Die Fußmatte und der Bürgermeister

Greifswald Ein Grüner gewann im Mai die OB-Wahl. Ein Türvorleger könnte ihn das Amt kosten

Sie wollen beide so gern ins Greifswalder Rathaus: der gewählte OB Stefan Fassbinder (l.) und sein CDU-Kontrahent Jörg Hochheim Foto: dpa

GREIFSWALD taz | Seit Monaten herrscht in Greifswald ein Schwebezustand. Bürgermeister Arthur König, 64, CDU, wollte sein Amt längst los sein. In der letzten Woche hat er eine Veranstaltung eröffnet, eine Turnhalle als Notunterkunft für Flüchtlinge herrichten lassen. Das Tagesgeschäft läuft. Langfristige Planungen liegen auf Halde.

Die Wahl des Grünen ­Stefan Fassbinder, 49, war im Mai eine kleine Sensation. Er war der erste grüne Oberbürgermeister in Norddeutschland und zu dem Zeitpunkt der einzige in Ostdeutschland. Unterstützt von einem Parteienbündnis von SPD, Linken, Piraten und Grünen, hatte er es geschafft, die 25-jährige CDU-Herrschaft im Rathaus zu beenden. Gewählt wurde er mit nur 15 Stimmen Vorsprung.

Doch kurz nach dem Wahlsieg kamen die Einsprüche: Ein Wähler meldete, er habe die Tür seines Wahllokals verschlossen vorgefunden und erst wählen können, als er später noch mal zurückkehrte. Ein Fußmatte hatte den größten Teil des Tages in der Tür gelegen, um diese offen zu halten, eine Zeit lang war sie wohl verrutscht, weswegen der Zugang zum Wahllokal für 90 Minuten verschlossen war. Fassbinders Kontrahent Jörg Hochheim, 50, CDU, Dezernent in der Stadtverwaltung, erhob daraufhin ebenfalls Einspruch. Derweil fand sich nicht ein einziger Bürger, der wegen der fehlenden Fußmatte nicht hatte wählen können.

Die Fußmatte, ein abgenutztes Exemplar, liegt mittlerweile ihrer Bedeutung für die Stadtgeschichte wegen im Pommerschen Landesmuseum. Wie groß die Beeinträchtigung der Wahl durch die verrutschte Matte war, versucht derzeit ein von der Bürgerschaft einberufener Wahlprüfungsausschuss zu klären. Ende August kam ein Gutachten des Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses, ­Wolfgang Joecks, SPD-Mitglied und Professor für Strafrecht an der Universität Greifswald, zu dem Ergebnis, dass es zwar einen Wahlfehler gegeben habe. Dieser sei aber nicht gravierend. Jetzt aber gibt es ein Gegengutachten, pikanterweise erstellt von Joecks Stellvertreter Sascha Ott, CDU-Mitglied und Richter am Greifswalder Amtsgericht. Sollte die Bürgerschaft am heutigen Montag gegen eine Wahlwiederholung stimmen, hat Ott die Klage auf Neuwahlen bereits angekündigt.

Auch ein am Freitag veröffentlichtes Gutachten des Schweriner Innenministeriums, verfasst von Martin Morlok, Professor für öffentliches Recht in Düsseldorf, könnte den Ausgang der Abstimmung der Bürgerschaft noch beeinflussen: Morlok plädiert für Neuwahlen.

Die Matte liegt inzwischen im Pommerschen Landesmuseum

Stefan Fassbinder sagt, dass er weiter als Bürgermeister zur Verfügung stehe und hoffe, dass die Gegenseite die Entscheidung der Bürgerschaft akzeptieren und von einer Klage absehen werde. Hochheim will sich derzeit nicht äußern.

Wolfgang Joecks, der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses, der viele Sommerabende mit den Ermittlungen im Fußmattengate zubrachte, will sich indes die Option offen halten, gegen Neuwahlen zu klagen. Seine Prognose: „Am Ende wird das Verwaltungsgericht entscheiden.“ Anke Lübbert