Die 90er für die Nachkommen retten: Die Kinder sind angefixt
Das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends hat uns viele kulturelle Perlen beschert. Es ist wichtig, das auch Kinder davon wissen.
C odo!“, ruft meine Tochter. „Mach Codo!!“ Meine Freundin ist verwirrt. „Codo!!!“, brüllen beide Kinder.
Die Mädels waren beim Zähneputzen total drüber, erzählt mir meine Freundin später am Abend, nachdem ich nach Hause gekommen bin.
Ne, sage ich, die waren nicht drüber. Die sind voll druff.
Es war Zeit für ein Geständnis: Abends zum Zähneputzen darf sich jede unserer Töchter ein Musikvideo bei YouTube aussuchen, das sie dann beim Schrubben sehen und hören dürfen. Wahrscheinlich ist das schlecht. Ich weiß. Prädikat: pädagogisch besonders wertlos. Dummer, dummer Papa. Aber, tja, ich bin doch auch nur ein Mensch, schluchz, und das Zähneputzen am Abend ist ja meistens mein Job, und dieses ewige „Der Mund ist rund, der Mund ist rund, Zähneputzen ist gesund“, das ist so langweilig und mit so viel Überzeugungsarbeit verbunden und manchmal gar mit Kämpfen, und da habe ich es einfach getan: Ich habe das Handy rausgeholt und die Kinder von den Guilty Pleasures meiner eigenen Kindheit und frühen Jugend abhängig gemacht. Vom richtig harten Scheiß.
Da ist „Codo“ von DÖF fast noch die intellektuelle Spitze des Eisbergs.
Ich habe zum Beispiel das aus meinem Hirnsediment geharkt, was mir noch einfiel, was auf der „Hits“-Kassette von 1991 drauf war, die mein Kumpel Casi und ich immer gehört haben: „Resi, i hol di mit mei’m Traktor ab“ von Wolfgang Fierek (kam nicht so gut an bei meinen Töchtern, haben die preußischen Kinder wahrscheinlich nicht verstanden) oder „Hier kommt Kurt“ von Frank Zander (erntete verstörte Blicke) oder „Ich bin der Martin, ’ne …?!“ von Diether Krebs (was erstaunlicherweise überhaupt keine Reaktion auslöste).
Ich steigerte die Dosis mit „Käsebrot“ und „Fitze Fitze Fatze“ von Helge Schneider, was sie viel besser fanden, aber kein Vergleich war zum härtesten Stoff, den mein altes Ich und YouTube zu bieten hatten: Die Doofen. Davon sind meine Töchter mittlerweile völlig angefixt. „Codo“ von DÖF wird nicht mehr als ein Intermezzo sein. „Ich bau Dir ein Haus aus Schweinskopfsülze“ und „Jesus“ von Den Doofen werden immer bleiben.
Das ist schön. Denn das fand ich damals geil. Und das finde ich heute auch noch geil. Ich steigere mich rein in eine Rede, in der es um das kulturelle Erbe der 90er geht, dieses ganz besonderen Jahrzehnts, und darum, dass man dieses Erbe doch an die nächste Generation weitergeben müsste, und überhaupt, Die Doofen und Helge Schneider, „ist doch beruhigend zu wissen, dass sich am Ende auch bei unseren Kindern Qualität durchsetzt“, sage ich zu meiner Freundin.
„Du bist verrückt“, sagt sie.
„Im Sinne von ‚positiv verrückt‘?“, frage ich.
Sie geht Zähne putzen.
Ich höre mir „Toastbrotbaby“ von den Doofen an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles