: Die Farbe der Erkenntnis ist Blau
■ Arthur Millers „Scherben“ in der Inszenierung Elke Langs
Sylvia Gelberg ist gelähmt. Sie hat regelrecht den Boden unter den Füßen verloren. 1938, Ende November in Brooklyn. Deutschland hat vor Wochen die faschistische Demütigung der Reichskristallnacht über sich ergehen lassen. Die Zeitungen veröffentlichen Photos mit von Scherben übersäten Straßen in Nazi-Deutschland. Aber auch in New York köchelt der Antisemitismus vor sich hin.
Sylvia Gelberg hat Angst. Ihr Leben hat sie dem Selbsthaß ihres Mannes geopfert. Philipp Gelberg bekannte sich nie zu seinem Jüdischsein. Jetzt sieht er das Ausmaß seiner Lüge: Das Leiden seiner Frau symbolisiert die erschütternde Bodenlosigkeit des Naziregimes und das Verdrängen seiner jüdischen und damit ihrer Identität.
Aus dem Sechspersonenstück hat Elke Lang ein Vierpersonen-Destillat gebrannt. Etwas verhalten inszeniert sie eng am Text Millers, ohne wirklichen Mut zum Experiment. Ihr Versuch, aus dem tragischen Drama eine auf Lacher ausgerichtete Version zu zaubern, bleibt kryptisch. Blutleer und manchmal sprühend vor Feindseligkeit ist das Gesicht Gerhard Garbers alias Philipp. Sein Wechselbad aus Jähzorn, Angst und Hilflosigkeit ist voller Kraft und kommt ohne große Gesten aus. Barbara Nüsse in der Rolle der Sylvia fällt dagegen zu schwach für die tragende Rolle der für alle Leidenden aus. Sie zelebriert nicht das Drama, das sie umgibt, obwohl doch die Rolle ihr den nötigen Spielraum geben würde. Statt dessen erlebt man sie zeitweilig über die Zeilen rasend.
Blaues Licht erleuchtet das Schlafzimmer, Philipp spricht zum ersten Mal über seine Ängste. Eindrucksvoll, beinahe poetisch unterstützt die Beleuchtung Christian Kemmetmüllers seine zaghafte Offenheit.
Arthur Miller hat Scherben 81-jährig zum 50. Jahrestag der Niederschlagung der Nazidiktatur geschrieben. Sein beinahe wie ein Krimi aufgefächertes Drama um die angstmotivierte Verdrängung jüdischer Identität, um Opportunismus und Impotenz, stellt den Höhepunkt der Veranstaltungen zum 50. Jubiläum der Kammerspiele dar.
Britt-Kristin Feldmann
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