Dichterhochburg Marbach: Ein Hotspot der Literatur
Die Schillerhöhe in Marbach ist eine Literaturhochburg. Neben dem Schillermuseum findet man dort das Literaturmuseum der Moderne.
Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt! Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum! Deine Zauber binden wieder … und alle Menschen werden Brüder! …“
Der Enthusiasmus des Friedrich Schiller war mitreißend. Im Überschwang guter Gefühle dichtete er 1786 die Ode „An die Freude“. Die Melodie der Vertonung durch Ludwig van Beethoven (in der neunten Sinfonie) wurde 1985 zur offiziellen Europahymne. Und auch ohne die Schiller’schen Dichterworte ist sie wie ein Musenkuss, der Grenzen überwinden will und sich Solidarität erhofft und dem EU-Projekt einen Subtext verpasst hat: als Aufruf zur Versöhnung und Völkerverständigung.
Friedrich Schiller gehört zum Bildungskanon. Als Freiheitsdichter. Und mit Werken wie „Die Räuber“, „Wallenstein“, „Die Glocke“ oder seinen Schriften zum „Erhabenen“ oder zur „Ästhetischen Erziehung“. Ohne Schiller kein deutscher Idealismus, aber auch kein selbstbewusstes Bürgertum. Wie Herder oder Wieland und natürlich Goethe, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, zählt Schiller zu den „Weimarer Klassikern“. Aber geboren wurde Schiller 1759 in Marbach am Neckar. Mit gerade mal 45 Jahren verstarb er in Weimar.
Dass Schiller im öffentlichen Bewusstsein immer präsent blieb, geht auch auf engagierte Marbacher zurück. Schon 1805, in Schillers Todesjahr, soll ein aus Sachsen zugereister Handwerker und Bewunderer Schillers das Geburtshaus des Dichters ausfindig gemacht und mit einer Büste verziert haben. 1835 gründete sich der Marbacher Schillerverein (er gehört heute zur Deutschen Schillergesellschaft) als erste deutsche Dichtergesellschaft. Der Verein erwarb das Geburtshaus und eröffnete es als museale Gedenkstätte.
Die Schillerhöhe in der idyllischen süddeutschen Stadt Marbach ist eine Literaturhochburg. Neben dem Schillermuseum findet man dort das 2006 eröffnete Literaturmuseum der Moderne, auch kurz LiMo genannt.
Infos zu Marbach und den dort beheimateten Museen (Deutsches Literaturmuseum, Schiller-Nationalmuseum, Literaturmuseum der Moderne) sind im Internet zu finden unter: www.dla-marbach.de und www.schillerstadt-marbach.de
Und es ist immer noch zu besichtigen. Es ist ein kleines, heimeliges Haus inmitten Marbachs historischer Altstadt, eine Fachwerkidylle. Schillers Geburtshaus an den Holdergassen gehörte zum ehemaligen Wohnviertel der Weingärtner und Bauern. Wie entsetzlich ärmlich und eng die Lebensumstände waren, in die das kränkelnde Kind hineingeboren wurde, lässt sich heute nicht mehr ermessen. Man sieht nur, dass die beiden niedrigen Stuben, die die Schillers im Parterre bewohnen konnten, wirklich winzig sind.
Schillers Geburtshaus
Marbach am Neckar, praktisch einen Katzensprung von Stuttgart entfernt, hat aber für Besucher heute mehr zu bieten als allein diese Gedenkstätte. Marbach wurde zur Dichterhochburg. Das Schiller’sche Geburtshaus ist ein Anfang. Wer den Spuren des Dichters weiter folgt, muss auf die Marbacher Schillerhöhe hinauf, wo der umtriebige Marbacher Schillerverein seinerzeit auch einen Park anlegte.
Hier blickt der Dichter in monumentaler Größe und Pose auf sein eigenes Museum, das Schiller-Nationalmuseum. Es wurde 1903 erbaut und thront wie ein Schloss hoch über dem Neckar. Vor einigen Jahren wurde es generalüberholt und ist heute neben Schiller auch mit dem ausgewählten Nachlass anderer schwäbischer Dichtergrößen, etwa Hölderlin, bestückt. Dann der große Wurf der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts: das Deutsche Literaturarchiv. Unter der Trägerschaft der Deutschen Schillergesellschaft wurde hier das großartige Projekt verwirklicht, deutsche Literaturgeschichte zu bewahren. Beginnend mit der Zeit der Aufklärung archiviert das Archiv die Nachlässe von Literaten. Daneben beherbergt es Verlagsarchive, Bücher und literarische Zeitschriften und macht all dies der Erforschung zugänglich. Ein Collegienhaus dient als Wohn- und Begegnungsstätte.
Inzwischen ist ein weiterer, sehr eigener Anziehungspunkt entstanden: das Literaturmuseum der Moderne, kurz LiMo. Es befindet sich direkt neben dem Schillermuseum und wurde im Sommer 2006 eröffnet. Wenn es heute Besucher aus aller Welt nach Marbach zieht, dann nicht nur wegen Schiller, sondern wegen dieses neuen Highlights der Museumslandschaft. Im LiMo locken ausgewählte Stücke der letzten 120 Jahre aus dem Handschriften- und Nachlassbestand des Literaturarchivs und werden hier virtuos präsentiert.
Herzstück des LiMo ist eine dunkle Halle im Basement. Ein geheimnisvolles Reich der Finsternis, dessen wertvolle Schätze wie ein einziges großes Lichtkunstwerk inszeniert sind. In einer schier endlosen Reihung illuminierter Glasvitrinen befinden sich viele sehr persönliche Stücke bekannter Literaten. Hermann Hesses Fotoalbum ist dabei mit den Aufnahmen seiner Nacktwanderungen, ebenso sein „Steppenwolf“-Manuskript, ein Brief Adolf Hitlers an Ernst Jünger, ein Brief Hannah Arendts an Karl Jaspers, Handkes Notizbücher zur „Langsamen Heimkehr“, Enzensberges „Untergang der Titanic“, Morgensterns Entstehungsgeschichte der „Galgenlieder“, es finden sich Baupläne zu Romanen, Totenmasken, intime Kritzeleien und Zeichnungen, Kafkas mittelprächtiges Schulzeugnis und sein handschriftliches Manuskript vom „Proceß“.
Auf den ersten Blick überrascht und verwirrt das Arrangement, aber es erschließt sich unmittelbar: Die Glasvitrinen sind nach Jahren geordnet. Sie umfassen die Zeitspanne zwischen 1899 und 2001. Man behält so einen guten Überblick über das jeweilige literarische Jahr. Und die Auswahl der Stücke folgt dem Motto der Dauerausstellung „Seele“. Vor allem die ausgewählten persönlichen Gegenstände aus Dichternachlässen bzw. Schenkungen tragen dazu bei, den Schaffensprozess der literarischen Werke innerhalb ihrer Zeit verständlich, ihr Innerstes verstehbar zu machen, sie schaffen inmitten dieses kühlen Archivs eine Atmosphäre des Intimen. Eine vom Museum angebotene App fürs Handy bzw. ein Tablet mit den entsprechenden weiterführenden und ordnenden Informationen sind ausgesprochen hilfreich bei der Spurensuche. Es ist ein faszinierendes Spiel mit der Authentizität und der Aura von Originalen.
Furore macht seit seiner Eröffnung allerdings auch das weiße Museumsgebäude selbst. Niemand, der aus der Ferne nicht an einen Tempel denkt. Als würde sich auf Marbachs Schillerhöhe eine zweite Walhalla den Besuchern öffnen, ähnlich jenem pathetischen Parthenon hoch über der Donau bei Regensburg, wo sich die Büsten toter Dichter und anderer sogenannter großer Deutscher versammeln.
Panoramablick auf den Fluss
Und wie schon auf der Donauhöhe gibt es auch hier diesen großartigen Panoramablick auf den Fluss und die umgebende Landschaft. Doch wenn man näher kommt, verlieren sich jedes Pathos und noch jede Kitschvermutung. Der englische Architekt David Chipperfield hat sich eine elegante Mixtur aus klassischen Motiven und moderner, sehr ästhetischer Architektur einfallen lassen. Wie klassische Säulen umlaufen schlanke weiße Betonstützen den modernen Bau am Berg, ein Säulengang seitwärts führt zum Eingang und weiter zu einer großen Aussichtsterrasse. Weißer Muschelkalk, dunkles Tropenholz und viel Glas sind die wichtigsten Materialien. Auch der Sichtbeton hat den Farbton des Muschelkalks.
Ein Ort der Kontemplation in schöner Landschaft. Kein Walhalla, vielmehr ein Arkadien. Und sicher im Sinne Schillers, der auf Ästhetik so viel Wert legte. Hielt er doch die Schönheit für den Eintritt in die Welt der Ideen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“