Die Gesellschaftskritik: Wenn sich sonst keiner aufregt
Was sagt uns das? Das ZDF tut Jan Böhmermann den Gefallen und löscht dessen Schmähkritik an Erdoǧan. Die späte Tilgung ist quasi immanenter Teil der Satire
Stell dir vor, es ist Schmähkritik und kein Schwein interessiert’s. Jan Böhmermann hat in seiner letzten „Neo Magazin Royale“-Sendung bei ZDF Neo ein Gedicht vorgelesen, gerichtet an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Damit dieser endlich mal lerne, was in Deutschland erlaubte Satire sei (zum Beispiel das Lied von den „extra3“-Kollegen) und was unerlaubte Schmähkritik (zum Beispiel die Reime von Böhmermann).
„Das, was jetzt kommt, darf man nicht machen“, so läutete Böhmermann in seinem „Neo Magazin Royale“ das Gedicht schon ein. Und dann kam etwas von „Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner“ und „Am liebsten mag er Zicken ficken“ und „Fellatio mit hundert Schafen“ und „Schrumpelklöten“ und „schwul, pervers, verlaust und zoophil“ und ja, man begriff schnell, worauf Böhmermann hinauswollte und -will.
Zensur! Schlimm!
Am Freitag hat das ZDF diesen Teil von Böhmermanns Sendung dann gelöscht. Erst aus der Mediathek, anschließend hat der Sender – bevor die Show auch im Hauptprogramm lief – die Schere angesetzt und das Gedicht rausgeschnitten. Grenzen der Satire und Ironie seien „klar überschritten“ worden, der Beitrag entspreche „nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt“ und so weiter.
Jaja, die alten Satire-Qualitätsansprüche, wohl noch von Tucholsky persönlich auf dem Mainzer Lerchenberg hinterlegt – oder was? Schlimm, dieses ZDF! Bräsig! Ein Sieg für Erdoğan! Der Kotau vor dem Despoten! Und: ZENSUR!
Doch wer glaubt, dass so was Zensur sei, der glaubt auch, dass Heidi Klum sich vor der Kamera ganz natürlich gibt.
Zuvor passierte: nichts
Das ZDF hat mit seiner Löschung nichts anderes gemacht als Böhmermanns Spiel mitzuspielen. Es hat ihm womöglich sogar den Arsch gerettet. Denn nachdem Böhmermann sein Schmähgedicht veröffentlicht hatte, passierte: nichts. Zumindest nichts, was die Schwelle zur Wahrnehmbarkeit überschritten hätte. Ist blöd, aber passiert halt mal, wenn man ständig Satirisches oder Ernstes oder irgendwas rausballert. Mal gibt es Resonanz, mal nicht.
Schlecht ist das nur, wenn man in den Beitrag die spätere Resonanz schon einpreist, die anschließende Löschung quasi immanenter Teil der Satire ist. „Unter Umständen nimmt man das aus der Mediathek“, hieß es schon in der Sendung. Dann wurde davon geredet, wie nun in Deutschland gegen diese Schmähkritik vorgegangen werden könnte: Anwalt nehmen, klagen und so. Nur leider hat das dann niemand gemacht. Noch nicht einmal Erdowie, Erdowo, Erdoğan.
Da musste halt das große ZDF helfen – und löschen. Böhmermann dürfte diesem Schritt seines Auftraggebers gerne zugestimmt haben. Wusste er doch genau, was danach passieren würde: Das ZDF bekam für so viel vermeintliche Rückgratlosigkeit auf die Fresse und Böhmermanns Gedichtbeitrag wurde – oh Wunder – doch tatsächlich von ganz vielen Schelmen wieder hochgeladen und bei Vimeo und Co. verbreitet. Gegen die Zensur! Für die Pressefreiheit!
Vive la Inszenierung!
Jürn Kruse
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