Deutschland gewinnt WM-Qualifikationsspiel: Der Sieg der Verschmähten
Die deutsche Fußballnationalmannschaft zeigt beim 1:0 gegen Wales wie man gegen Defensivexperten gewinnt: mit Beharrlichkeit, Zähigkeit und durchaus einigem Spielwitz.
Die richtig gute Meldung vorab: Jermaine Jones, der 19. Mann und einzig Aussortierte dieses nassen Abends, war tatsächlich geblieben und bewegte sich nach dem Spiel ohne jede Fußfessel oder Handschelle völlig frei und willig durch die Stadionkatakomben. Wohl trug er einen Trainingsanzug - vielleicht hatte er dieses Outfit gewählt, um die Tribünen vorzeitig trabend verlassen zu können, was er später reuig als freiwillige Übungseinheit für Deutschland hätte verkaufen können. Und ob der erneute Bankdrücker Torsten Frings, wie es sein Gesichtsausdruck nach dem Schlusspfiff vermuten ließ, wirklich zugebissen hätte, wenn ihm jemand zu nahe gekommen wäre, ist keineswegs sicher.
Auch sonst war es ein erfreulicher Abend für den deutschen Fußball. Joachim Löw, der Bundestrainer, hatte im WM-Qualifikationsspiel viel "Feuer gesehen, das brannte", und eine "wahnsinnig gute Einstellung". Folglich war er "absolut zufrieden". Damit meinte er Ergebnis, die Sechspunktewoche, die Tabellenführung und ein wenig auch das mühsame Match, dem die gegnerische Genetik lange den Stempel aufdrückte.
Es muss am Erbgut dieser Waliser liegen, dass es so lange 0:0 stand und durchaus auch torlos hätte ausgehen können. Lustvolle Blocker waren sie, kopfballstark, robust, allgegenwärtig. Kurz: defensive Weltklasse. "Ganz tief mit zwei Viererketten plus ein Mann" (Löw) hätten sie gespielt, "zu zehnt hinten gestanden" (Trochowski), ersatzweise "mit elf Mann im eigenen Strafraum" (Schweinsteiger) oder gar "zu elft auf der Linie" (Torraum-Analytiker Oliver Kahn). Defensivkunst haben Briten im Blut: "Die Waliser waren eine Kopie von anderen englischen Mannschaften", befand Geograf Löw.
Gut eine Halbzeit lang war es vor 44.500 im nicht ausverkauften Stadion deutscherseits mehr ein Anjoggen denn ein Anrennen. Viele gähnten. Erst der heftige Regen ab Minute 55 weckte das deutsche Gen mit Fritz-Walter-Empfindungen in der Günter-Netzer-Stadt. Mit Beharrlichkeit, Zähigkeit und durchaus einigem Spielwitz in engen Räumen wurde der Geduldsfußball immer schneller. Mit immer neuen Chancen. Bis Piotr Trochowski (72. Minute) nach dem Ausrutschen seines Gegenspielers freie Bahn hatte und krachend ferneinschoss. Sein erstes Länderspieltor im 17. Versuch.
Die Auffälligsten waren, neben dem offensiv immerguten Philipp Lahm, die drei Diminutiv-Wirbelwinde Poldi, Schweini und Trochi. Vor seinem Treffer, meinte Trochowski, der er noch schneller spricht, als er dribbelt, "dachte ich schon, das wird wieder nix, aber dann waren 70 Minuten Leiden vergessen". Löw lobte seinen Linksbahnflitzer: "Er ist ein absoluter Leistungsträger geworden, Potenzial und Qualitäten kommen jetzt."
Die DFB-Elf wird immer mehr zur erfolgreichsten Resozialisierungsanstalt der Welt. Ein Umerziehungslager der Gefrusteten. Neben Trochowski, in Hamburg lange nur Ersatz und vielfach kopfbeschüttelt ob seiner Berufungen, ist das dauerhaft Lukas Podolski: ungenutzt im Club, quirlig stark beim DFB. Oder Miro Klose, hängeschultrig seit Monaten, dreifach torgeil gegen Finnland. Davor durften immer die Vereinsbankwärmer Lehmann und Metzelder ran. Ein Nationalteam der Verschmähten. Nach dieser Logik wird der weiter formfreie Clemens Fritz noch Weltfußballer.
Auch Michael Ballack, dessen malade Wade die Nachrichten drei Tage lang nervend gefüllt hatte, gehört dazu. In Chelsea manchmal nur Ersatz, bleibt er bei Löw Leitwolf und unantastbarer Capitano. Gegen Wales gab er, manchmal sogar im Stand, den ruhenden Pol in einem quirligen Mittelfeld, scheuchte nach seinen vielen Fehlpässen die Mitspieler gestenreich zur Verfolgung des Gegners, trieb durch seine Zweikampfschludrigkeit die anderen erst zur Klasse an und erstickte mit Lethargie und Verletzungsangst alle übermütige Eile.
Vielleicht wird dieser Michael Ballack doch nicht überschätzt, sondern ist ein interner Intimmotivator in geheimer Mission. Eine durchtriebene Sache. Manchmal, das weiß man lange, spielt eine Elf zu zehnt sowieso besser als in Sollstärke.
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