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Die „Erotographen“ organisieren sich

Deutsche Sex-Liga wurde in Leipzig gegründet / Wer auf Pikantes hoffte, wurde enttäuscht  ■  Von Tom Sperlich

Leipzig (taz) - „Für das Sexverhalten der Bürger verantwortlich“ fühlt sich die am Samstag zu ihrer konstituierenden Sitzung in Leipzig zusammengetretende „Deutsche Sex Liga e.V.“ (DSL). Kaum vorzustellen jedoch, daß sich in den Betten der Republik genauso wenig regt wie auf diesem Gründungskongreß der DSL. Etwas „Body-Painting“, untermalt von donnernder Disko-Musik, eine Präsentation dreier Druckerzeugnisse des „1. Erotikversandes der DDR“, PRIAPOS aus Großkleindorf, ein Stand mit elf verschiedenfarbigen Dessous und diverse Plastikpimmel, Pornoheftchen und Videokassetten eines bundesdeutschen Anbieters war das magere Angebot der vollmundig angekündigten „Angebots-Messe Erotik-Service“.

Groß hingegen war das Interesse der gesamtdeutschen Medien

-etwa zwei Dutzend Kamerateams, Fotografen und Reporter wieselten in Vestibül und Saal der Landwirtschaftsausstellung herum auf der mühseligen Suche nach spritzigen Bildern. Doch alles ging so gesittet zu wie auf einem Jahrestreff südsächsischer Kleintierhalter, mit der Ausnahme, daß manch vollbärtiger Herr und die eine oder andere ondulierte Dame ein Pornoheftchen unter den Klapptischen durchblätterte. Erst nach erledigter „Versorgung“ zur Mittagszeit kamen die Bildberichterstatter zu ein paar entblößten Brüsten, als „visuell überraschend“ ein paar junge Damen bei voller Saalbeleuchtung zum Radetzky -Marsch die Hüllen fallen ließen.

Neue Begriffe braucht das Land: „Pornographie ist out Erotik ist in!“ Denn da der Begriff „Pornographie“ bislang nicht klar definiert wurde, fordert die DSL zwar die Freigabe derselben (Abschaffung des Paragraphen 125 des DDR -Strafgesetzbuches), bevorzugt aber nun den Begriff „Erotographie“. Der Ausdruck „Pornographie“ ist in der realsozialistischen Erinnerung der DSLer verbunden mit „Willkür, Rechtsbeugung und Mißachtung der Menschenwürde“ und Erotik soll doch „Sinnesgenuß, Entspannung, Befriedigung, Kommunikationsbedürfnis, Aktion“ verschaffen.

Seit die Regierung der DDR ihre Zoll- und Grenztruppen anwies, Erotikartikel ungehindert passieren zu lassen, boomt das Interesse der trocken gehaltenen DDR-Bürger an Sex -Artikeln immens. Beate Uhse muß bereits an ihre Lagerregale anbauen, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Und die DSL erhielt bereits 34.000 Zuschriften von interessierten BürgerInnen. Möglicherweise aufgrund zu berappender Mitgliedsbeiträge (100 M pro Jahr) beläuft sich die Mitgliederzahl jedoch erst auf 1.100.

Zwar will man sich „nicht mit Beate Uhse anlegen“, doch erschien zum Kongreß bereits die erste Nummer des Vereinsblättchens 'Sexclusiv‘, und auch der Aufbau eines eigenen Versandhandels für Erotica ist geplant. Weitere Säulen im DSL-Programm sind die Unterstützung von Ehe-, Familien- und Sexualberatungsstellen. Auf der politischen Ebene forderten diverse SprecherInnen, so auch Vertreter von verschiedenen Schwulengruppen, den Kampf gegen die Übernahme der BRD-Gesetze § 175 und § 218. Auch möchte man in der Prostitution eine „freie Entscheidungsmöglichkeit eines Menschen“ sehen, solange „sie nicht zum Erhalt des Lebens ausschlaggebend ist“, wie es im Statut recht sybillinisch heißt.

Einige der rund 500 anwesenden Männer und Frauen, die schließlich bei einer Gegenstimme das Vereinsstatut annahmen, schienen mit dem Verlauf der Tagung dennoch eher unzufrieden gewesen zusein: „Da fehlte der Pepp!“, meinte ein beleibter Herr im mausgrauen DDR-Pepita, und eine der relativ zahlreich erschienenen Damen vermerkte: „Warum legen eigentlich immer nur die Frauen einen Strip hin?“

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