: Die Fraufrau
■ Ob in Pumps oder Hausschlappen: Sophia Loren, Ehrengast der Berlinale, war immer das Weib der italienischen Nation
Armut kann so üppig sein. Ur- Mamma Sophia Loren, Ehrengast der diesjährigen Berlinale, führt in ihrem gespielten Elend vor, wie man am Leben nagend, nur von Sonne und Weißbrotkrumen zehrend, gut im Strumpf und bei Laune bleiben kann.
Ob als Cinderella Isabella in „C'era una Volta“ (Francesco Rosi, 1967), die lustvoll und rabiat zugleich ihrem Prinzen (Omar Sharif) Knödel knetet, oder als Schießbuden-Schlampe und „Hauptgewinn“ in zu eng geknöpfter Bluse (Episode von De Sica in „Boccaccio 70“, 1961), stets gilt es zunächst anständig zu werden, bevor sie die Lira-Bündel wie ein Daumenkino mit bratfettiger Hand flattern läßt. Wenn die Kirmes-Attraktion, „Neapels Nummer Eins“, mit ihrem muffig-zärtlichem „Quatsch nicht, schieß!“ und „Warum prügelst du nicht weiter?“ schon mal schlüpfrige Phantasien bedient, und sich nicht schämt, dabei den Lauf der Flinte zu hätscheln, tut sie das mit der Unschuld eines Provinzmädchens. Und beim hausbackenen Striptease in „Boccaccio 70“ können auch Mastroiannis Tierstimmen-Imitationen keine Lüsternheit heranbellen.
Als Zigarettenverkäuferin Adelina findet sie in „Ieri,Oggi i Domani“ (De Sica, 1963) ihre Bestimmung im Gebären und richtet sich ihr Dasein als Legebatterie, dekoriert mit neapolitanischem Frohsinn, ein. Stapfte die Hochschwangere eben noch auf dem letzten Loch pfeifend eine Steintreppe hoch, erinnert sie sich wenige Meter später wieder ihrer Mission, nämlich der Idylle des Lumpen- Proletariats durch ihre Leibesfrucht ein heiter-anarchisches Fortbestehen zu sichern. Bauch also raus, die aus dem Dutt geflutsche Locke festgesteckt, und tirilierend geht es im weitausladenden Schlenderschritt weiter. Ein paar Monate später wird sie wieder lasziv Spaghettis brechen, ihren ausgemergelten Gatten (Marcello Mastroianni) durch den Wasserdampf aufreizend anmosern, die Kinder notfalls mit dem Scheuerbesen auf die Straße treiben, um dann ihrer Pflicht als Weib der Nation nachzukommen.
Sophia Loren wurde am 20. September 1934 als Sofia Scicolone in Rom geboren. Charlie Chaplin stellt sie sich als „Mädchen mit dünnen Beinen, riesengroßen Augen und einem verängstigten Mund“, vor, die „jeden Grashalm und jede Blume auf der Wiese“ liebte. In ihrer Jungmädchenzeit schwärmte sie für Tyrone Power und frisierte sich wie „Gilda“. War sie im Kino allein mit Rita Hayworth, erinnert sie sich in ihrer Biographie, „durchströmte mich das Gefühl, daß es genau das war, was auf Erden mein Schicksal werden sollte: mich zu produzieren, mich auszudrücken, alle Gefühle, die ich in meinem Innersten hatte, zu verströmen“.
Ihre Karriere begann zaghaft. Gelegentlich gewinnt die Ausgereifte in Schönheitswettbewerben mal einen Blumentopf. Später hält sie sich und ihre Familie als abonniertes Luder in Foto-Romanen über Wasser. Mit ihrer ersten Filmrolle in Mervyn LeRoys „Quo Vadis“ (1950), bei der sie als dunkel getünchte Sklavin Deborah Kerr zudiensten ist, verkörpert sie bereits das Rollen-Schema vieler ihrer Filme: Analphabetin, dafür aber durch und durch Frau. Das stille Spiel ist nicht ihre Sache. Zwischentöne kennt sie kaum. Betrügt die Kamera die stolze Italienerin mit einem anderen Mittelpunkt, übt sich die Eifersüchtige als Randfigur in nervöser Fingerakrobatik oder fächelt auffällig nebenbei Luft in ihr Decoltee. Ist der Bild- Ausschnitt auch dafür zu eng, kann sie immer noch die Augenbrauen gelangweilt hochziehen und den Mund verheißungsvoll öffnen.
In über 60 Filmen strengt sie sich an, eine zweite Anna Magnani zu werden. Doch von einer Charakterdarstellung trennt die Hektikerin etwa ebensoviel wie den Komödianten und Melodramatiker De Sica später vom Neorealismus. Vierzehnmal dirigierte der Regisseur seine Hof-Schauspielerin vor der Kamera. Doch nur selten gelang es ihm, mit den theatralischen Klischees seiner Lieblingsprotagonistin, an denen er nicht ganz unschuldig gewesen sein kann, zu brechen. Sophia Loren wurde seine Anziehpuppe, die sich in Pumps ebenso bewegt wie in Hausschlappen und sich nerzbehangen in derselben Manier an einen Rolls Royce anlehnt wie im Kittel an ein speckiges Küchenbord.
In „La Ciociara“ (1960) gelingt es De Sica, die Loren eindrucksvoll gegen sich selbst spielen und sie überschwengliche Lebensfreude gegen morbide Resignation eintauschen zu lassen. Zunächst versucht Sophia als Rosetta, den zweiten Weltkrieg noch schön zu lachen und ihr friedliches Heimatdorf, dessen Eiszapfen im Mund der Euphemistin zu herrlichem Rachengold werden, gar als Kurort zu veredeln. Doch diese Vision verkehrt sich perfide und zerstäubt schließlich wie die porösen Steinchen unter ihren Latschen. Denn Rosetta und ihre Tochter werden von Soldaten brutal vergewaltigt und auf einmal ist Italia und der Rest der Welt gar nicht mehr so bella.
Dieser Film, für den sie 1962 einen Oscar in Empfang nehmen durfte, und ihr 60.Geburtstag sind der Deutschen Kinemathek und den Berlinale-Organisatoren Grund genug für einen goldenen Ehrenbären und eine Loren-Retrospektive. Immerhin war die Seniorin Italiens größter Export-Schlager. Durch sie und Carlo Pontis Geschäftssinn wurde die Verbrüderung zwischen Hollywood und Cinecitta zur bedeutendsten Liaison des Nachkriegsfilms. Und Sophias Singen „Ich brauche Lire, Lire, Lire...“ gehörte bald der Vergangenheit an. Ende der 70er Jahren machte die Neapolitanerin mehr durch ihr Leben, denn durch ihre Schauspielerei Schlagzeilen. Wegen illegaler Ausfuhr von Kunstwerken im Wert von rund 40 Millionen Mark ging sie 1982 für einen Monat in den Knast. Danach wurde es ganz still um die Film- Ikone bis die amerikanische Prominentenbibel „Vanity Fair“ sie 1991 wieder ans Licht und aufs Titelblatt holte. Da lockt das prachtvolle Dekolleté, man bestaunt den faltenlosen Hochglanz der in die Jahre Gekommenen und schon war Sophia Loren wieder als Sinnbild altersloser Weiblichkeit im Gespräch. Ein Jahr später trat sie als UN-Botschafterin die Nachfolge der damals schwerkranken Audrey Hepburn an und beweinte somalische Flüchtlinge in Kenia. Sie zierte sich auch nicht, im letzten Jahr gemeinsam mit ihrer neofaschistischen Nichte Alessandra Mussolini während des Neapolitanischen Wahlkampfes aufzutreten. Links, rechts — was heißt das schon im wild wählenden Stiefel.
In Hollywood nahm man das der Loren nicht weiter übel, sondern prägte letzte Woche ihren Namen auf den 2000. Stern im „Walk of Fame“. Auf der Berlinale wurde Neapels Goldstück vor 40 Jahren schon einmal umjubelt, damals stellvertretend für Ettore Gianninis „Carosello Napoletano“. Jetzt will sich Berlin erneut an ihre Brust werfen. Um Olympia geprellt und finanziell am Boden liegend möchte die Hauptstadt von dem mütterlichen Trost des Sterntalers umfangen werden. Schließlich wußte Sophia bereits als Kind, daß Armut ein Privileg, ja eine Berufung ist. So steht in ihren Memoiren: „Daß ich weise und in Armut zur Welt kam, das waren die beiden Vorteile, die ich von Geburt an hatte“. Birgit Glombitza
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