Die Ampel-Verkehrspolitik und Berlin: Mehr Stillstand wagen
Unterstützung für eine ambitionierte Verkehrswende darf sich Rot-Grün-Rot vom Bund nicht erhoffen. Das sollte aber kein Grund sein zu schwächeln.
D ie Hoffnungen auf einen grundlegenden Politikwandel im Bund waren bei den meisten BeobachterInnen aus dem Klima-, Mobilitäts- und Umweltbereich schon während der Ampel-Koalitionsverhandlungen zerstoben, in Sachen Verkehr war das dicke Ende dann aber noch dicker, als sich die meisten überhaupt vorstellen konnten: Ein FDPler übernimmt das Ressort, und der Koalitionsvertrag ist bei diesem Thema so weich wie ein ganz alter Papier-Führerschein.
„Erschreckend deutlich“ zeige der Text „die Angst vor Veränderung auf der Straße: Der Verkehr ist das heiße Eisen des Klimaschutzes, das sich niemand traut, anzufassen“, meint die Berliner Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen, und sie hat recht: Bis auf ein paar grundsätzliche Bekenntnisse zu mehr Verkehr auf der Schiene und mehr Elektroautos enthält das Dokument nichts, was optimistisch machen könnte – und das wird auch in Berlin schmerzlich zu spüren sein.
Hier hatten die Grünen im Wahlkampf immer wieder mit großer Zuversicht darauf verwiesen, wie gut die Chancen stünden, dass eine oder einer der Ihren das unter Andreas Scheuer zur Lachnummer verkommene Ministerium übernehmen werde. Dann lasse sich die Mobilitätswende endlich noch konsequenter umsetzen. Eine Reform der Straßenverkehrsordnung werde es noch einfacher machen, Radinfrastruktur auch zu Lasten des Autoverkehrs aufzubauen, und die Weiterführung der Stadtautobahn A100 bis Prenzlauer Berg – aktuell beschlossene Sache – könne man getrost abhaken.
Ein letzter schwacher Widerschein dieser Hoffnung flackerte noch einmal kurz vor der Präsentation des Koalitionsvertrags auf: Da hieß es, die Ampel wolle den Bundesverkehrswegeplan, der das Projekt enthält, nach Öko-Kriterien durchforsten und neu fassen. Am Ende stand da aber nur: „… werden wir einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden starten mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung“. Dieses herzlich nichtssagende Versprechen in Kombination mit einem FDP-Minister und einer autofreundlichen Berliner Regierenden – tja.
StVO bleibt autofreundlich
Genauso trübe sieht es wohl bei der Radverkehr aus, der dem Ampel-Vertrag noch nicht mal einen kompletten Absatz wert war. Als in Berlin letztes Jahr ein AfD-Mann gegen die Pop-up-Radspuren klagte und die Senatsverwaltung kurz in Bedrängnis brachte, wurde eines einer breiteren Öffentlichkeit klar: Die StVO sieht nicht vor, dass Kommunen dem Autoverkehr einfach ein bisschen Platz für mehr Velos abknapsen dürfen – das muss alles aufwändig für den konkreten Straßenabschnitt mit Sicherheitserwägungen begründet werden. So wird es nun vermutlich auch bleiben.
Es wird in den kommenden Jahren noch öfter klar werden: Ohne Unterstützung von der Bundesebene geht es hier nicht voran oder sogar in die falsche Richtung. Man sollte aber ehrlicherweise dazu sagen: Als Ausrede für eine lahme Berliner Verkehrspolitik kann und darf das niemand benutzen. Innerhalb des bestehenden Handlungsspielraums lässt sich im Land genug verändern in punkto Flächenverteilung, Förderung des Umweltverbunds oder auch Regulierung der Kfz-Antriebsarten – wenn man nur will und im Zweifelsfall ein bisschen kreativ wird.
Eher nicht gemeint ist damit, bei den von Franziska Giffey gewünschten U-Bahn-Verlängerungen „fertige Planungen aus der Schublade“ zu ziehen, wenn der Bund Geld zu verteilen habe – weil Berlin ja im Vergleich zu anderen Bundesländern „den kürzesten Weg“ habe, wie die Regierende in spe es ausdrückte. Dieses schon von der amtierenden Senatorin Günther angestoßene Projekt wird enorme Planungskapazitäten binden und eine Menge CO2 freisetzen. Nicht gerade das, was derzeit angesagt ist.
Aber warten wir mal ab, was am Montag im rot-grün-roten Koalitionsvertrag steht. Es gilt das geschriebene Wort.
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