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■ Die FDP verspielt ihre bürgerrechtliche Glaubwürdigkeit. Eine Antwort auf Daimagülers Polemik „Von Köchen und Kellnern“Vom Andienen und Giftmischen

Wer glaubt, die FDP hätte in Fragen der Bürgerrechte keine guten Ruf mehr zu verlieren, irrt: Während sich die Partei insgesamt nur noch mit Leihstimmen von über 65jährigen UnionsanhängerInnen über die Runden schleppen kann, genießt sie bei den MigrantInnen türkischer Herkunft noch deutlich mehr Sympathien. Unvergessen sind hier die großformatigen Anzeigen in den türkischen Medien vor der letzten Bundestagswahl. Geworben wurde dabei mit einem liberaleren Ausländergesetz sowie einem zeitgemäßen Staatsbürgerschaftsrecht.

Nachdem die FDP diese Reformvorschläge im Parlament mehrfach niedergestimmt hatte, warf sie ihre mittlerweile lästigen Positionen 1996 in aller Stille in den Papierkorb und robbte mit einem Minimalkonzept auf ihre Koalitionspartnerinnen zu. Doppelte Staatsbürgerschaft als Möglichkeit für alle MigrantInnen? Gott bewahre! Und das Einwanderungsrecht wurde auf puren Ökonomismus reduziert, die von Westerwelle gewünschte Umbenennung in „Zuwanderungsbegrenzungsgesetz“ gerade noch verhindert. Trotz der peinlichen Flops mit der sogenannten „Kinderstaatszugehörigkeit“ und der Visumpflicht für MigrantInnenkinder wurde von der FDP ständig der Eindruck vermittelt, die Koalition sei kurz vor einer bahnbrechenden Einigung. Eine Meisterleistung.

Doch jetzt hat die FDP ein handfestes Imageproblem. Nach dem wohl endgültigen GAU bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts in dieser Wahlperiode ist das letzte liberale Feigenblatt verdorrt. Nun kann die FDP auch den gutwilligsten MigrantInnen nicht mehr erklären, warum sie für ein Prozent Solidaritätszuschlag mit Koalitionsbruch droht und beim Staatsbürgerrecht nach jahrelanger Schaumschlägerei plötzlich wieder „einen günstigeren Zeitpunkt“ (Gerhardt) sucht.

Viel schlimmer als das eigene Scheitern ist für die FDP aber der Erfolg von Bündnis 90/Die Grünen. Von Heiner Geißler schon vor Jahren als die „besseren Liberalen“ tituliert, zeigen Bündnisgrüne in Landesregierungen, wie eine bürgerrechtliche Politik für MigrantInnen aussehen kann: Während etwa Baden-Württemberg mit FDP-Beteiligung eine äußerst inhumane Abschiebepraxis betreibt, kann im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen eine Härtefallkommission in vielen Fällen das Schlimmste verhindern – die Auslieferung von Menschen an ihre Folterer. Ein anderes Beispiel ist die interkulturelle Bildung. In Nordrhein-Westfalen und Hessen wird sie ständig fortentwickelt mit Unterrichtsmaterialien, die unter gleichberechtigter Mitwirkung von MigrantInnen erstellt werden. In Baden-Württemberg dagegen findet muttersprachlicher Unterricht in Eigenregie der Konsulate der Herkunftsländer statt – ohne deutsche Schulaufsicht und oftmals mit verfassungsfeindlichen und nationalistischen Inhalten. Zu allem Überfluß laufen die Bündnisgrünen der FDP auch noch in ökonomischen und finanzpolitischen Fragen den Rang ab.

Doch Mehmet G. Daimagüler weiß auch in dieser vertrackten Situation, wie er sich bei seiner Partei lieb Kind machen kann. Er baut die SPD als die neuen Ausländerfeinde auf, bezichtigt die Bündnisgrünen der Gleichgültigkeit und des Opportunismus, verhöhnt ihre minderheitenfreundliche Grundposition und spielt sich gleichzeitig als moralisierender Mahner gegen die rot-grüne Gefahr auf. Seine Strategie ist dabei ebenso perfide wie durchsichtig. Bei der SPD schließt er von den demagogischen Äußerungen einiger Spitzenpolitiker unbelegt auf die Gesinnung jedes einzelnen Ortsvereins. Pardon, aber: Handelte es sich bei den SPD-Mitgliedern um eine ethnische Minderheit, wäre eine solche Diffamierung Ausdruck von blankem Rassismus.

Die angebliche Passivität der Bündnisgrünen bei Fremdenfeindlichkeit von links paßt zwar schön in Daimagülers selbstgestricktes Weltbild, hat aber dummerweise mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Überhaupt das Weltbild: Wenn ausgerechnet die pragmatische bündnisgrüne Politik von einem FDPler mit Verrat an grünen Prinzipien gleichsetzt wird, ist das schon unfreiwillig komisch. Da Daimagüler sich auf der Vernunftebene ständig in Widersprüche verstrickt, muß er sich die Wirklichkeit zurechtbiegen. Weil sie unter Rot-Grün so gut wie sicher ist, wandelt Daimagüler die Reform der Staatsbürgerschaft flugs zur banalen Nebensache um. Andere rot-grüne Reformprojekte im Migrationsbereich – zum Beispiel der Übergang von einem repressiven Ausländergesetz zu einem zeitgemäßen Niederlassungsrecht oder das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-AusländerInnen – sind ihm selbstverständlich keine Silbe wert.

Dafür wird für den dynamischen FDPler die Koalition in Hamburg zum Zeichen grüner Unterwerfung, obwohl gerade das Gegenteil der Fall ist. Nicht Henning Voscheraus populistische Wahlkampfsprüche, sondern pragmatische Vernunft bestimmen die rot-grüne Koalitionsvereinbarung in der Innen- und Migrationspolitik. Und die rot-grüne Energiepolitik, gegen schwarz-gelben Widerstand in den Ländern vorangetrieben, steht symbolhaft für die politischen Alternativen. Schwarz- Gelb-Rot vertrieb die letzten Solarzellenproduzenten aus Deutschland, Rot-Grün holte sie wieder zurück.

Das Ansehen der FDP ist auch mit polemischen Tiraden nicht mehr zu retten. Man könnte das ganze unter der Rubrik, da will einer um jeden Preis eine Parteikarriere machen, abheften. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht, da Daimagüler als ranghöchster FDP- Migrant in der öffentlichen Wahrnehmung einen entsprechenden Einfluß auf das soziale Klima ausübt.

Ganz nebenbei erteilt uns Mehmet G. Daimagüler eine Lektion in Stilfragen des interkulturellen Diskurses. Dreist reklamiert er für sich die Rolle des „betroffenen“ Migranten und glaubt so, die angebliche Ausländerfeindlichkeit „der“ Linken anprangern und zu einen politischen Rundumschlag ausholen zu können. Er kalkuliert dabei kühl mit der Beißhemmung einer linksliberalen Öffentlichkeit. Dies zeigt: Wir müssen nicht nur negative Stereotpyen überwinden, auch positive Stereotypen können schaden. Die reale Diskriminierung von Minderheiten wird nicht dadurch überwunden, daß sie qua Geburt gegen Kritik immunisiert werden. Im Gegenteil: Demokratischer Fortschritt kann nur diskursiv und in einem offenen Klima stattfinden. „Heilige Kühe“ müssen als ganz normale Wiederkäuer erkannt und benannt werden dürfen. Özlem Isfendiyar

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