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■ Die CDU zeigt Nerven und schickt Kohl erneut ins Rennen. Nun soll die SPD auch was zeigen – aber was?Eine Herausforderung für Schröder

Kohl hat seine Kandidatur verkündet. Das war zu erwarten. Er hat seine Kandidatur zur Unzeit verkündet. Das nährt den Zweifel am Erfolg dieses Vorhabens. Eigentlich wollte er seinen Hut jetzt nicht in den Ring schmeißen. Noch nicht. Nach der Maastricht-II- Konferenz Mitte des Jahres werde er die Frage der Kandidatur angehen, verkündete er Mitte Februar. An den Weltläuften orientiert, von den Parteifreunden dazu gebeten, so hatte er sich seine Entscheidung vorgestellt. Nun haben ihn die Parteifreunde gedrängt, haben die schlechte Lage in Deutschland beklagt und über die genauso schlechten Umfrageergebnisse der CDU genölt, haben halblaut über das miserable Management bei den Reformprojekten gezetert und hinter vorgehaltener Hand über die Führungsschwäche des Spitzenmannes gemault.

Das brachte den Vorsitzenden in die Position, die ihm am wenigsten behagt: Er konnte nicht mehr frei entscheiden. Wählte er den Abgang, so wäre es kein ehrenvoller gewesen. Es wäre als ein Kneifen vor den aufgetürmten Problemen interpretiert worden. Wahre Staatsmänner verabschieden sich auf andere Weise, siehe Genscher. Nun, da er wieder antritt, wird ihm das als Indiz dafür gewertet, wie schwer doch die CDU in den Schlamassel geraten ist, daß nur noch das persönliche Gewicht des Vormannes Kurs und Kraft geben kann.

Die Partei hat von Kohl Klarheit verlangt. Andernfalls hätte Wolfgang Schäuble das Heft in die Hand nehmen müssen. Nur, wenn er als Nachfolger aufgebaut werden soll, dann bitte schön jetzt. Ein späterer Zeitpunkt wäre dem ohnehin fragwürdigen Erfolg des Nachfolgers abträglich gewesen.

All diesen notwendigen Kalkülen mußte sich Kohl bei seiner Entscheidung beugen. Er mußte sich ihnen in einer Situation beugen, in der die Union in einem Umfrage- und Stimmungstief steckt. Das allerdings schreckt ihn nicht, denn darauf baut er nun auf. Schon bei der letzten Bundestagswahl bezog er sein Charisma weniger aus seinem tatsächlichen (eher schlechten) Ergebnis als aus der Diskrepanz zwischen der absoluten Niedergeschlagenheit der Partei und seiner ebenso absoluten Siegeszuversicht – und dem Umstand, daß letztere sich bewahrheitete.

Soll diese Zuversicht auch 1998 nicht nur die Partei, sondern auch die Wähler ergreifen, muß sie ihnen allerdings zumindest perspektivisch eine Verbesserung ihrer Situation signalisieren. Kohl hofft auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Er mußte aber in den letzten Wochen zunehmend zu erkennen geben, daß seine Regierungspolitik nur einen begrenzten Einfluß auf die Wirtschaft hat. Das ist sein Dilemma. Mit diesem Dilemma hat allerdings auch sein möglicher Kontrahent von der SPD zu kämpfen. Auch die Sozialdemokraten verfügen nicht mehr über ein profiliertes Instrumentarium, das die Wirtschaftsentwicklung erkennbar steuert. So wahlentscheidend die Ökonomie für beide Parteien ist, so schwindend ist deren Einfluß darauf.

Was die Politik nicht hergibt, muß die Person erfüllen: 14 Jahre Kohl verkörpern die gelungene Verbindung von Kontinuität und strukturellem Wandel in Deutschland. Damit hat der Kanzler bislang, immer wenn es darauf ankam, die politische Mitte gewonnen. Die SPD steht vor der Alternative, entweder (zum wiederholten Male) das Scheitern dieses Grundmusters zu proklamieren, die Kontinuität als Stagnation zu denunzieren und den erforderlichen Wandel zu radikalisieren – oder bei Beibehaltung des Musters eine sozialdemokratische Entsprechung zu Kohl zu präsentieren. Ersteres bedeutet eine Polarisierung der Mitte, letzteres eine Hegemonie über die Mitte. Ersteres bedeutet einen Lagerwahlkampf, letzteres einen Personenwahlkampf. In der SPD steht für ersteres Lafontaine, für letzteres Schröder.

1994 konnte sich die Partei zwischen diesen beiden Grundrichtungen nicht entscheiden. Für diese Unentschiedenheit, die sich letztendlich auf die sozialdemokratische Mitte konzentrierte, steht der Name Scharping. Sollte der Wunsch nach Identifizierung in der SPD auch 1998 den Ausschlag geben, spräche alles für Lafontaine. Er ist von den beiden Aspiranten der authentischere Sozialdemokrat.

Doch Schröder ist der bessere Kanzlerkandidat. Er ist die einzige personelle Alternative der SPD, in der die attraktive Wirkung der Kohlschen Kandidatur aufgehoben (in des Wortes doppelter Bedeutung) wird. Wie Kohl repräsentiert er die Zuspitzung der politischen Auseinandersetzung. Eine Konkurrenz zwischen den beiden verspräche einen Wahlkampf nach amerikanischem Muster. Paradoxerweise ist es ausgerechnet die Person Lafontaines, die für ein solches Vorgehen der SPD spräche. Denn was 1994 (aufgrund der fehlenden Kompetenzabgrenzung) als Troika scheiterte, kann 1998 als Duo glücken: das breite Spektrum der SPD, das sich programmatisch nicht mehr widerspruchsfrei bündeln läßt, personell zu verkörpern. Eine klare Aussage für eine rot- grüne Koalition wäre eine diesen Effekt verstärkende Maßnahme.

Mit diesem Szenario sind nicht nur die Chancen der SPD skizziert, damit ist zugleich auch ihr augenblickliches Dilemma umrissen. Mit Kohls Ankündigung verstärkt sich auf sie der Druck, den Herausforderer jetzt schon zu benennen. Der Wahlkampf hat begonnen. Schaut man nach England auf die Konkurrenz Blair/Mayor oder nach Amerika, so ist ein solch früher Beginn bei einem Persönlichkeitswahlkampf keineswegs unüblich. Für Schröder wäre er allerdings mit einem schweren Handicap verbunden. Er ist nicht zugleich Parteivorsitzender; seine Möglichkeit, als Kandidat in den kommenden Monaten prägend in die Politik seiner Partei einzugreifen, wären folglich begrenzt. In Anbetracht der widerstreitenden Interessenlagen in seiner Partei würde ihn das der Gefahr der vorzeitigen Demontage aussetzen. Fast alle SPD-Kandidaten können ein Lied von diesem Dilemma singen. Schröder hat zudem vor seine Kandidatur die Hürde eines Wahlsieges in Niedersachsen gestellt. Will er sein Wort nicht brechen, muß er folglich bis zum nächsten Frühjahr warten. Wollte er jetzt schon seine Kandidatur verkünden, bräuchte er in Niedersachsen wohl nicht mehr antreten.

Die SPD wäre deshalb schlecht beraten, würde sie sich wie Kohl dem Druck beugen und vorfristig eine Kandidatur bekanntgeben. Sie wäre gut beraten, wie Kohl bei seinen bisherigen Wahlkämpfen davon auszugehen, daß die Mehrheiten in den letzten Monaten errungen werden.

Dieter Rulff

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