: Dichtung und Wahn
■ Ein Jesuit über Wunder und seine Kirche
De Benedettis, Jesuit, 83 Jahre alt, war in den sechziger Jahren des öfteren mit dem „Clearing“ angeblicher Wunder betraut: der Versuch, Unerklärliches naturwissenschaftlich nachzuvollziehen.
taz: Wunder, gibt's die?
De Benedettis: Man könnte einfach zur folgenden Definition greifen: Wunder sind Vorgänge, die mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht zu erklären sind. Da es davon auch heute noch eine Menge gibt, vor allem dann, wenn es sich um einmalige, nicht wiederholbare Ereignisse handelt, gibt es auch Wunder. So einfach wollen wir es uns aber nicht machen.
Sondern wie schwer?
Wenn heute ein Vorgang geschieht, der vielen Menschen als übernatürliche Erscheinung vorkommt, taucht alsbald die Forderung auf, dies als „Wunder“ anzuerkennen. In vielen Fällen sind die Menschen natürlich heute, im Zeitalter des Unglaubens, sehr schnell bereit, von überirdischen Zeichen zu sprechen, weil ihnen dieses seelenlose Nichtglauben selbst unheimlich ist. Oft kommt kommerzielles Interesse hinzu, da werden die Figuren kopiert, der Aufstellungsort zur Wallfahrt genutzt mit Würstchenbuden und Devotionalienständen.
Wie unterscheidet die Kirche derlei von anerkennenswerten Wundern?
Zuerst einmal beobachtet die katholische Kirche in der Regel nur. Nach einiger Zeit, wenn sich die oft ja nur momentane Erregung doch noch nicht legt, schickt sie meist ein Mitglied einer entsprechenden Kongregation aus Rom an den Ort. Da wird zunächst der örtliche Geistliche vernommen, möglicherweise der Bischof: Man sucht zu erkunden, inwieweit Scharlatanerie am Werk sein könnte.
Nehmen wir an, die scheidet aus.
Dann kann eine Art Anerkennungsverfahren in Gang gesetzt werden. Handelt es sich bei dem Vorgang um eine naturwissenschaftlich untersuchbare Angelegenheit, wie etwa die Tränen der Madonna, treten Wissenschaftler wie ich in Aktion. Bei einer Bluterscheinung in Civitavecchia bei Rom etwa wurde das Blut untersucht, es stellte sich heraus, daß es männlichen Ursprungs war, und der Eigentümer der Madonnenstatue weigerte sich, an sich selbst einen Bluttest machen zu lassen. Derlei schließt ein solches Verfahren dann meist schon ab. Schwieriger wird es, wenn es sich nicht um konkrete Vorgänge handelt, sondern um sogenannte „Gesichter“, wie etwa die Erscheinung Mariens in Fatima oder Lourdes. Wir alle wissen, daß es auch bei Normalmenschen Halluzinationen gibt, daß man plötzlich meint, einen längst Verstorbenen vor uns auf der Straße zu sehen, oder daß uns ein Licht am Himmel eine Gestalt suggeriert. Eine naturwissenschaftliche Klärung ist hier faktisch nur dann möglich, wenn etwa am betreffenden Tag auch anderswo Himmelserscheinungen zu beobachten waren, etwa ein Nordlicht oder ein Meteoriteneinschlag. Interview: Werner Raith, Rom
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