Porträt: „Dicke erschüttern“
■ Der eher dünne Ex-Judoka Arthur Schnabel will bei der Sumo-WM eine Medaille holen
Arthur Schnabel hat sich jüngst bei den Sumo-Europameisterschaften in Riesa selbst ausgetrickst. Es geschah im Kampf gegen einen Schweizer, der später Dritter wurde: „Ich dachte, der Gegner ist draußen und drehte mich um, grüßte ab – und flog raus, weil der zwar mit dem Gesäß, nicht aber mit seinen Füßen außerhalb des Rings war.“ Für den 115 Kilo schweren Schnabel steht seither fest: Beim Sumo muß man konzentrierter bei der Sache sein als beim Boxen, Ringen oder Judo.
Es ist „wie beim Start in der Formel 1“. Selten wird die maximale Kampfdauer von zweieinhalb Minuten erreicht, weil nämlich einer der beiden Kampfhähne nicht aufpaßt. Ist erst mal das Gleichgewicht weg, ist der Kampf schon verloren, mit einem von 48 erlaubten Griffen wird man aus dem Ring bugsiert.
Als Judoka war der Mannheimer Schnabel (50) mehrmaliger Europameister und Olympia-Dritter von Los Angeles 1984. Als Sumoringer hat er nun neue Ziele: die WM, die am Samstag in Tokio beginnt. In den drei Gewichtsklassen (bis 86/ bis 115/ über 115 Kilogramm) dürfen jeweils zwei Deutsche gemeldet werden. Warum es in Europa verschiedene Gewichtsklassen gibt? „Nun, hier gibt es nicht so viele extrem Dicke wie im Fernen Osten“, glaubt Schnabel.
Zehnmal war er schon in Japan, als Judoka, und beim elften Mal kommt er als Sumo-Ringer und will eine Medaille gewinnen. Dabeisein ist ihm zuwenig für den strapaziösen Aufwand, den er betreibt.
Sein Tagesablauf: Um 3.30 Uhr rappelt sein Wecker, er springt in die Backstube, damit Mannheims Gartenstadt am Morgen frische Brötchen hat. Um 13 Uhr ist das Backwerk vollendet, und der Meister begibt sich zur Ruhe – wenn keine Meisterschaften anstehen. Im anderen Fall geht es erst noch ins eigene Sportstudio zum Kampftraining. Was folgt, sind weitere Trainingseinheiten, bevor es um 22.30 Uhr wieder für fünf Stunden ins Bett geht.
Bei der WM sind die Japaner und die Russen favorisiert, aber auch die Tschechen und Franzosen sowie die US-Amerikaner werden mit vorne erwartet. Zum Beispiel der 306-Kilo- Mann Emanuel Jarborough, gegen den sich Schnabel einmal bös verschätzt hat. „Ich dachte, ich hätte ihn ausgetrickst, da fuhr er plötzlich seine riesigen Arme aus. Ich hob zwei Meter ab und flog aus dem Ring!“
Auf den Bewegungsablauf kommt es an. „Wenn man mit einem 300-Kilo-Mann oft genug trainiert, lernt man ihn kennen und versucht dann, ihn ins Leere laufen zu lassen“, hat Schnabel inzwischen gelernt. Nun findet er es „faszinierend, wenn ein Kleiner einen Großen dicken erschüttern kann.“ Der Sumo- Laien Lästern über „die Dicken, Faulen und Fetten“ verebbt spätestens, wenn der Meister des Sumo einen Spagat hinlegt.
Unfaire Mittel sind tabu, und wie im afrikanischen Fußball wird vor den Kämpfen Reis und Salz gestreut, um böse Geister zu vertreiben. Danach reiben die Athleten die Hände aneinander, führen sie mit der Innenfläche nach außen und breiten ihre Arme aus: Keine Waffen, keine Steine, keine Rasierklingen.
„Ich wollte noch etwas für mich tun“, begründet Schnabel sein Engagement als Sumo-Ringer. In den Infight gehen, das ist seine Sache. Anfangs hat er sich etwas geniert wegen dem Mawashi, dem primitiven Lendenschurz. Aber im Wettkampf schauen die fachkundigen ZuschauerInnen nicht (nur) auf nackte Männerärsche. Anders ist es bei reinen Schauveranstaltungen, wo die GafferInnen überwiegen. Für sie will der Bäcker- und Konditormeister kein Schauobjekt sein, wenn sie einander zurufen: „Ach Gott, da guckt ja der Hintern raus!“ Günter Rohrbacher-List
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