr oder weniger durchschnittlich aussehen sollen. „Tested on Real Curves“, hieß es in der Kampagne am Anfang, witzigerweise über eine Produktreihe gegen Cellulite.

Es mag also wohl sein, dass die Werbung die Maßstäbe ein bisschen gerader gerückt hat – gegen das grundsätzliche Problem normierter Schönheitsideale hatte sie selbstverständlich nichts im Angebot. Das fand auch Jodi Bieber und lud alle interessierten Frauen zu eigenen Fotosessions ein, um vielleicht echtere, individuelle Schönheit zu zeigen – oder sich immerhin danach auf die Suche zu begeben.

Zu sehen ist diese Porträtserie aktuell neben zwei weiteren im „Syker Vorwerk – Zentrum für zeitgenössische Kunst“. Das Museum in der Nähe von Bremen kontrastiert die Frauen mit Biebers Männerserie „Quiet“ und mit der hochdramatischen Reihe „Women who have murdered their husbands“.

Kurator Alejandro Perdomo Daniels und die künstlerische Leiterin des Hauses, Nicole Giese-Kroner, zeichnen damit eine Bewegung in Biebers Arbeit nach, die vom weiblichen Schönheitsideal über generelle Geschlechterstereotype bis hin zur Macht- und Gewaltfrage führt. „Making Feminism“ ist der gemeinsame Titel dieser drei Serien.

Das ist nicht Biebers einziges Themenfeld, aber doch das, mit dem sie weltberühmt wurde. 2010 war das, als sie für das auf dem Time-Cover gedruckte Porträt der Afghanin Bibi Aisha den World Press Photo Award erhielt. Die Familie dieser jungen Frau hatte ihr Nase und Ohren abgeschnitten, weil sie versucht hatte, aus der Zwangsehe zu entkommen.

Die Gewalt in der Syker Ausstellung kommt unvermittelt gegen Ende des Rundgangs, bei Frauen, die für Mord an ihren Ehemännern im Gefängnis von Johannesburg sitzen. Jodi Bieber hat sie dort besucht und ihnen je drei Tafeln gewidmet: ein Porträt im Schlafsaal, einen Blick auf die persönlichen Sachen – sowie einen Text, der ihre Geschichte protokolliert. Und die sind mitunter schwer zu ertragen. Weniger wegen der Morde selbst, sondern weil die schreckliche Vorgeschichte haben. Ohne die Details wiederzugeben: Es geht um Notwehr und Rache, um sexuelle Gewalt an Kindern und Partnerinnen. Es wird zu wenig erzählt, um die Fälle rechtlich nachzuvollziehen – aber mehr als genug für nagende Zweifel an der Gerechtigkeit der Welt und ihrer Justiz.

Aber sicher wissen können wir’s nicht. Und das ist überhaupt schwierig bei Bieber: Wenn Kurator Daniels etwa völlig zurecht die Würde betont, die Bieber ihren Modellen zugesteht, dann entspricht dem schließlich auch eine Ästhetisierung des Elend. Das gilt für die Frauen im Knast sowie für Bibi Aisha – aber auch für viele andere Randgruppen, die Bieber in den vergangenen Jahren porträtiert hat. Gerade weil sie ihre künstlerische Arbeit auch journalistisch begreift, können diese hochgradig ausdifferenzierte Ästhetik und ihre emotionale Tiefe gefährlich werden. Die Künstlerin selbst führt darum grundsätzlich Interviews mit ihren Modellen, einige davon sind auch hier in der Ausstellung zu lesen – teils an den Wänden, teils im Begleitheft.

Und da wird es noch mal interessant: Auch bei den eher harmlosen Porträts in den Abteilungen vor dem Gefängnis. Denn tatsächlich erzählen die Posen der Frauen zwischen 22 und 81 Jahren nur die halbe Geschichte. In Unterwäsche stehen oder liegen sie in ihren Wohnungen, mal mit angewinkeltem Fuß und den Händen am Kopf, dann wieder platt auf dem Boden. Eine sitzt im Rollstuhl. Im Hintergrund: Plüschtiere, Whiskey-Werbeposter, ein Leopardenfell – oder auch schlichtes und unbestimmtes Interieur.

Zum Teil sind das Zitate medial eingeschliffener Fotoposen, manchmal auch Ironie, dann wieder ein zweifelsfrei authentischer Ausdruck. Wichtig ist aber eben: Es wird erzählt, was diesen Frauen wichtig ist, das Bild verortet und so zur Diskussion gestellt. Und natürlich gibt es hier auch das zu sehen, worum Dove einen großen Bogen gemacht hatte: Cellulite, Dehnungsstreifen, Falten und auch echtes Übergewicht statt nur dezenter „Kurven“.

Die Frauen waren von sich aus gekommen, die Männer im Erdgeschoss hingegen hatte Bieber ihrerseits angesprochen. Hier mit klarer Vorgabe: Bieber wollte Männer zeigen, ausschließlich Cis-Männer übrigens, die sich im Alltag jenseits tradierter Maskulinität inszenieren. Nicht hart also, nicht dominant, nicht extrovertiert und so weiter. Durch die Bank weg finden sich hier: leicht entrückte, nachdenkliche Blicke und weiche Haltungen. Vielleicht ist die männliche die diskursivere Reihe, gerade weil sie so ausdrücklich in Abgrenzung zum Standardbild konzipiert ist.

Hübsch und sicher nicht ganz zufällig verschränkt sind beide Serien, weil das sogenannte Standardbild am Rande durchaus auftaucht: weibliche Pin-ups an den Wänden einer Herrenwohnung – oder lässige Mann-Musiker auf den Postern der Frauen.

Es ist schon hart, aber nachvollziehbar, diese verspielten Aufnahmen gemeinsam mit den Zeugnissen extremer Gewalt auszustellen. Im Obergeschoss wird klar, dass es nicht um kleine Ungerechtigkeiten wegen kleiner Normabweichungen geht, sondern um eine Gesellschaft, die ihre Machtverhältnisse entlang solcher Fragen ausrichtet. Alle inhaftierten „Mörderinnen“ sind Mütter, Ehefrauen, Sexualobjekte – die in eine Gewaltspirale aus prügelnden Ehemännern, Gegenwehr und der darüber urteilenden Staatsgewalt geraten sind. Und dieses Muster ist selbstverständlich konstruiert aus den Rollen, die Männer und Frauen sich und einander zuschreiben. Und über dieses Geflecht lässt sich hier im Syker Vorwerk eine Menge lernen – auch wenn das mitunter eine schmerzhafte Angelegenheit ist.

„Making Feminism“: bis 2. 2. 20, Syke, Syker Vorwerk

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