: Die Geschichten der Helden
In Mosambik sind nun auch die Industrienationen eingetroffen, helfen – und klopfen sich dafür gegenseitig auf die Schultern
aus Palmeira KORDULA DOERFLER
Er hat alles verloren. Sein Haus, seine Felder, seine Hühner. Dabei hatte Joao Jaime Mhlongo noch Glück. Ein südafrikanischer Hubschrauber rettete ihn und seine Familie von seinem Hausdach. „Rundherum war nur Wasser, so weit man sehen konnte.“ Das war vor ein paar Tagen. Seither haust er in einem Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Palmeira, etwa 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Maputo.
Das Wort Lager ist eine Übertreibung. Die Krankenstation – ein dunkles altes Haus aus der Kolonialzeit, drum herum unter ein paar Plastikplanen Notküchen. Und dazwischen 2.500 Menschen. Lebensmittel hierher zu karren ist für die Helfer der UNO direkt einfach – verglichen mit anderen Regionen im Norden. Die Straße von Maputo nach Beira ist bis hierher wieder befahrbar.
Viel weiter aber geht es nicht. Die einzige Nord-Süd-Verbindung des Landes endet in einer Seenlandschaft. Einst war hier ein Fluss, der Incomati, der kurz vor seiner Mündung in den Indischen Ozean noch immer mehrere Kilometer breit ist. Nur 100 Kilometer weiter fließt der Limpopo, einer der größten Flüsse des südlichen Afrikas, ins Meer. Zehntausende Menschen an seinen Ufern suchten nach einer gewaltigen Hochwasserwelle Zuflucht auf Bäumen, Hausdächern und kleinen Sandbänken. Die Stadt Xai-Xai an seiner Mündung ist nur aus der Luft erreichbar – noch immer.
Vom Ertrinken bedroht war Mitte dieser Woche niemand mehr. Endlich geht das Wasser zurück. Endlich beginnt die Versorgung von zehntausenden, die seit Tagen ohne Lebensmittel und sauberes Wasser waren. Mindestens 250.000 Menschen, schätzt die UNO, wurden in Mosambik durch die Hochwasserkatastrophe obdachlos, fast eine Million ist von ihr betroffen.
Der Wiederaufbau nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg ist in den mittleren Landesteilen Mosambiks in einer trüben, stinkenden Brühe untergegangen. In Xai-Xai etwa ernähren sich die Menschen auch von Tierkadavern, die den Fluss hinuntertreiben, erste Cholerafälle sind bekannt.
Kurz hinter Palmeira schnurren Hubschrauber durch die Luft. Lebensmittel lagern auf dem freien Feld, streng bewacht von Mitarbeitern des UN-Welternährungsprogramms WFP. Die UN-Unterorganisation koordiniert die gigantische Hilfsaktion für Mosambik, die seit Anfang dieser Woche läuft. Waren in der vergangenen Woche jämmerliche sieben südafrikanische Hubschrauber vor Ort, gibt es jetzt eine wahre Invasion von Helfern aus dem Westen.
Britische, französische und südafrikanische Hubschrauber versorgen von Palmeira aus die Städte in der Limpopo-Region, die in den Fluten versunken sind. Am Montag wurden von hier aus 72 Tonnen Lebensmittel ausgeflogen, jeden Tag sollen es nun mehr sein, sagt eine freiwillige Mitarbeiterin des WFP.
Jetzt, am frühen Dienstagmorgen, ist es noch ruhig. „Es dauert eben seine Zeit, bis die Infrastruktur für eine solche Hilfsaktion steht“. Der US-Amerikaner Steven Fauser, ebenfalls vom WFP, wirft einen besorgten Blick zum Himmel – nicht nur wegen der Hubschrauber, die heute Morgen zu spät kommen.
Dunkle Wolken hängen über dem Busch. Weiter nördlich regnet es schon wieder. Zwar hat der nächste tropische Zyklon mit dem schönen Namen Gloria das Land bislang nicht erreicht. Doch auch das umfangreiche Regengebiet, das er vor sich herschiebt, könnte ausreichen, um die Hilfsaktion wieder ins Stocken zu bringen. Wer weiß das schon.
„Was lässt sich in dieser Gegend der Welt schon vorhersagen“, sagt Wolfhart Kloss, Oberstleutnant der deutschen Luftwaffe. Eines fällt ihm dann aber doch ein: der Ärger mit der Presse. Denn die behauptet doch immer noch, man sei viel zu spät gekommen. Und die Kollegen vom Auswärtigen Amt haben nun erhebliche Mühe, diese bodenlose Verdrehung richtig zu stellen.
Das ist aber nicht so einfach, bei der Chronologie der Ereignisse. Erst Mitte vergangener Woche hatte man in Berlin das Ausmaß der Katastrophe begriffen. Und sieben Hubschrauber und insgesamt knapp 200 Mann nach Mosambik geflogen. Bis zur Wochenmitte wurden sie ins 800 Kilometer entfernte Beira verlegt und sollen dort gemeinsam mit Briten, Amerikanern und Malawiern die Menschen im Save-Tal versorgen. Auch dort hat die Flutwelle ganze Ortschaften unter sich begraben. Wie sieht es dort aus, welche Infrastruktur ist nötig? Weil der Fluss weit weg ist von Maputo, wurde die Region bislang vernachlässigt.
Niemand weiß, wo es hingehen wird
Das hat der Flughafen von Maputo noch nie erlebt: riesige Transportflugzeuge, Hubschrauber und Schlauchboote, Lebensmittel und Medikamente. Die Piloten in schneidigen Uniformen sind die Helden der Stunde. „Unsere Jungs“ wirken ein wenig desorientiert. Niemand weiß so recht, wo es hingehen wird. Denn koordiniert wird das Ganze ja von anderen – und auch gar nicht so schlecht, wie man zugeben muss. „Hoffentlich funktioniert das Handy-Netz in Beira“, wünscht sich ein junger Soldat. Man will doch mit der Heimat telefonieren. Das sagt er so und meint es so.
Die Heimat ist wahrlich weit weg. Die Bundeswehr erlebt nun gewissermaßen noch einmal das Trauma des wilhelminischen Deutschlands: in Afrika und überall auf der Welt zu spät zu kommen als Großmacht. Während Engländer, Spanier, Franzosen routiniert mit der chaotischen Situation in dem bitterarmen Land umgehen, hoffen die deutschen Soldaten auf feste Unterkünfte.
In Maputo hat sich das Leben fast wieder normalisiert. Die Straßen sind verstopft, mit ein paar tiefen Löchern mehr, manche noch immer mit Sandsäcken befestigt. Die Kloaken in den Slums stinken, Hinterlassenschaften des Regens. Aber Maputo, die alte portugiesische Hafenstadt Lourenço Marques’, im Süden des fast 3.000 Kilometer langen Landes liegt in der Nähe von Südafrika. Da können Nahrungsmittel rasch geliefert werden, auch wenn der Norden des reichen Nachbarn in den Fluten versunken ist.
Die Innenstadt quillt über von Mitarbeitern der Hilfswerke aus aller Welt – und Journalisten. Die Hotels sind doppelt und dreifach belegt, Zimmer gibt’s zum doppelten Preis. Das Geschäft mit der Not blüht. Kamerateams rangeln um Plätze auf den Hubschraubern. Für gute Bilder tut man schließlich alles. CNN hat vorsichtshalber bis zum 20. März einen ganzen Gang im teuersten Hotel der Stadt gemietet. Abends treffen sich Katastrophenreporter, Piloten und Techniker an den sündteuren Hotelbars und schwadronieren. Wo Mosambik liegt, wussten die meisten vor ein paar Tagen noch nicht. Sind wir nicht alle Helden?
Die eigentlichen Helden belächeln die Aufgeregtheit der Europäer und Amerikaner. Wer kennt Afrika schon so wie sie? Wie Jaco Klopper etwa. Zu Hause ist der Pilot der südafrikanischen Luftwaffe zum Liebling der Nation geworden. Hunderte hat er aus den Fluten gezogen, in teilweise aberwitzigen Einsätzen. Als die Industrienationen noch zauderten, ob sie nun Decken oder vielleicht doch etwas mehr schicken sollten, waren Jaco Klopper und Kameraden längst da.
Die stille Wiedergutmachung
Schon Mitte Februar haben die Südafrikaner Mosambik erst fünf, später sieben Hubschrauber zur Verfügung gestellt und damit mehr als 10.000 Menschen gerettet. Was sagt man da zu den anderen Nationen? „Das ist jetzt eine vereinte Operation“, verteilt Held Klopper Lorbeeren an die verspäteten Kollegen. Die hören es gern und geben die Komplimente zurück. „Die fantastische Arbeit der Südafrikaner“ ist schon zur festen Redewendung geworden. Der 41-Jährige sagt: „Jeden Tag musste man Entscheidungen treffen, schwere Entscheidungen, wen man zuerst herausholt.“
Diszipliniert und gut ausgebildet ist die südafrikanische Armee allemal. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie in diesem Land eine weniger heldenhafte Mission ausgeübt. Das weiße Minderheitsregime unterstützte jahrelang die rechten Rebellen von Renamo im blutigen Bürgerkrieg gegen „die Teufelsbrut“ der marxistischen Frelimo. Der Einsatz der vergangenen Wochen – eine Art stiller Wiedergutmachung an den Nachbarn?
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