Dichter*innen mit Lernschwierigkeiten: Literaturkreis ganz klein
Seit zehn Jahren gibt es den „Ohrenschmaus“-Preis für Autor*innen mit einer Lernschwäche. Die eingereichten literarischen Texte sind oft wunderbar.
„Klebt der Bauer an der Mauer war der Stier wohl richtig sauer“, schreibt Julia Jirak im Jahr 2014.
Eingereicht hat sie ihre Texte zum Literaturpreis „Ohrenschmaus“, der erst vor Kurzem sein zehnjähriges Jubiläum feierte. Seither wurden mehr als 1.500 Texte eingereicht. Das Besondere daran: Die Autor*innen sind Menschen mit Lernschwierigkeiten – früher kognitive Behinderung. Mit 150 eingereichten und zum Teil sehr unterschiedlichen Texten fand die diesjährige Preisverleihung im November im Wiener Museumsquartier statt.
Bewertet werden die eingereichten literarische Texte von einer prominent besetzten Jury: Felix Mitterer hat die Schirmherrschaft übernommen, auch Franzobel macht sich für den Ohrenschmaus stark, ebenso wie die Kulturjournalistin Barbara Rett und Schriftsteller*innen Eva Jancak, Heinz Janisch und Ludwig Laher.
Initiiert hat den Ohrenschmaus der österreichische Parlamentarier Franz-Joseph Huainigg, selbst Autor mehrerer Bücher, Behinderten- und EZA-Sprecher seiner Partei im österreichischen Parlament und nach wie vor engagierter Aktivist.
ist freie Journalistin in Berlin und bloggt auf N21
Er erzählt, wie es zur Gründung des Ohrenschmauses kam: „Vor 15 Jahren wurde ich als Autor eingeladen, eine Schreibwerkstatt für Menschen mit Lernbehinderungen zu gestalten. Ich gebe zu, dass ich Ängste und Vorurteile hatte: Können an einem Vormittag in so einer integrativen Schreibwerkstatt wirklich gute Texte gelingen? Wie groß ist die Selbstreflexion der Teilnehmenden? […] Zu meiner Überraschung begannen alle ohne großes Nachdenken Gedichte zu formulieren. Es entstanden für mich überraschend wunderbare Texte. Faszinierend sind die Wortschöpfungen, die eine andere und neue Sichtweise auf die Welt charakterisieren.“
Kein Mitleidsbonus
Huainigg meint weiter: „Wenn Menschen mit (Lern-)Behinderung schreiben, wird das oft als Therapie oder Sozialprojekt kategorisiert, selten als Literatur oder Kunst. Die Texte, die jährlich eingereicht werden, beweisen eindrücklich, dass ein Umdenken geboten ist. Der von mir sehr geschätzte österreichische Schriftsteller Felix Mitterer, der den Ehrenschutz des Literaturpreises übernommen hat, meint dazu schlichtweg: ‚Kein Mitleidsbonus. Einfach Literatur.‘ “
Schirmherr Felix Mitterer zum Jubiläum: „Franz-Joseph Huainigg hat 2007 den Literaturwettbewerb ,Ohrenschmaus' für Menschen mit (oh je, wie kommt mir das schwer über die Tastatur!) Lernschwierigkeiten, Lernbehinderungen – oder wie immer man das benennen will, am liebsten gar nicht – gegründet. Und seither durften wir eine Fülle von Texten lesen, die uns auf eine Weise bereichern, die wir uns so nicht erwartet hätten. Als hätte man ein Füllhorn geöffnet, voll von literarischen Kostbarkeiten, die auf uns niederströmen.“
Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.
Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.
„Zu zweit ist weniger allein“ ist der Titel eines im Verlag Bibliothek der Provinz erschienenen neuen Buchs mit ausgewählten Ohrenschmaus-Texten. „Zu zweit ist weniger allein“ ist auch der Titel eines Texts von Markus Engfer, der 2012 der Ohrenschmaus-Jury vorgelegt wurde und nun im neuen Sammelband enthalten ist.
Unter den Preisträgern 2016 ist Viktor Noworski, der mit „A Brennhassa Summa“ eine originelle und witzige Geschichte vorgelegt hat, die in Wiener Dialekt mit englischen und jiddischen Einflüssen geschrieben ist.
Neu ist, dass der Ohrenschmaus auch durch Crowdfunding Unterstützung sucht: Auf Startnext war es bis zum 15. November möglich, online zu spenden. Zweck des Ganzen: Der „Ohrenschmaus“ soll unter anderem internationalisiert werden und enger mit dem deutschen Eucrea Award zusammenarbeiten. Ob das gelingt, steht noch in den Sternen. Aber auch der große Erfolg des Literaturpreises Ohrenschmaus seit 2007 war ja überraschend.
Die bisherigen Sponsoren sind durchaus prominent. Auch der Schokoladenmacher Zotter ist schon lange darunter. Jedes Jahr stellt er eine spezielle „Ohrenschmaus“-Edition seiner beliebten Bio-Schokoladen her. Mit Texten auf der Schleife.
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