Die Eroberung Ramadis durch den IS: Jetzt soll's die Miliz richten
Die Einnahme der dritten irakischen Provinzhautpstadt durch den IS ist eine Schlappe für die Regierung. Nun gilt es, Bagdad abzusichern.
KAIRO taz | Es ist die größte Niederlage der irakischen Regierung, seit die irakische Stadt Mossul im vergangenen Jahr von den Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) erobert wurde. Nun haben sie auch die Stadt Ramadi eingenommen, die nur eine gute Autostunde von der Hauptstadt Bagdad entfernt ist.
Damit kontrolliert der IS jetzt neben Mossul und dem syrischen Rakka die dritte Provinzhauptstadt. Wenn die militanten Islamisten Ramadi halten können, dann hat die irakische Regierung nicht nur eine wichtige Stadt, sondern auch das Kommandozentrum der gesamten sunnitischen Provinz Anbar verloren.
Den Wendepunkt im Kampf um Ramadi brachten am Wochenende mehrere Selbstmordattentäter mit Fahrzeugen voller Sprengstoff in Stellungen der regulären irakischen Armee und der Polizei. Allein in zwei Tagen sollen über 500 Menschen in der Stadt umgekommen sein.
Entscheidend war auch, dass die aus Bagdad geschickten Nachschubtruppen vom den militanten Islamisten aufgerieben wurden. Daraufhin ergriff die in Ramadi stationierte Eliteeinheit der Armee namens „Goldene Brigade“ die Flucht. Ein geordneter Rückzug war das nicht. Auf den einschlägigen Seiten des IS in den sozialen Medien wurde stolz das militärische Material aus den USA präsentiert, das die irakischen Truppen zurückließen.
Schwache Durchhalteparolen aus den USA
In Washington hieß es, Ramadi sei noch nicht verloren, die Lage sei im Fluss, wie es Pentagon-Sprecher Steven Warren beschrieb. Gleichzeitig versuchte er, den schlimmsten Fall herunterzuspielen: „Ein Verlust Ramadis bedeutete keinen Wendepunkt in dem Feldzug gegen den IS. Wenn die Stadt verloren würde, bedeutete das nur, dass die Koalition die irakischen Truppen unterstützen müsste, um den Ort später zurückzuerobern.“
US-Außenminister John Kerry stieß ins gleiche Horn: Er sei überzeugt, das sich die Kräfte neu gruppieren würden und sich die Lage in den nächsten Wochen wieder ändern könne. Keine Durchhalteparolen mehr für Ramadi also, sondern nur noch eine vage Hoffnung für die Zukunft.
Im Vergleich zur Eroberung Ramadis durch den IS erscheint ein Erfolg, den Washington am Wochenende noch gefeiert hatte, als vergleichsweise unbedeutend. US-Spezialeinheiten hatten im Osten von Syrien einen IS-Kommandanten getötet, der für Erdgasschmuggel verantwortlich gewesen sein soll. So konnte der IS auch noch einen Propagandasieg für sich verzeichnen.
Bagdad verteidigen
Noch vergangenen Monat hatte Iraks Regierungschef Haider al-Abadi angekündigt, dass die Armee demnächst die ganze Provinz Anbar zurückerobern werde. Auch die seit Monaten angekündigte Offensive zur Rückeroberung von Mossul dürfte nun erst einmal verschoben werden. Denn prioritär dürfte es jetzt sein, die Hauptstadt Bagdad gegenüber der vorgerückten Front in Ramadi abzusichern.
Aus dem Fall Ramadis lassen sich mehrere Lehren ziehen. Die irakische Armee ist selbst in der Nähe Bagdads nicht fähig, Nachschub und Logistik für eine umkämpfte Stadt zu organisieren. Den dort stationierten Soldaten soll teilweise die Munition ausgegangen sein. Und auch die intensivierten US-Luftangriffe konnten den IS-Vormarsch nicht aufhalten.
Angesichts dieser misslichen Lage hat al-Abadi nun wieder angeordnet, dass die schiitischen Milizen bei dem Versuch der Rückeroberung der Stadt eingesetzt werden sollen. Doch gerade in der Anbar-Privinz, einer sunnitischen Hochburg, wird da der Bock zum Gärtner gemacht.
Politisch sind die Milizen ein Desaster
Bei der Eroberung der Stadt Tikrit vor wenigen Wochen hatten die schiitischen Milizen derart gegenüber ihren sunnitischen Mitbürgern gewütet, dass sie abgezogen werden mussten. Militärisch mögen die schiitischen Milizen derzeit das effektivste Mittel sein, politisch sind sie ein Desaster. Auch die Tatsache, dass sie vor Tikrit teilweise von iranischen Generälen dirigiert wurden, dürfte bei den Sunniten in Ramadi wenig Vertrauen schaffen.
Das ist wohl der Hauptgrund, warum viele der Bewohner Ramadis sowohl gegen den IS als auch gegen die schiitischen Milizen mit ihren Füßen abgestimmt haben. Allein in den vergangenen beiden Tagen sollen 8.000 Menschen aus der Stadt geflohen sein. Seit vergangenem Monat haben UN-Angaben zufolge 114.000 Menschen Ramadi und Umgebung verlassen. Sie wollen sich weder von dem IS terrorisieren noch von schiitischen Milizen massakrieren lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku