: „Die Doppelstaatsbürgerschaft wäre ein Zeichen“
■ Interview mit Hans Stercken (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und Bundesvorsitzender der deutsch-türkischen Organisation „Hür Türk“ (türkische Freiheit)
taz: Herr Stercken, mit welchen Maßnahmen kann man die hier lebenden Ausländer vor Anschlägen schützen?
Stercken: Das ist Gegenstand eines Gespräches, das ich heute nachmittag als Vorsitzender von „Hür Türk“ mit Innenminister Seiters führen werde. Zunächst ist das Klima entscheidend. Man kann nicht nur mit Zwangsmaßnahmen reagieren, nach dem Knüppel rufen. Man muß schauen, wo die Ursachen liegen und was dagegen unternommen werden kann.
Während der Bundespressekonferenz vom Dienstag schien es, als würde in Ihrer Partei gerade nicht über Ursachen diskutiert...
Dort wo ich mitdiskutiere, ist das die eigentliche Frage. Man muß fragen: Was können der Staat, die Schulen und andere Institutionen tun, um auf das Umfeld entsprechend einzuwirken. Da ist eine Enthemmung erkennbar, die unsere Gesellschaft erfaßt. Wenn man sich vor dem Bildschirm über die Wirklichkeit unterrichten will, erfährt man in der Regel eine Verniedlichung der Gewalt. Das ist ein Phänomen, das ich sehr ernst nehme und worüber mit den deutschen Fernsehanstalten gesprochen werden muß. Derartige Enthemmungen wirken insbesondere dann auf Menschen ein, wenn sie nicht mehr in Familien eingebunden sind.
Welche Maßnahmen befürworten Sie im Umgang mit der rechtsradikalen Szene?
Wenn wir unsere Verfassung ernst nehmen, dann dürfen Skinheads und andere Gruppierungen in diesem Staat keinen Platz haben. Wenn wir kein Nachtwächterstaat werden wollen, muß man sie verbieten. Das sollte rigoroser betrieben werden. Man kann ihnen nicht zugestehen, daß sie in der Öffentlichkeit mit ihren Aktivitäten weitere Jugendliche verblenden. Die Eskalation solch verrückter Ideen hat dieses Land schon einmal erlebt. Das darf nicht noch mal geschehen.
Gehört zu den Vorschlägen, die Sie Innenminister Seiters vorlegen, auch die doppelte Staatsbürgerschaft?
Ja. Ich verfechte diesen Vorschlag mit meinem Fraktionskollegen Gerster, und die Front derjenigen, die diese Idee vertreten, wächst. Auch der Bundeskanzler hat einen Vorstoß in diese bisher sakrosankte Landschaft unternommen.
Wie soll die doppelte Staatsangehörigkeit konkret ausgestaltet sein?
Anders als bisher diskutiert, muß die zweite Staatsangehörigkeit ruhen. Aus ihr dürfen keine Rechte oder Pflichten hergeleitet werden können – damit man nicht in Kollisionen mit den Rechten und Pflichten des jeweils anderen Staates gerät. Erst mit der Rückkehr in die Heimat soll die zweite Staatsangehörigkeit wieder aktiviert werden. Ich habe darüber in Ankara mit den Mitgliedern der türkischen Regierung gesprochen und glaube, daß wir uns in dieser Frage näherkommen.
Das Modell der doppelten Staatsangehörigkeit ändert aber nichts an dem Grundsatz des ius sanguinis (Blutsrecht).
Nicht direkt. Aber durch die Maastrichter Verträge wird der Grundsatz verändert, da wir dort die europäische Staatsangehörigkeit entwerfen. Da kann man natürlich nicht bei den einen das ius soli (Recht des Bodens), bei den anderen das ius sanguinis haben.
Sind Sie persönlich der Ansicht, daß man das ius sanguinis abschaffen und das ius soli einführen sollte?
Ich glaube, daß sich Rechtstraditionen nicht so schnell ändern lassen. Ein Jurist würde mich auslachen, wenn ich diese Änderung vorschlüge. In fast allen Bereichen ist die Rechtsgeschichte von dem ius sanguinis bestimmt. Wir sollten dies im Zusammenhang mit der in Maastricht beschlossenen Vereinheitlichung des Rechts in der Gemeinschaft sehen. Wir sind auf dem Weg, hier eine Änderung zu erreichen.
Was sagen Sie denen in Ihrer Fraktion, die gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sind, die vielleicht sogar der Meinung sind, eine Doppelstaatsbürgerschaft aktiviere die Gewaltbereitschaft von Rechtsradikalen?
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß mit der Doppelstaatsbürgerschaft die Probleme des Extremismus zu regeln sind. Die Doppelstaatsbürgerschaft wäre ein Zeichen, ein gutes Zeichen für die ausländischen Mitbürger in Deutschland, wenn sie erführen, daß sie die Gleichstellung bekommen. Und es würde dazu beitragen, den Zustand zu normalisieren. Interview: Julia Albrecht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen