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■ Die Bündnisgrünen wollen 1998 mit aller Macht eine rot-grüne Bundesregierung. Das wäre das Schlimmste, was ihnen passieren kannWartet lieber ab!

Seit die Bündnis 90/Die Grünen im Oktober ihren ersten Entwurf für ein Wahlprogramm präsentierten, ist die Partei auf dem Rückzug. Noch bevor die Konkurrenz sich richtig aufplustern konnte, kanzelte Fraktionssprecher Joschka Fischer die Autoren des außenpolitischen Programmteils bereits als nicht zurechnungsfähig ab. Das sei der Weg in den Absturz, so könne man keine Wahlen gewinnen und schon gar nicht das Bonner Außenamt übernehmen. Vertragstreue, die müßten die Grünen schon garantieren.

Man kann sich sicher über einzelne Formulierungen in dem Programmentwurf streiten; ob man angestrebte Veränderungen bei Bundeswehr und Nato nicht lieber prozeßhaft beschreibt, statt plakativ zu postulieren. Wer sich den Entwurf anschaut, wird aber feststellen, daß es längst nicht mehr um die ersatzlose Streichung der Bundeswehr geht, auch der Streit um einen Bosnien-Einsatz nicht wieder neu aufgenommen werden soll. Tatsächlich manifestieren sich in dem Programm nicht viel mehr als Restbestände einer ehemals utopischen Friedenspolitik, die längst auf den Boden des Machbaren gebracht worden ist. Das ist im Moment aber schon zuviel.

Was für die Außenpolitik gilt, wird in der Innen- und Wirtschaftspolitik erst recht gelten: Realismus ist angesagt, mit fünf Millionen Arbeitslosen spaßt man nicht. Das wird die Debatte um die Benzinpreiserhöhung demnächst auch Joschka Fischer zeigen. Hochflexiblen, auf das Auto angewiesenen, verängstigten Mittelständlern mutet man keine relevante Benzinpreiserhöhung zu. Psychologisch ist das nicht machbar, selbst wenn das Geld über eine Steuersenkung zurückgezahlt wird. Der Benzinpreis ist nur die Spitze des Eisbergs der Probleme, die auf eine rot- grüne Bundesregierung beim ökologischen Umbau der Gesellschaft zukämen. Man stelle sich vor, eine mittelgroße Chemieklitsche mit 200 Arbeitsplätzen verlagert ihre Produktion tatsächlich nach Tschechien. Die Regierung würde diese Entscheidung keine Woche überleben.

Die Gesellschaft hat im Moment keine Lust auf grüne Experimente. Die Menschen haben das Gefühl, großen Umwälzungen ohnmächtig gegenüberzustehen. Stabilität, und sei es auch nur eine scheinbare, ist das Gebot der Stunde. Schließlich müßte jede rot- grüne Regierung erst mal um Akzeptanz werben. Man darf davon ausgehen, daß die Grünen in ihrer großen Mehrheit diese Vorgaben begreifen – ansonsten wird Joschka dafür sorgen, daß Uneinsichtige nichts mehr zu melden haben. Da bleibt nur noch die Frage: Was wollen die Grünen an der Regierung? So sehr die Partei öffentlich bekräftigt, sie möchte unbedingt Teil einer rot-grünen Bundesregierung werden, hinter vorgehaltener Hand nimmt sich die Begeisterung doch sehr viel bescheidener aus. Das ist nur zu verständlich, und es wäre an der Zeit, auch öffentlich darüber zu reden.

Es ist in den letzten Jahren viel über die Wandlungs- und Transformationsprozesse bei den Grünen geschrieben worden. Das liest sich, je nach Standpunkt, entweder als lobenswerter Prozeß der Professionalisierung oder als Verlust an Vision, Aufmüpfigkeit oder der Fähigkeit, sich auch etwas anderes vorstellen zu können als das, was die etablierten Parteien bis dato vorgeführt haben.

Tatsächlich stimmt beides und ist beides nicht ganz richtig. Die Grünen sind professionell geworden, und sie sind nach wie vor flexibler und bereiter zu phantasievollem Denken als die anderen Parteien. Das Unbehagen bei der Vorstellung, 1998 eine Koalition mit der SPD einzugehen, hängt damit zusammen, daß alle spüren, daß eine Regierungsbeteiligung im Moment nur noch eine Reduktion auf professionelle Politikverwaltung bedeutete.

Es gibt praktisch kein großes gesellschaftliches Reformprojekt, das die Grünen unter den gegebenen Rahmenbedingungen und mit dem anvisierten Partner SPD in einer Regierung ab 1998 durchsetzen könnten. Entweder fehlt das Geld oder die Bereitschaft des Partners oder die Akzeptanz in der Gesellschaft – nicht zuletzt fehlt aber auch das Projekt. Alle wichtigen, langfristig wirksamen Entscheidungen im Gefolge der deutschen Einheit sind spätestens nach der Wahl 94 gefallen. Angefangen bei den vertanen Chancen der Vereinigung über die verfehlte Industriepolitik im Osten, die Art und Weise, wie die Währungsunion durchgesetzt wird, bis hin zu Hypotheken wie dem Eurofighter. Nichts von alldem ist rückholbar. Auch Rot-Grün könnte nur dort weitermachen, wo Kohl aufhört.

Und noch etwas. Die Beziehung zwischen Rot und Grün ist schon zerrüttet, bevor es möglichwerweise im Herbst 98 losgeht. Jahrelanges Gerede, soll man oder soll man nicht, hat der Verbindung jeden Charme genommen. Der Umgang miteinander ist über die Jahre dabei nicht besser geworden. Die kulturellen Gräben zwischen Grünen und SPD sind nach wie vor nicht überbrückt. Von Ausnahmen, die es natürlich gibt, einmal abgesehen, begegnen die meisten Sozialdemokraten den Grünen mit einer Mischung aus Arroganz und Angst. Angefangen von den Oppositionsspitzen Fischer und Scharping bis hinunter in diverse Lokalparlamente – meistens sind die Grünen eloquenter, besser ausgebildet, weltläufiger und selbstsicherer. Dagegen setzt das SPD- Mitglied die Arroganz der Masse. Die latenten Minderwertigkeitskomplexe einzelner SPDler werden objektiv gestützt. Schaut man auf die Großstädte, auf den Sektor der Gesellschaft, wo Meinungen gemacht und Trends gesetzt werden, sind die Grünen die Partei der Zukunft. Bis auf eine Ausnahme ist die SPD aus rot-grünen Bündnissen immer geschwächt herausgegangen – auch das ist keine Erfahrung, die Lust auf Mehr macht.

Hier soll weder einer Opposition aus Prinzip und auf Dauer noch dem Kurzschluß, die Grünen sollten doch gleich mit der CDU koalieren, das Wort geredet werden. Ganz im Sinne einer professionellen Politik sollte man aber auch jetzt dazu in der Lage sein, nüchtern abzuwägen, ob es wirklich im Interesse einer Demokratisierung und ökologischen Erneuerung der Gesellschaft ist, wenn die Grünen sich jetzt in einer Regierung verschleißen, die kaum eine Erfolgschance hat. Allein der Wunsch, nach 15 Jahren Opposition endlich auch mal auf der anderen Seite mitzumischen, ist keine hinreichende Begründung. Joschka Fischer wäre auch mit 54 als Außenminister noch eine Erfrischung, und die SPD wäre nach vier Jahren Großer Koalition für Reformvorhaben sicher erheblich zugänglicher, als sie es jetzt ist. Jürgen Gottschlich

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