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■ Die CDU braucht nicht nur neue Personen, sondern vor allem neue Ideen. Denn sonst ist ihre Existenz als Volkspartei ernsthaft bedrohtHeraus aus dem Gedankenkäfig!

Die CDU steht vor einem dreifachen Übergang: Sie muß sich personell erneuern. Sie braucht neue Ideen für eine veränderte Welt. Und sie steht vor einem kulturellen Übergang. Schafft sie dies nicht, wird es eine Volkspartei CDU bald nicht mehr geben. Das aber würde die Berliner Republik in ihrem Kern verändern.

I.

Der politische Übergang:

Aus den Triumphen und Niederlagen der 98er Wahlen ziehen manche Beobachter eine allgemeine Lehre: Erfolg hat in der Politik nur, wer auf Politik möglichst verzichtet oder aber statt Politik Populismus bietet. Auch in der CDU wird es (jüngere) Politiker geben, die sich dieser Alternative beugen. Das Führungstrio der Union, Schäuble, Stoiber und Rühe, steht, wenn es Mut und Fortune hat, für eine dritte Kategorie. Alle drei, und man kann Biedenkopf und Teufel durchaus dazuzählen, repräsentieren einen Typ von Politiker, der nicht nur Energie und den Willen zur Macht abstrahlt, sondern auch – fast möchte man sagen: in einem ganz altmodischen Sinne – an Politik glaubt, von Zielen her denkt und sich an Problemen abarbeitet: ob es nun um die neue Nato geht, die Reform der Gesellschaft und den Umbau des Sozialstaates oder um den Spitzenplatz einer Region in Europa.

So verschieden sie auch sind: Sie alle weigern sich, die Kapitulation der Politik zu unterzeichnen. Was sie, vor allem Schäuble und Stoiber trennt, liegt auf der Hand. Es sind politische Unterschiede, vor allem aber ist es der Eigensinn der Machtkalküle. Was gut ist und Mehrheiten bringt in Bayern, kann schlecht sein und Stimmen kosten im Rest der Republik. Doch zur Zeit braucht die Union keinen Kanzlerkandidaten. Die Klugheit der Beteiligten wird sie zu einer gemeinsamen Strategie des kalkulierten, aber gezähmten Konfliktes bringen. Sonst wird der bundespolitische Einfluß der CSU immer weiter wachsen – auf eine CDU, die immer mehr an Einfluß verliert. Die CDU hat jetzt keinen Aktionismus- – wohl aber hat sie einen Denk- und Orientierungsbedarf.

II.

Der konzeptionelle Übergang:

Manche jungen Reformer verlangen jetzt wieder (von wem eigentlich?) eine „inhaltliche Erneuerung“, ganz so, als sei der allmächtige Übervater immer noch gegenwärtig. „Die CDU muß wieder eine soziale Volkspartei werden“, sagen andere. Gut gebrüllt, alter Löwe, wenn nur sich die soziale Frage nicht radikal verändert hätte. „Die CDU muß wieder zur Partei der sozialen Marktwirtschaft werden.“ Schon richtig, aber was bedeutet das für eine Zeit, in der so ziemlich alle Rahmenbedingungen andere sind? „Die CDU muß sich angesichts der Frontstellung zwischen einer kalten neoliberalen Gesellschaft und dem Staat als Schutzpatron der kleinen Leute entscheiden.“ Schön gesagt, aber wofür und wogegen? Für mehr Sozialstaat, sagen die einen, für mehr Freiheit und Eigenverantwortung, sagen die andern. Die CDU hat heute alles im Angebot, aber nichts mehr, was sie einzigartig macht.

Diese Malaise hat einen Grund. Sie leuchtet mit den theoretischen Scheinwerfern der Vergangenheit in eine veränderte Welt. Wie Rilkes Panther bewegt sich die CDU im Kreise ihrer immer gleichen Formeln, Sprachbilder und Begriffsgatter. Dabei ist ihr „Blick so müd geworden, daß er nichts mehr hält“: nicht die alten Werte der sozialen Integration; nicht die neuen Ideen amerikanischer Kommunitaristen oder deutscher Zukunftskommissionen; nicht die veränderten Wirklichkeiten jenseits schrumpfender Milieus. Diese Selbstbeschränkung erst des Denkens, dann der Optionen und schließlich auch der Mehrheiten hat mit Werten und Prinzipien wenig, mit Bequemlichkeit und geistig-politischer Trägheit hingegen viel zu tun.

Aus dieser Malaise gibt es wohl nur einen Weg. Die CDU muß heraus aus den Gedankenkäfigen, neu und radikal nachdenken über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, dabei nicht von alten Begriffen und Parolen ausgehen, auch wenn die alten Glocken noch so vertraut läuten, sondern von neuen Problemen und Entwicklungen. Wo bleibt der Staat unverzichtbar? Wo kann er mit anderen, liberaleren Methoden (Wettbewerb!) seine sozialen Ziele besser erreichen? Was bedeutet es, wenn man den Sozialstaat nicht allein als „Schutzmacht der Schwachen“, sondern als einen Ort der Stärkung und Aktivierung selbständiger Menschen begreift? Wer nur die Alternative Blüm/ Dreßler und Westerwelle im Kopf hat, der hat schon verloren, erst Wähler und später auch den sozialen Zusammenhalt. Von den Wurzeln und von den Zielen her zu denken (in welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?): Dieser konzeptionelle Übergang erfordert von jeder Partei eine gewaltige Anstrengung. Ist sie erst einmal geleistet, dann stellen zur rechten Zeit sich auch Begriffe ein.

III.

Der kulturelle Übergang:

Immer mehr Menschen fühlen sich in der CDU sozial und kulturell immer weniger zu Hause. Es werde sich schon ändern, ging die Hoffnung, „wenn die Leute erst einmal arbeiten und Steuern zahlen“. Nichts wird sich ändern, wenn sich die CDU nicht ändert, ihre Organisationskultur, ihren Argumentationsstil, ihre Praxis vor Ort. Warum sollen junge Leute oder Frauen zu den ältlichen Männerbünden kommen, als die sich die meisten Ortsverbände darstellen? Vor Ort wird man eine Partei nicht länger an ihren Programmen, sondern an ihren Taten erkennen: daß sie dabei ist, wenn Mütterzentren, Nachbarschaftsinitiativen und Elternvereine gegründet werden; daß sie Patenschaften zwischen Schulklassen und Altersheimen anregt; daß sie bürgerschaftliches Engagement organisiert, wenn Bibliotheken oder Schwimmbäder von der Schließung bedroht sind, kurzum: daß sie unbefangen an den lebensweltlichen Bedürfnissen anknüpft.

Die CDU stellt viele Bürgermeister, Landräte, Stadtdirektoren. Woran erkennt man eigentlich, daß Städte und Gemeinden von der CDU und nicht von der SPD regiert werden? „Mehr Bürgergesellschaft wagen“ könnte ein Leitbild sein, das der Kommunal- wie der Parteipolitik wieder frischen Charme verleiht.

Eine Strategie des kalkulierten Konflikts; eine offene Debatte; eine Perspektive von unten: Das ist kein leichter, aber ein möglicher Weg aus der Krise der CDU. „Don't imitate, innovate“, das wäre die Devise: Neues denken, nicht einfach weiter (so) machen, nicht die eigenen Fehler der Vergangenheit, aber auch nicht die neoliberalen Irrlehren der Gegenwart. Warnfried Dettling

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