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Die Folien der Vergangenheit

■ Der indische Erzähler Khushwant Singh stellt seine Delhi-Saga in Hamburg vor

Seit den 60er Jahren beschäftigte den Schriftsteller, Journalisten und Diplomaten Khushwant Singh ein schier unmögliches Vorhaben: eine Geschichte der 6-Millionen-Stadt Delhi schreiben. Herausgekommen ist schließlich Delhi, 600 Jahre in einem Roman, der so lebendig, prall, so wüst und sexistisch ist wie die Stadt selbst. Gemeinsam mit seiner hermaphroditischen Geliebten Bhagmati besucht da ein Ich-Erzähler eher zufällig, und oft auf der Suche nach einem Ort für schnelle Zweisamkeit, die Ruinen der Historie und sieht sich dabei von den Orten bedrängt, die ihre eigene Geschichte erzählen. Heute stellt der 1915 geborene Delhiwalla sein Epos zwischen subjektiver Geschichtsdarstellung und roman fleuve vor. taz hamburg sprach mit ihm.

Schreiben Sie mit der Hand?

Ja, mit der Hand. Ich kann nicht tippen. Ich habe mal versucht, zu diktieren, aber das ging nicht. Ich kritzele auf gelbe Papierbögen. Und alles wird dann dauernd korrigiert, vier, fünf Mal.

Wie lange haben Sie an „Delhi“ geschrieben?

Ich erzähle immer, daß es zwanzig Jahre waren, aber das ist nicht ganz richtig, weil ich es oft aufgegeben habe. Ich schrieb ein Kapitel und gab auf, weil mir das nächste nicht einfiel. Dann schrieb ich vielleicht sechs Monate später wieder etwas, und wurde wieder unterbrochen. Ich schreibe ja auch viel für Zeitungen, und habe nebenbei andere Bücher geschrieben. Ich glaube, ich habe irgendwann in den 60er Jahren begonnen. Damals gab es zwei Bücher, die mich beeinflußten. Ivo Andrics Brücke über die Drina und Hermann Brochs Die Schlafwandler. Wie diese beiden wollte ich die Geschichte eines Ortes durch die Jahrhunderte schildern. Allerdings wollte ich es auf meine Weise machen. Daran habe ich mich gesetzt, und bin mir nicht sicher, ob es gelungen ist. Ich fand die Verbindungen zwischen den einzelnen Episoden recht schwach, finde sie immer noch schwach.

Was hat Sie zum Durchhalten gebracht?

Mein Verleger. Er fragte dauernd, was mit dem Roman sei, und ich jammerte, daß ich keine Ahnung hätte, wie ich weitermachen sollte. Er schlug mir vor, einfach ein paar Verbindungsstücke einzusetzen, und zu meiner großen Überraschung waren gleich nach der Ankündigung des Erscheinens, noch vor der Drucklegung, die ersten drei Auflagen verkauft.

Aber ich wurde ja auch beschimpft für das Buch.

Sie wurden zum „dirty old man of Delhi“.

Ja, mir wurden die expliziten Sex-Szenen vorgeworfen. Die Inder lieben expliziten Sex, sie verehren Geschlechtsorgane, haben an ihren Tempelwänden ganz explizite Skulpturen. Doch wenn es um Literatur geht, wird es zum Tabu.

Man kann Ihnen Ihr Frauenbild vorwerfen.

Ich glaube nicht, daß irgendein Autor etwas schreibt, um seinen Lesern zu gefallen. Man versucht, das so aufrichtig wie möglich aufzuschreiben, was einem in den Kopf kommt. Ich habe mich in Indien viel für Frauenrechte eingesetzt und habe Aufsätze gegen Diskriminierung geschrieben. Doch wenn man eine Gesellschaft porträtieren will, geht man nicht als Missionar daran. Ich habe einfach versucht zu vermitteln, was ich gesehen habe.

Fragen: Thomas Plaichinger

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