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Die Erotik halbentblößter Frauenbeine

■ „Sada“ von Nobuhiko Obayashi gibt sich als Fußnote zu einem berühmten Liebesmord aus

1977 sorgte Nobuhiko Oshimas „Im Reich der Sinne“ bei der Berlinale für einen großen Skandal. Der Film, der von einer schönen Prostituierten erzählte, die ihren Geliebten im Sexrausch strangulierte und kastrierte, um ihn ganz für sich zu behalten, wurde nach der Berliner Aufführung vorübergehend von der Staatsanwaltschaft wegen „Pornographieverdachts“ beschlagnahmt und in Japan und einigen europäischen Ländern verboten.

Nobuhiko Obayashis Wettbewerbsfilm „Sada“ greift auf die gleiche historische Vorlage zurück – den Lust- und Liebesmord, den Sada Abe am 19. Mai 1936 an ihrem verheirateten Geliebten verübte. Während sich Oshima in seinem Film vor allem auf die Tat konzentrierte, versucht Obayashi sie in einen lebens- und zeitgeschichtlichen Kontext zu stellen.

„Sada“ möchte an das goldene Zeitalter des japanischen Studiofilms anknüpfen und gibt sich mit großer Eleganz und allen Stilmitteln des traditionellen japanischen Theaters – künstlich, ritualisiert, ein bißchen operettenhaft und in einigen Szenen sogar lustig – bescheiden, als längere Fußnote einer Geschichte, die wir alle schon kennen. Ein Erzähler, Sadas Bruder Takuzo (Norihei Miki), entschuldigt sich in der Eingangsszene vor einem 30er-Jahre-Studio-Kino augenzwinkernd für die Rauheit seiner Heldin, die in romantisch- schönen Volksweisen gefeiert wird und zunächst im schönsten, dezentesten Schwarzweiß als selbstbewußtes Zitat ins Bild kommt.

Sadas Geschichte beginnt 1919 mit einer Vergewaltigung. Der Student, der die 14jährige zum Sex gezwungen hatte, verschwindet. Otaka, ein melancholischer Medizinstudent mit Sonnenbrille und Augenklappe, taucht auf und hilft ihr. So unsterblich wie tragisch verliebt sie sich in Otaka. Denn ihr Prinz hat Lepra und wird auf eine Insel verbannt. Vier Jahre später, am Tag des großen Erdbebens 1923, wird Sada von ihrem Stiefbruder in ein Geisha-Haus geschickt und zur Prostitution gezwungen. Unzählige Männer liegen auf ihr, Soldaten verlieren bei ihr ihre Unschuld, selbst ihr erhitzter Bruder schläft mit ihr. Nur ihre Seele ist immer anderswo. Später wird sie die Mätresse eines mächtigen Politikers. Beide verlieben sich ineinander, Tatsuzo erweckt ihr ungezügeltes sexuelles Begehren, die Ehefrau kommt dahinter. In einem großartig getanzten Slapstick kämpfen die beiden Frauen miteinander. Sada wird des Hauses verwiesen, das Drama nimmt seinen Lauf. Die geheimen Zusammenkünfte werden feuriger; am 17. Mai 1936 entmannt Sada im Liebesrausch ihren einverständigen Liebhaber mit dem Messer, das ihr Otaka gab.

Wer explizite Sexszenen oder eine noch spektakulärere Kastration erwartet, wird von „Sada“ enttäuscht sein. Der strenge, sehr stilisierte Studiofilm ist erotisch, ohne je auch nur einen nackten Busen zu zeigen. Am schönsten und körperlichsten eine Szene, in der man schlafende junge Frauen mit halbentblößten Beinen sieht. Die Symbole haben es nicht nötig, ihren Symbolcharakter zu verbergen.

In der Pressekonferenz sprach Obayashi wehmütig vom Verlust traditioneller japanischer Schönheit und auch davon, daß es derlei romantische Morde, in denen sich „Ich“ und „Du“ begegnen, heutzutage nicht mehr gibt. Detlef Kuhlbrodt

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