Deutschland im Schnee: Oh bittre Winterhärte!
Engpässe an Tankstellen, Lieferprobleme im Einzelhandel, Mangel an Streusalz: Der Winter macht Deutschland zu schaffen. Kann man denn nichts dagegen tun?
BERLIN taz | Schnee und Eis machen Deutschland weiterhin stark zu schaffen. Zu Problemen kommt es mittlerweile nicht nur im Auto-, Luft- und Bahnverkehr, auch die Versorgung von Unternehmen und Bevölkerung mit wichtigen Gütern läuft nicht mehr wie gewohnt. So gibt es bereits Engpässe an einigen Tankstellen. Auch dem Einzelhandel machen verspätete Lieferungen zu schaffen. Einige Regionen im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen haben aus Sicherheitsgründen vorübergehend sogar Fahrverbote für Lkws verhängt. In vielen Kommunen wird bereits das Streusalz knapp.
Weil bei Schnee, Eis und dichtem Nebel Gefahrguttransporter - dazu zählen auch Kraftstofflaster - nicht fahren dürfen, kam es in einigen Städten bereits zu Engpässen an den Tankstellen. "20 unserer mehr als 1.000 Tanklaster konnten am Morgen nicht losfahren", sagte Esso-Sprecherin Gabriele Radke am Montag der taz. Lieferschwierigkeiten hatten auch andere Mineralölfirmen, denen das Winterwetter allerdings auch hilft. "Viele Autofahrer lassen ihr Fahrzeug stehen, das spüren wir an der sinkenden Nachfrage nach Kraftstoffen", so Radke.
Schwierigkeiten gab es auch im Einzelhandel. "An einigen Orten kam es zu verzögerten Belieferungen", sagte Kai Falk, Sprecher des Einzelhandelsverbandes, der taz. Nennenswerte Probleme habe es aber noch nicht gegeben. Viele Händler erhöhten grundsätzlich vor dem Weihnachtsfest ihre Bestände in den Lagern und Märkten. So könnten wetterbedingte Verzögerungen ausgeglichen werden. In Regionen, in denen es Fahrverbote für Lkws gebe, bemühe sich der Einzelhandel um Ausnahmegenehmigungen für Lebensmittel.
Der Autoclub ADAC drängt auf einen ausreichenden Winterdienst. "Fahrverbote für Lkws zu verhängen ist zu einfach", sagte ADAC-Sprecher Maximilian Maurer der taz. "Wo sollen die denn alle hin?" Wichtiger sei ein guter Winterdienst - mit Augenmaß.
Im europäischen Vergleich stehe Deutschland gar nicht so schlecht da, in Großbritannien und Frankreich sei es schlimmer. Die Alpenländer Österreich und Schweiz hätten das aber besser im Griff.
"Die sind Schnee einfach gewohnt; da hofft niemand auf einen milden Winter, um Geld für Streusalz zu sparen." Dort gebe es gut organisierte Stützpunkte für Streugut, zudem würden Flächen für den weggeräumten Schnee frei gehalten. Und Kraftfahrer hätten Parkplätze, um vor Berganstiegen ihre Schneeketten aufzuziehen.
Fraglich ist, ob sich der damit verbundene Aufwand in Deutschland lohnt. Eine Alternative könnten daher an neuralgischen Punkten sogenannte Taumittelsprühanlagen sein, wie es sie etwa am Drackensteiner Hang an der A 8 zwischen Stuttgart und München gibt. Dort wird aus Düsen salzhaltiges Wasser auf die Fahrbahn gesprüht. Vorteil: Das Taumittel ist jederzeit verfügbar, niemand muss auf ein Räumfahrzeug warten. "Dort gibt es eigentlich nie Probleme", sagt Maurer.
Die Räumfahrzeuge bundesweit könnten demnächst Probleme bekommen, denn das Streusalz wird knapp. Beim Chemiekonzern K + S registriert man "extrem hohe Bestelleingänge".
An einigen Tagen würden bis zu 50.000 Tonnen Auftausalz geordert, doch die drei Feinsalzwerke von K + S können nur 20.000 Tonnen pro Tag produzieren. Die restliche Lücke lässt sich nur mühsam schließen: Einige weitere Tonnen Streusalz kommen aus den Kaliwerken, und auch aus dem Ausland kauft man zu. Die ersten Salzschiffe aus Chile sind bereits eingetroffen.
Der fehlende Rest stammt aus den Lagern. Zu Beginn des Winters hatte K + S etwa 900.000 Tonnen Streusalz aufgehäuft. Davon ist nun ein großer Teil aufgebraucht. Genaue Angaben will man bei K + S "aus Wettbewerbsgründen" nicht machen. Aber wenn der Winter kalt bleibt, kommt es zu weiteren Engpässen. "Der Vorrat hält nicht ewig", sagt K + S-Sprecher Ulrich Göbel.
An den Kommunen liegt es jedenfalls nicht, wenn die Straßen nicht mehr gestreut sind. Misstrauische Bürger glauben zwar gern, dass ihre Gemeindeväter am Winterdienst sparen, doch diesen Eindruck kann Göbel nicht bestätigen. "Sobald es geschneit hat, wird nachbestellt."
K + S versorgt vor allem den Norden Deutschlands, im Süden ist einer der Hauptlieferanten Südsalz. Auch dort ist man längst an der Kapazitätsgrenze angekommen. "Die Nachfrage übersteigt das Angebot, die Produktion und auch die Lagerhaltung um ein Vielfaches", sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Voss. "Wenn es nicht länger taut, kommt es sicherlich zu Behinderungen."
Dabei hatte man bei Südsalz eigentlich vorgesorgt. Das ganze Jahr lang wurden 7-Tage-Wochen und drei Schichten eingelegt, um die Lager nach dem vergangenen harten Winter zu füllen. "Trotzdem leben wir jetzt von der Hand in den Mund."
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