piwik no script img

■ Die EinkehrIm Mensa-Zelt

Die Universität ist ein Ort existentieller Fragen. Wer ist Gott? Das fragen immerfort die TheologInnen. Was tun in einer Welt, in der es Gott nicht gibt? Das grübeln ständig die PhilosophInnen. Ohgottohgottohgott, denkt der eine oder die andere NaturwissenschaftlerIn da und sinniert statt dessen, wie Affen erkenntnisgewinnend um die Ecke zu bringen sind und das letzte Geheimnis unserer Existenz aus der DNA gefummelt werden kann. Aber tagtäglich zwischen 12 und 14 Uhr beschäftigt all diese kleinen und großen GehirnakrobatInnen zwischen Fallturm und GW 2 nur die eine, allem Dasein zugrundeliegende Frage der Fragen: I oder II?

Angesichts der Alternative „Hackstück mit Käsefüllung“(Essen I) oder „Chinasuppe mit Glasnudeln“(Essen II) ist diese Entscheidungssituation nicht frei von tragischen Implikationen. Ob glasige Nudeln oder gehackte Stücke – man ahnt schon, daß am Ende eines Mahls im Mensa-Zelt nicht mehr als ein pelziger Belag auf der Speiseröhre bleibt, eingebettet in die trübe Vorahnung, daß die morgige Alternative „Pan. Schweineschnitzel Jäger Art“versus „Germknödel gefüllt mit Pflaumen“auch nicht weiter bringen wird auf dem salatbeilagten Weg zum Dampfkuchengipfel der Weisheit.

Andererseits: I oder II – der spröde Charme dieser minimalistischen Opposition, diese systematische, radikale Reduktion der überkomplexen Vitamingebote auf einen wesentlichen Kern erleichert in Zeiten totaler Unübersichtlichkeit die Lebensplanung ungemein. I oder II, Geflügelfrikadelle in Jus + Fingermöhren oder Deftiger Erbseneintopf: Das ist die Frage, die mittags der Entscheidung harrt und schon eine halbe Stunde später in den Untiefen des Verdauungstraktes verschwunden und erledigt ist.

„II“sagen wir – wissend, daß trotz der erbärmlichen wirtschaftlichen Verhältnisse kein Anlaß zum Fingermöhrenkannibalismus besteht – zu der freundlichen Dame hinterm Stand und sehen verwundert zu, wie sie einen Besteckkasten mit Erbseneintopf füllt. Doch nicht nur in der Auswahl der Essensgefäße demonstriert die auch auf den 138sten Blick mäßig attraktive Ersatzmensa Erstaunliches. „Bunter Kautsalat“, „Mango Cheutney“und „Schweinkotellt natur“: Daß eine/r jener zahllosen legasthenischen Germanistikstudierenden einen Arbeitsplatz als SpeisekartenschreiberIn gefunden hat, zeigt, daß die Universität nicht nur eine Stätte existentieller Fragen ist, sondern zudem ein Ort sein kann, wo Menschen einen Arbeitsplatz finden, die im Kapitalismus chancenlos wären. zott

Mensa-Zelt, James-Watt-Straße, Mo-Fr. 12-14 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen