piwik no script img

Die Ampel-Verkehrspolitik und BerlinMehr Stillstand wagen

Kommentar von Claudius Prößer

Unterstützung für eine ambitionierte Verkehrswende darf sich Rot-Grün-Rot vom Bund nicht erhoffen. Das sollte aber kein Grund sein zu schwächeln.

Alles andere als der erhoffte Heilsbringer: Bundesverkehrsminister in spe Volker Wissing Foto: dpa

D ie Hoffnungen auf einen grundlegenden Politikwandel im Bund waren bei den meisten BeobachterInnen aus dem Klima-, Mobilitäts- und Umweltbereich schon während der Ampel-Koalitionsverhandlungen zerstoben, in Sachen Verkehr war das dicke Ende dann aber noch dicker, als sich die meisten überhaupt vorstellen konnten: Ein FDPler übernimmt das Ressort, und der Koalitionsvertrag ist bei diesem Thema so weich wie ein ganz alter Papier-Führerschein.

„Erschreckend deutlich“ zeige der Text „die Angst vor Veränderung auf der Straße: Der Verkehr ist das heiße Eisen des Klimaschutzes, das sich niemand traut, anzufassen“, meint die Berliner Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen, und sie hat recht: Bis auf ein paar grundsätzliche Bekenntnisse zu mehr Verkehr auf der Schiene und mehr Elektroautos enthält das Dokument nichts, was optimistisch machen könnte – und das wird auch in Berlin schmerzlich zu spüren sein.

Hier hatten die Grünen im Wahlkampf immer wieder mit großer Zuversicht darauf verwiesen, wie gut die Chancen stünden, dass eine oder einer der Ihren das unter Andreas Scheuer zur Lachnummer verkommene Ministerium übernehmen werde. Dann lasse sich die Mobilitätswende endlich noch konsequenter umsetzen. Eine Reform der Straßenverkehrsordnung werde es noch einfacher machen, Radinfrastruktur auch zu Lasten des Autoverkehrs aufzubauen, und die Weiterführung der Stadtautobahn A100 bis Prenzlauer Berg – aktuell beschlossene Sache – könne man getrost abhaken.

Ein letzter schwacher Widerschein dieser Hoffnung flackerte noch einmal kurz vor der Präsentation des Koalitionsvertrags auf: Da hieß es, die Ampel wolle den Bundesverkehrswegeplan, der das Projekt enthält, nach Öko-Kriterien durchforsten und neu fassen. Am Ende stand da aber nur: „… werden wir einen Dialogprozess mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden starten mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung“. Dieses herzlich nichtssagende Versprechen in Kombination mit einem FDP-Minister und einer autofreundlichen Berliner Regierenden – tja.

StVO bleibt autofreundlich

Genauso trübe sieht es wohl bei der Radverkehr aus, der dem Ampel-Vertrag noch nicht mal einen kompletten Absatz wert war. Als in Berlin letztes Jahr ein AfD-Mann gegen die Pop-up-Radspuren klagte und die Senatsverwaltung kurz in Bedrängnis brachte, wurde eines einer breiteren Öffentlichkeit klar: Die StVO sieht nicht vor, dass Kommunen dem Autoverkehr einfach ein bisschen Platz für mehr Velos abknapsen dürfen – das muss alles aufwändig für den konkreten Straßenabschnitt mit Sicherheitserwägungen begründet werden. So wird es nun vermutlich auch bleiben.

Es wird in den kommenden Jahren noch öfter klar werden: Ohne Unterstützung von der Bundesebene geht es hier nicht voran oder sogar in die falsche Richtung. Man sollte aber ehrlicherweise dazu sagen: Als Ausrede für eine lahme Berliner Verkehrspolitik kann und darf das niemand benutzen. Innerhalb des bestehenden Handlungsspielraums lässt sich im Land genug verändern in punkto Flächenverteilung, Förderung des Umweltverbunds oder auch Regulierung der Kfz-Antriebsarten – wenn man nur will und im Zweifelsfall ein bisschen kreativ wird.

Eher nicht gemeint ist damit, bei den von Franziska Giffey gewünschten U-Bahn-Verlängerungen „fertige Planungen aus der Schublade“ zu ziehen, wenn der Bund Geld zu verteilen habe – weil Berlin ja im Vergleich zu anderen Bundesländern „den kürzesten Weg“ habe, wie die Regierende in spe es ausdrückte. Dieses schon von der amtierenden Senatorin Günther angestoßene Projekt wird enorme Planungskapazitäten binden und eine Menge CO2 freisetzen. Nicht gerade das, was derzeit angesagt ist.

Aber warten wir mal ab, was am Montag im rot-grün-roten Koalitionsvertrag steht. Es gilt das geschriebene Wort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Als Ausrede für eine lahme Berliner Verkehrspolitik kann und darf das niemand benutzen. Innerhalb des bestehenden Handlungsspielraums lässt sich im Land genug verändern in punkto Flächenverteilung, Förderung des Umweltverbunds oder auch Regulierung der Kfz-Antriebsarten – wenn man nur will und im Zweifelsfall ein bisschen kreativ wird."""



    ==

    Immer nur an den Symptomen herum zu "spielen"macht keinen Spass. Wenn die Wasserleitung im 4. Stock kaputt ist kommt ja auch niemand auf die Idee die Decke zum 3. Stock abzudichten damit der Wasserpegel im 4. Stock steigt. Wer der Meinung ist, das die alte Regierung hinsichtlich "Umbau Strassenverkehrs" nichts getan hat sollte mal versuchen insbesondere durch den Wrangel Kiez mit dem Auto zu fahren - oder mal die Frequenz (gleich null) auf dem neuen Radweg von Spandau nach Rohrdamm betrachten.

    Was passiert - koste was es wolle - sind Staustrecken für den Autoverkehr zu produzieren, in der Hoffnung, das diese Entwicklung zu einem verkehrspolitischen Wunder führt.

    An die Ursachen des überschäumenden motorisierten Verkehrs scheint niemand zu denken - das ist im großen und ganzen die wirtschaftliche Attraktivität nicht nur der Innenstadtbezirke. Diese Dynamik zieht Verkehr an - völlig egal woher der Verkehr kommt.

    Die Lösung ist schon vor 40 oder 50 Jahren entwickelt worden: Wohnen & Arbeiten -



    die Anfänge können auch im Wrangelkiez besichtigt werden - unten oder in den Hinterhöfen versteckt die Werkstatt oder die Veranstaltungsstätte - und oben drüber wird gewohnt.

    Dieses System gehört modernisiert - wobei alles an Wirtschaftsbetrieben ausgelagert werden sollte was Fläche frisst und Verkehr anzieht da die Stadt die Verkehrsflut nicht mehr bewältigen kann. Es muß aufhören, das diejenigen, die ans Ende gekommene Wirtschaftspolitik der Stadt ausbaden sollen, die wie von einem Magneten angezogen in der Stadt herumdüsen, um sich ihre Brötchen zu verdienen weil dort, wo sie wohnen, nichts zu verdienen ist.