■ Die Debatte um das Ladenschlussgesetz eskaliert: Schluss mit den rechtsfreien Räumen
Der Streit um den Ladenschluss eskaliert. Immer stärker drängen Unternehmer auf eine Neuregelung, von der sich vor allem die großen Konzerne eine Stärkung ihrer Position zu Lasten kleiner Geschäfte und eine höhere Rendite versprechen. Der Massenansturm auf Kaufhof am Berliner Alexanderplatz hat gezeigt, dass der Vorstoß der Unternehmer bei vielen Konsumenten auf Zustimmung trifft. Ob der sonntägliche Run auf die Schnäppchen in Zeiten der knappen Kassen von Dauer sein wird, bleibt indes abzuwarten. Bisher boomt ohnehin nur der Souvenirhandel: Weil die Berliner Umsetzungsverordnung des Ladenschlussgesetzes den Sonntagsverkauf nur bei „Gütern des touristischen Bedarfs“ erlaubt, müssen neuerdings auch Waschmaschinen, Fitnessgeräte und Gurken als „Berlin Souvenir“ herhalten.
Die peinliche Posse hat System: Seit Jahren wird über den Ladenschluss diskutiert. Unter der Hand hat die Politik in Einzelfällen längst Fakten geschaffen und mit diversen Sondergenehmigungen von Ostberlin bis St. Pauli dem Ladenschluss längst den Todesstoß versetzt. Allerdings gilt derzeit noch ein Zwei-Klassen-Recht: Eine halbherzige Ausnahmeregelung, die lediglich bestimmte Gebiete als touristisch ausweist, während andere in die Röhre schauen müssen, verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Jetzt sind klare politische Entscheidungen gefragt.
Die ohnehin mäßig bezahlten Verkäuferinnen und Verkäufer, die sich nun zunehmend auch am Sonntag die Beine in den Bauch stehen müssen, sollten die Gelegenheit nutzen, um mit der Forderung nach entsprechenden Zuschlägen die eigene Kasse aufzubessern. Doppelter Lohn für gleiche Arbeit wie bei Kaufhof – dazu kann man auch am Tag des Herrn schwerlich nein sagen. Die Enwicklung bringt ein Mehr an Flexibilität für den Einzelnen mit sich, unterwirft sein Leben aber auch verstärkt den Verwertungskriterien des Marktes. Unter diesen Umständen kann man es den Angestellten nicht verübeln, dass sie ihre Haut so teuer wie möglich verkaufen – es wird sich dann zeigen, was den Unternehmern die Abschaffung des Ladenschlusses wirklich wert ist.
Solange aber das unglaubliche Theater mit Souvenir-Aufklebern weiter aufgeführt wird, hat jeder Käufer von „touristischen Gütern“ gefälligst den Personalausweis an der Registrierkasse vorzulegen und einen Wohnsitz außerhalb der Stadt nachzuweisen: Mit den rechtsfreien Räumen muß endlich Schluß gemacht werden – in der Bundeshauptstadt und anderswo. Andreas Spannbauer
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