: Die Farbe Schwarz
Für die morgige Oscar-Verleihung sind auch drei Schwarze als beste SchauspielerInnen nominiert. Wer darin mehr Gleichberechtigung erkennen will, freut sich zu früh
von AXEL KRÄMER
Galapremiere für einen Horrorthriller in Hollywood. Vor dem Einlass streitet sich eine junge Afroamerikanerin mit ihrem Freund. „Ich sag dir mal, was ich davon halte“, hört man sie schimpfen, „das ist ein dummes weißes Filmchen über dumme weiße Mädchen, deren weiße Haut aufgeschlitzt wird – sonst nichts.“ Ihr Begleiter, ebenso dunkelhäutig wie sie, verdreht genervt die Augen und widerspricht, doch sie lässt sich nicht beirren: „Der Film ist typisch für das Genre“, mäkelt sie, noch bevor der Vorhang aufgeht, „darin gibt es kein afroamerikanisches Element!“
Dieser Filmdialog eröffnet den zweiten Teil der „Scream“-Trilogie. Aus Spaß an der Provokation lässt Regisseur Wes Craven das Liebespärchen gleich darauf spektakulär ins Jenseits befördern. Einen Haken hat die scheinbar avantgardistische Mordszene dann aber doch. Denn wenn Afroamerikaner in Hollywoodfilmen vertreten sind, müssen sie in aller Regel als Erste sterben – über dieses Klischee witzelt der dunkelhäutige Hauptdarsteller Orlando Jones zu Beginn der Katastrophenkomödie „Evolution“ und darf für seine bittere Erkenntnis bis zum Happy End durchhalten.
In den Schaltstellen der kalifornischen Filmindustrie, so scheint es, zerbricht man sich neuerdings den Kopf. Immerhin lässt man nun ein paar Helden aus dem Mainstreamkino ein heißes Thema ansprechen, an dem sich die Verantwortlichen der Branche lieber nicht die Zunge verbrennen wollen: die Repräsentation von Afroamerikanern auf der Kinoleinwand, dem wichtigsten Massenmedium der USA. Aufschlussreich sind diese Film-im-Film-Zitate auch deshalb, weil sie auf eine typische Eigenart im amerikanischen Selbstverständnis verweisen. Häufiger und leidenschaftlicher als andere Kulturnationen zitieren US-Amerikaner aus ihrer kollektiven Traumfabrik und setzen berühmte Szenen aus der Filmgeschichte zu ihren individuellen Träumen und Traumata ins Verhältnis: von den Sehnsüchten nach Glamour und Romantik in „Frühstück bei Tiffany“ bis zur Enttäuschung über die zerbröckelnden Ideale in „American Beauty“. Der Bezug der persönlichen Lebensperspektive zur Hollywoodrealität ist Ausdruck einer Kultur, die sich quer durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht – und doch nicht alle Gruppen angemessen berücksichtigt.
Seit Jahrzehnten schwelt ein Konflikt um die Darstellung von Afroamerikanern im kommerziellen Film. Nur selten spinnt sich ein Handlungsfaden um ein Thema, das ihre ethnische Identität berührt, und traditionell kommt ihnen meist die randständige Rolle tragikomischer Einfaltspinsel oder animalisch-dumpfer Bösewichte zu. In moderneren Varianten werden sie oft als Experten für HipHop oder Breakdance charakterisiert, häufig auch als Drogenspezialisten. Nun scheint sich jedoch ein Wandel anzudeuten. Filme mit starkem ethnischem Akzent und afroamerikanischen Helden, die sich um ein differenziertes Bild bemühen, werden als großes Starkino für ein breites Publikum inszeniert. Darum frohlockte kürzlich der Sydney Morning Herald: „Nie gab es einen besseren Zeitpunkt für schwarze Schauspieler, um in Hollywood den Durchbruch zu schaffen.“
So spielt Will Smith nun die Hauptrolle in der Verfilmung von Muhammed Alis Leben, und Halle Berry verkörpert in dem Drama „Monster’s Ball“ die Frau eines schwarzen Todeskandidaten. Zwiespältig mutet nach wie vor die Figur eines psychopathisch mordenden Polizisten in „Training Day“ an, die von Denzel Washington dennoch überzeugend und mit vielen Zwischentönen dargestellt wird. Dass nun alle drei für den diesjährigen Oscar in der Kategorie „beste Schauspieler“ nominiert sind, feierte der britische Guardian jüngst als einen „Triumph schwarzer Schauspieler“ – gerade so, als wäre damit in Hollywood eine Kulturrevolution vom Zaun gebrochen worden. Tatsächlich war die offizielle Anerkennung afroamerikanischer Schauspielkunst bislang eine Seltenheit. Noch im vorigen Jahr war sie dem Auswahlgremium der „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ nicht eine einzige von insgesamt zwanzig Schauspielernominierungen wert, von der Kategorie „beste Regie“ ganz zu schweigen.
Während rund um den Globus die drei Nominierungen euphorisch gefeiert werden, bleibt Hollywoods Black Community skeptisch. In der New York Times äußerte etwa Kweisi Mfume die Befürchtung, das Problem könne nun ein für alle Mal als erledigt betrachtet werden: „Dabei ist das Ereignis noch lange kein Durchbruch“, so der Präsident des Nationalen Verbandes für die Förderung von Farbigen (NAACP). Wer die lange Debatte der letzten Jahre verfolgt hat, musste ohnehin den Eindruck gewinnen, dass Smith, Berry und Washington einzig aufgrund des seit einigen Jahren massiv ausgeübten öffentlichen Drucks nominiert wurden. Zum Eklat kam es 1995, als das People-Magazin mit einer Titelgeschichte Alarm schlug. Unter der Überschrift „Hollywood Blackout“ machte die Illustrierte darauf aufmerksam, dass unter den insgesamt 166 Nominierungen in jenem Jahr nur eine Afroamerikanerin in der Kategorie „bester Kurzfilm“ vertreten war, die zudem leer ausging.
Grassiert in Hollywood etwa immer noch der Rassismus? „In der Branche hat sich zwar viel geändert“, gab Sidney Poitier kürzlich in einem Interview mit Newsweek zu bedenken, „aber vieles ist auch beim Alten geblieben, und das ist unglaublich entmutigend.“
Poitier ist der bislang einzige Schwarze, der den Oscar in der Kategorie „bester Hauptdarsteller“ erhalten hat – im Jahr 1964 für seine Rolle als ehrbarer Arbeiter in dem Film „Lilien auf dem Felde“. Und obwohl bis heute noch keine einzige dunkelhäutige Frau die Trophäe als „beste Hauptdarstellerin“ entgegennehmen durfte, wurde bereits 1940 der erste afroamerikanische Oscar in der Kategorie „beste Nebendarstellerin“ verliehen. Hattie McDaniel bekam ihn als resolutes Hausmädchen Mammy im Bürgerkriegsepos „Vom Winde verweht“. Die Geschichte ihres Sieges ist allerdings so tragisch, dass sie genug Stoff für einen Hollywoodfilm hergeben würde: Als erste ins ehrwürdige „Coconut Grove“ geladene Afroamerikanerin wurde McDaniel zwar begeistert gefeiert, musste jedoch an einem Katzentisch Platz nehmen. An der Premiere in Atlanta durfte sie wegen ihrer Hautfarbe nicht teilnehmen, und nach ihrem Tod im Jahr 1952 bekam sie auch keinen Platz auf dem Friedhof des Hollywood Memorial Parks zugeteilt.
Obwohl sich McDaniel politisch engagierte, wurde sie zeit ihres Lebens von Teilen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung angefeindet. „Lieber wollte ich ein Dienstmädchen für siebenhundert Dollar in der Woche spielen, als für sieben Dollar als Dienstmädchen zu arbeiten“, verteidigte sie sich stets auf den Vorwurf, zur Verherrlichung der Sklaverei beigetragen zu haben. Auch Sidney Poitier, der vorwiegend in politisch angehauchten Dramen Aufsehen erregte, geriet in die Schusslinie der Bewegung – ihm wiederum wurde angekreidet, als angepasster „weißer Schwarzer“ dialektfreies Englisch zu sprechen, sich konservativ zu kleiden und mit seiner Bildung zu kokettieren.
Die Zerrissenheit unter den Afroamerikanern hat die Emanzipation in Hollywood nicht gerade gefördert. Viele Entscheidungsträger der Filmindustrie ziehen sich auch heute noch mit dem Hinweis aus der Affäre, die Black Community ohnehin nie zufrieden stellen zu können – anstatt das Problem ernst zu nehmen und die Ursachen in der eigenen Branche zu suchen. Denn dort, so wird seit Jahren kritisiert, mangelt es an afroamerikanischen Regisseuren, Produzenten und Drehbuchautoren. Eine erfolgreiche Schauspielerriege existiert bereits, doch die wird häufig für wenig ambitionierte, dafür aber einträgliche Komödien wie „Der verrückte Professor“ oder „Big Momma’s House“ verheizt. Chancen, einen Oscar zu bekommen, können sich freilich nur Schauspieler in ernsthaften Rollen ausrechnen – und diese sind in Drehbüchern, die sich zunehmend am internationalen Markt orientieren, nur äußerst selten für Afroamerikaner vorgesehen.
Freilich gibt es genügend Hauptrollen, die nicht an eine bestimmte Hautfarbe gebunden sind. So hätte anstelle von Tom Hanks ebenso Morgan Freeman als einsamer Inselbewohner in „Castaway“ glänzen können, oder Denzel Washington anstelle von Russell Crowe als „Gladiator“. Doch bis Hollywood so weit ist, wird sich die Black Community mit Trostpreisen begnügen müssen. Mindestens einen, das steht schon im Voraus fest, wird es bei der diesjährigen Oscar-Verleihung geben: Sidney Poitier wird mit einem Oscar für sein Lebenswerk geehrt.
AXEL KRÄMER, 35, freier Autor ( Queer, taz ), lebt in Berlin und liebt das Kino
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