piwik no script img

Deutschkroatische RegisseurinDurchgewalkt von Kopf bis Fuß

Anita Vulesica ist Schauspielerin, Sprachakrobatin, Komödiantin und Regisseurin. Gerade arbeitet sie an einem Stück über Konzernchefinnen.

Temperament und Rhythmus, rasantes Tempo und ein verschmitzter Witz: Das alles zeichnet Anita Vulesica aus Foto: Foto: Birgit Kaulfuss

Es gibt in der Inszenierung der „Ur­sonate“ von Kurt Schwitters am Deutschen Theater in Berlin, in der Regie von Claudia Bauer, eine Szene mit Anita Vulesica, in der sie einem kleinen Diktator gleicht. Wie sie das „P“ herausschleudert mit spitzen Lippen, dabei in eine Schreibmaschine hackt, mit einzelnen Buchstaben und Lauten die Richtung vorgibt, in die andere bald marschieren müssen – das ist energiegeladen mit einem komischen Überschwang. Daran muss ich wieder denken, wenn Anita Vulesica von sich als Regisseurin sagt, dass sie ihre Schau­spie­le­r:in­nen „durchwalkt von Kopf bis Fuß“ oder ihren „Rhythmus in sie einprügelt“. Schwitzen sollen sie, Muskelkater haben am nächsten Tag. Denn das „Publikum soll spüren, dass es etwas kostet, dann lässt es sich berühren“, meint Anita Vulesica.

Temperament und Rhythmus, rasantes Tempo und ein verschmitzter Witz: Das alles zeichnet Anita Vulesica aus, als Schauspielerin und als Regisseurin. Ihr großes Talent für das Komische und das Rhythmische ist gerade in zwei Inszenierungen in Hamburg und in Berlin zu erleben. Beide Stücke sind nach erstaunlichen Texten des französischen Autors Georges Perec entstanden, geschrieben 1968. Perec war ein großer Experimentator mit der Sprache. Seine Musikalität und seine Formstrenge haben Vulesica angezogen. Mit ihm, der in Deutschland wenig bekannt ist, hat sie ein ganzes Universum entdeckt.

Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg entstand „Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh“. Erstaunlich aktuell ist das Stück, das zum Theatertreffen im Mai nach Berlin eingeladen ist, weil es die Spannung zwischen künstlicher Intelligenz und Poesie verhandelt. „Künstliche Intelligenz lag extrem in der Luft Ende der 1960er Jahre“, erinnert sich Vulesica, „Kubrick hatte da gerade seinen Film „2001: Odyssee im Weltraum“ herausgebracht. Man dachte über das Träumen und Denken von Maschinen nach. Können Maschinen Kunst? Haben sie eine Seele? Wenn ja, was bedeutet das für uns?“

Goethes Gedicht wird bei Perec verschiedenen mathematischen und semantischen Operationen unterzogen, immer absurder werden die Textzeilen und behalten doch ihre poetische Struktur. Während die eine Seite der Bühne der Maschine gehört, entfalten sich auf der anderen Seite apokalyptisch gefärbte Bilder des Waldes, es regnet Fische. Der Wald, im Gedicht ein Sehnsuchtsort, wird zu einem zerstörten und unheimlichen Ort. Dann zählen die Schau­spie­le­r:in­nen auch schon mal die Namen von ausgestorbenen Vogelarten auf und ihre Schatten erinnern an Soldaten mit Tarnhelmen auf dem Kopf. Vulesicas Inszenierung öffnet sich für viele Assoziationen.

Der Text ist extrem minimalistisch, das Spiel aber sehr körperlich

Dass sich Georges Perec mit Goethes Gedicht gerade auch einen deutschen Mythos vornahm, ist kein Zufall. Sein Vater war im Krieg gegen die Deutschen gefallen, seine Mutter vermutlich in einem Konzentrationslager ermordet worden. Hinter dem Witz der vielen sprachlichen Manipulationen am Kunststück des Dichters liegen so auch Schmerz und Bitterkeit. Die scheinbar kalte Technik vollzieht eine Rache am deutschen Gefühlsgut Innigkeit. Und bringt dabei aber wieder eine Kunst hervor, der mit Vergnügen zu folgen eine andere Art von Trost spendet.

Anita Vulesica ist in München geboren. Ihre Eltern waren als Gastarbeiter aus Kroatien nach Deutschland gekommen, sie selbst wuchs zwischen Deutschland und Kroatien auf, pendelnd zwischen unterschiedlichen Verwandten, in unterschiedlichen Schulsystemen. Wenn sie sich auf ihre biografische Geschichte bezieht, dann auf eine, die sie stark gemacht habe. Man fantasiert sich hinzu, dass ihre Ausstrahlung, ihr Charme und ihr Temperament ihr geholfen haben, in neuer Umgebung sichtbar zu werden und Kontakt herzustellen. Sie war die Erste der Familie, die studierte, Schauspiel an der Ernst-Busch-Schule in Berlin. Als eine zweite Ausbildung sieht sie ihr erstes Engagement als Schauspielerin am Theaterhaus Jena (2001–2004), damals geleitet von Claudia Bauer. „Da habe ich unfassbar viel gelernt.“

Als Regisseurin war Vulesica in Graz, Wien, Basel und Berlin engagiert. In Österreich wurde sie zweimal mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet. Am Deutschen Theater in Berlin ist die „Gehaltserhöhung“, eben nach Georges Perec, zu sehen, und am 14. März kommt „Der Liebling“ heraus, eine Uraufführung nach einem Text der Dramatikerin Svenja Viola Bungarten.

Der Text der „Gehaltserhöhung“ ist extrem minimalistisch und von vielen Wiederholungen gezeichnet. Das Spiel aber ist sehr körperlich. Unter ihren Anzügen tragen die um eine Gehaltserhöhung vergeblich Bittenden Panzer. Sie blähen sich auf, versuchen sich zu rüsten. Ebenso wie die Choreografie sei die Rolle der Kostüme sehr wichtig, sagt Vulesica. „Man braucht eine dicke Haut, eine Panzerung auf dieser Welt. Man muss auf das Spielfeld des Lebens. Man braucht dafür Kondition und eine Ausrüstung. Hinfallen und wieder aufstehen, Verwundungen, blaue Flecke.“

Und dennoch begleitet leises Glucksen und Lachen jede Vorstellung, die das Hinfallen und Wiederaufstehen eben auch clownesk zelebriert. Anita Vulesicas Inszenierungen sind unterhaltend – auch gerade da, wo sie sich um Strukturen der Macht drehen.

Für „Der Liebling“ arbeitet sie wieder mit der Bühnenbildnerin Henrike Engel, der Choreografin Mirjam Klebel und der Kostümbildnerin Janina Brinkmann zusammen. „Wir bilden eine Einheit“, sagt Vulesica zu diesem Team. „Ich starte mit einer Vision und die anderen hängen sich dran.“

Ging es in der „Gehaltserhöhung“ um den vergeblichen Kampf von Angestellten gegen eine ungreifbare, aber zunehmend wachsende Macht, dreht sich „Der Liebling“ jetzt um die Kämpfe innerhalb des Kreises der Mächtigen. Ausgetragen werden sie auf der Bühne unter fünf Frauen und einem Mann. „Welche Systeme haben uns dazu gemacht, so nach Macht zu streben, an ihr festzuhalten?“, fragt sich Vulesica und verweist auf mehr als zwei Jahrtausende Patriarchat. Da geht es auch unter Frauen hässlich zu, sie hauen sich einiges um die Ohren in den screwballartigen Dialogen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!