: Die Analogie ist schwach und schlecht –betr.: „Vom Nutzen der Unterwerfung“ (Bomben auf Bagdad) von Sibylle Tönnies, taz vom 2/3. 1. 99
Liebe Sibylle, [...] Jetzt bist du also so weit, daß du mit deiner Unterwerfungsthese auch nach diesem Bestrafungskrieg weiterhin recht haben willst. Die andere Seite jedoch, die gegen dich redete und redet, die soll auch recht haben. Und zu allem Überfluß (Überdruß) soll auch noch beides verkehrt sein.
Also zunächst ist das mal methodisch unsinnig: Es ist ja nicht zu jeder beliebigen Frage genug Theorie da, um sie argumentativ auf ja/ nein zu entscheiden. Wer zuwenig hat, kann auf „non liquet“ plädieren; Unentscheidbarkeit (bei gegebener theoretischer Basis), das müßte dir als Juristin doch auch bekannt sein.
Doch bevor man soweit geht, schaue man sich doch die Argumente an. Dein Hauptargument ist eine Analogie. So wie die europäischen Fürstentümer gewaltsam zu Nationalstaaten vereinigt wurden, so kann/soll das jetzt auch mit dem Weltstaat werden. Aber diese Analogie ist schwach und schlecht:
Inzwischen gibt es eine UNO, und es gibt ein Völkerrecht, an das sich die dort vereinten Staaten gebunden haben. Dieses ist schon universalistisch, es zu beseitigen würde nicht erst Platz für ein universalistisches Recht schaffen.
Zudem hat die Bildung der Nationalstaaten ja nicht einfach als Gewaltakt stattgefunden, sondern war vom Erstarken freiheitlicher Ideen begleitet. Und dabei war Hobbes nun wirklich keine große Leuchte. Rousseau war viel größer, und der glaubte bekanntlich nicht an die Unterwerfung, sondern an die Selbstbestimmung.
Es ist auch falsch, daß die amerikanische Weltherrschaft einer demokratischen Form eine gute Chance gäbe. Man muß bloß dazunehmen, was die Demokratie in den USA inzwischen ist. Dann würde das Argument so aussehen: Wir haben eine gute Chance, daß eine gänzlich entpolitisierte Welt im Konsumrummel (dabei einen riesigen Teil in Armut versinken lassend) von jeder sinnvollen politischen Mitwirkung (Leuten die Hosen runterzuziehen ist ja nun mal keine) ausgeschlossen wird; und daß diese Verhältnisse ideologisch (= wegen formaler Übereinstimmung mit gewissen Merkmalen der Demokratie) als Demokratie gerechtfertigt werden.
Um des Friedens willen soll die Legitimität der Macht unter ihre Faktizität gesetzt werden? Weshalb denn? Was wäre denn besser, wenn die Knebelung der arabischen Bösewichter als Polizeiaktion stattfände? Weil es dann kein Bruch der Friedensordnung wäre?
Vielleicht denkst du ja nicht in Jahren und Jahrzehnten, sondern in Jahrhunderten. Da gäbe es dann gar keine Araber mehr, nur noch Weltbürger. Ja, möglich, daß du in 100 Jahren recht hast. Und für diese alberne Rechthaberei bombardierst du jetzt die Grundlagen intellektueller Kritik?
So, das mußte mal sein. Ich grüße dich von Herzen. Harald Wohlrapp, Hamburg
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