Die Bombodrom-Gegner atmen auf: Frei ist die Heide
Die Bürgerinitiativen gegen den Luft-Boden-Schießplatz können nach 17 Jahren Kampf feiern. Doch es wird dauern, bis das Areal gefahrlos nutzbar ist. Erkundungen im Sperrgebiet.
Der Wind pfeift, die Kiefern wiegen sich leicht. Wir sind in der Kyritz-Ruppiner Heide. In der "weißen Zone", wie manche sie nennen, denn die Heide ist umrundet von weißen Schildern, auf denen noch "Militärischer Sicherheitsbereich" steht und noch lange "Blindgänger! Lebensgefahr!" stehen wird. Vergangenen Donnerstag hat Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erklärt, den Platz nicht mehr militärisch nutzen zu wollen. Nach 17 Jahren Kampf haben sich die Bürger der Region durchgesetzt. Umkämpft waren 120 Quadratkilometer Nichts. Kleine Gehölze, Sanddünen, Ginsterbüsche sind das Einzige, woran der Blick hängen bleibt, in allen Himmelsrichtungen. Menschenleer. Brandenburg im Extrem. Drei Hirsche springen aus dem Wald, ein Wildschwein mit Frischlingen kreuzt den Feldweg. Die Jäger der Umgebung kommen nicht nach mit dem Schießen auf dem Schießplatz. Ein Wolf lebt ebenfalls auf dem Gelände, eine Fotofalle hat das Tier kürzlich dokumentiert.
Barbara Uebel tritt in die Pedale ihres alten Fahrrads und schwärmt von der Einsamkeit im Sperrgebiet. "Kein Mensch hier." Der Wachschutz, der hier Streife geht, zeigt sich heute nicht. Die 71-Jährige nimmt sich das Recht, die Zone auf der alten Straße zwischen Schweinrich und Neu Lutterow, die vor Jahrzehnten von der Sowjetarmee gesperrt wurde und nur noch als Feldweg erkennbar ist, zu durchqueren. Auf der offiziell freigegebenen, asphaltierten "Privatstraße des Bundes" würde sie nie fahren. Aus Sturheit und aus Überzeugung. Barbara Uebel ist Aktivistin der Bürgerinitiative Freie Heide und Protestveteranin. Vor elf Jahren zog die pensionierte Biologin aus Berlin-Prenzlauer Berg in einen Wohnwagen auf den Schweinricher Campingplatz. Dort wohnt sie nun das ganze Jahr.
Geschichte: Seit 1952 übt die Sowjetarmee auf der von ihr gesperrten Kyritz-Ruppiner Heide. Jährlich werden bis zu 25.000 Bombenabwürfe im Tiefflug trainiert.
Bürgerprotest: Im August 1992 gründet sich die Bürgerinitiative Freie Heide. Der erste Protestmarsch wird von Christian Gilde, Landrat des damaligen Kreises Wittstock, angemeldet. Insgesamt gab es 113 Protestmärsche gegen das Bombodrom. 2002 formiert sich im mecklenburgischen Mirow die Initiative Freier Himmel, 2003 gründen Unternehmer die Vereinigung Pro Heide. Nach dem Abzug der russischen Truppen 1993 beschließt die damalige Bundesregierung, das Gelände weiter militärisch zu nutzen. In 27 Prozessen setzen sich klagende Gemeinden und Unternehmer gegen die Bundeswehr durch.
Rechtslage: Die Heide gehört dem Bund. Sie wird noch 2009 turnusgemäß in die Verwaltung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergehen. "Freie Heide"-Anwalt Remo Klinger ist der Auffassung, dass der Bund den Platz nun an die einst enteigneten Anliegergemeinden zurückgeben müsse. Für die Munitionsentsorgung sei aber weiterhin der Bund verantwortlich. Eine Nutzung der Heide ist auch deswegen eingeschränkt, weil große Teile als Flora-Fauna-Habitat (FFH) bei der EU registriert sind.
"Gelebte Praxis" nennt Jörg Gehrmann, parteiloser Bürgermeister der Stadt Wittstock, die Tatsache, dass sich die Anwohner nie von den weißen Schildern abhalten ließen, bestimmte Wege zu nutzen. Und er spricht davon, dass diese Praxis "weiter ausgebaut" werden könnte, sobald die Bundeswehr abzieht. "Doch wir haben eine sehr hohe Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung", stellt er klar. Das bedeutet: Die Heide bleibt auf jeden Fall erst einmal dicht. Die weißen Schilder würden durch andere ersetzt, von denen Gehrmann nicht weiß, wie er sie bezahlen soll.
Die Bombodromgegner feiern erst mal. Die 113. Protestwanderung gestern in Sewekow geriet zum Freudenfest. Barbara Uebel war natürlich dabei, ebenso die Betreiber des Campingplatzes, auf dem sie wohnt. "Das ist so ein tolles Gefühl. Hier hat die Demokratie gesiegt", jubeln Ute und Jürgen Erfurth. Und hoffen auf den Tourismusboom in der nun friedlichen Region. "Der Platz ist jetzt aufgewertet", glauben sie. In den drei Bürgerinitiativen Freie Heide, Pro Heide und Freier Himmel fanden sich Pazifisten und Unternehmer zu einer ganz großen Koalition zusammen. Der Schulterschluss war das Geheimnis der Protestbewegung. Seite an Seite schritten jene, die sich auch aus Eigennutz für Ruhe und Investitionssicherheit einsetzten, und solche, die die Bundeswehr am liebsten ganz abschaffen wollten und einen Übungsplatz als Vorbereitung eines Angriffskriegs verteufelten.
Nun haben sie Ruhe. Aber was wird aus der Heide? "Das Wichtigste ist jetzt, dass kein Lärm, keine Belastung und keine Bedrohung von ihr ausgehen. Das ist schon Impuls genug für unsere Region", sagt Christian Gilde, SPD-Landrat des Kreises Ostprignitz-Ruppin. Ähnlich sieht es Neuruppins Bürgermeister Jens-Peter Golde, zugleich Vorsitzender der Unternehmervereinigung Pro Heide: "Jetzt können die Investitionen fließen, jetzt ist der Pfropfen weg." Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) hat eine Tourismuskonferenz noch im Sommer in Aussicht gestellt. Golde drängt. Es müsse jetzt Geld aus dem Konjunkturpaket des Bundes fließen, fordert er, hofft auf hunderte Arbeitsplätze für die Konversionsarbeiten. "Und es gibt schon Interessenten", ruft Golde und holt den Ausdruck einer E-Mail hervor: First Solar würde gern ein Photovoltaikkraftwerk errichten und verweist auf einschlägige Erfahrungen auf anderen Übungsplätzen.
Während um den Platz herum gejubelt wird, rast ein Bundeswehrjeep mit 70 über die Heide, um seiner eigenen Staubfahne zu entkommen. Oberstleutnant Thomas Hering, Kommandant des Nochübungsplatzes, will die Stelle zeigen, an der ein Jäger vor wenigen Wochen einen Sprengplatz der Russen entdeckt hat. Kurz vor dem Abzug haben die russischen Streitkräfte hier Munition in die Luft gejagt "und sind dabei sehr tölpelhaft vorgegangen", ärgert sich Hering. In einem Krater lag unten Sprengstoff, darüber die Munition, alles hat sich über einen Radius von 500 Metern verteilt. Dunkelrot leuchten Brocken von Raketentreibstoff, schön wie Bernstein. Schrott, hochgefährliche Granaten mit Zünder, scharfe 40-Millimeter-Raketen. Nun wird beräumt, mühevoll und Stück für Stück. Hering hat nur zwei Sprengstoffexperten auf dem Platz, die Bundeswehr hat das Personal reduziert.
Wir fahren tiefer in den rot gekennzeichneten Bereich hinein. Hier ist die Munitionsbelastung am höchsten. Herings größte Sorge: dass hier ein Pilzsammler oder Militariafreak zu Schaden kommt. "Den finden wir nicht wieder." Am Nordrand des Platzes sei es weniger gefährlich, "da kann die ältere Dame gerne ihren Spät-68er-Reflex ausleben", sagt er. Er meint Barbara Uebel. Der Kommandant zeigt in eine Senke. Zwischen Heidekraut und Kiefern ragt das Leitwerk einer Fliegerbombe hervor. "Das ist ein Blindgänger, das sehe ich von hier." 5 Prozent der abgeworfenen Bomben, schätzt der Sprengstoffexperte Hering, sind im weichen Sandboden nicht detoniert. 1,5 Millionen Blindgänger aller Kaliber lägen noch herum. Er bückt sich, zeigt die verrosteten Reste einer russischen 10-Zentner-Bombe. "Die hier ist losgegangen. Das war die Hölle in den umliegenden Dörfern, insofern kann ich die Menschen schon verstehen. Als die Russen hier waren, bedeutete das den Dritten Weltkrieg für die Anliegergemeinden."
Eine Generationenaufgabe
Der Jeep holpert zurück, Hering wird nachdenklich. "Der Platz wäre ideal gewesen für unsere Luftstreitkräfte. Ich habe nachgedacht, was man hier sonst sinnvoll machen kann. Mir ist nichts eingefallen." Wenn man nicht für mindestens 300 Millionen Euro die Munition beräumen würde, müsste die Heide "für die nächsten hundert Jahre" geschlossen bleiben. Kurz vor dem Ausgang zitiert Hering ("als Privatmeinung") Einsteins Satz vom Universum und der menschlichen Dummheit. Beide seien unendlich, "aber beim Universum bin ich mir nicht so sicher". Es ist der einzige Moment, in dem der Offizier Frust zeigt.
"Die Räumung der Heide ist eine Aufgabe für Generationen", sagt Landrat Gilde. Große Sperrgebiete wird es mit Sicherheit weiter geben. Im Havelland, in der Döberitzer Heide, ebenfalls ein ehemaliger Übungsplatz, hat die Heinz-Sielmann-Stiftung vorgemacht, wie es ginge. Ein Zaun wurde gezogen, dahinter grasen Wisente und Przewalski-Pferde. Doch die Sielmann-Stiftung hat kein Interesse, will sich nicht mit zwei Heideflächen übernehmen. Heidschnucken grasen jetzt schon am Rand des Sperrgebiets. Sie könnten auf weiteren Flächen die Bäume kurz halten, damit die fragile Heidelandschaft erhalten bleibt. Doch um das ganze Terrain zu beweiden, brauchte es 12.000 Tiere. Eine gigantische Zahl, wie bei vielem hier.
Die Julisonne senkt sich über das leere Land. Einige Ruinen stammen noch aus der Zeit, als die Sowjetarmee hier die Hölle losbrechen ließ. Ein Beobachtungsturm leuchtet mattrosa, bei einer Platzbesetzung vor zwei Jahren hatten Demonstranten ihn bemalt. Fetzen von Transparenten liegen in einer Ecke auf abgeschlagenem Putz. Könnte man sich hier ein Café vorstellen? Nur mit Mühe. Dass Touristen hierherwollen? Auch nur mit Mühe. Ist es die Mühe wert?
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